Süddeutsche Zeitung

Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan:Wenn der Vize seinen Chef überstrahlt

Mit jugendlichem Charme und dem Image des Steuersenkers begeistert Paul Ryan die Delegierten auf dem Parteitag der Republikaner. Die Rede von Romneys Vize heute Abend wird mit Spannung erwartet - zum ersten Mal präsentiert er sich einem großen Publikum. Ryan wird für seine Ideen werben, Obama attackieren - und versuchen, seinem Boss nicht die Show zu stehlen.

Matthias Kolb, Tampa

Die Augen von Susan Estes aus Kansas leuchten, als sie über ihren Helden spricht: "Er weiß genau, wie wir Amerikas Probleme lösen." Auch Rachel Little aus Georgia schwärmt von seiner "enormen Energie". Wer mit Delegierten auf dem Parteitag der Republikaner in Tampa spricht, merkt sofort: Die Anhänger der Konservativen akzeptieren Mitt Romney, aber sie lieben Paul Ryan.

Für den jungen Vize-Kandidat wird die Parteitagsrede am Mittwochabend zur Herausforderung: Nicht weil er fürchten muss, dass er nicht gut ankommt, sondern weil er verhindern muss, zu gut anzukommen. Er muss die Basis anfeuern, aber er darf Romney nicht zu blass aussehen lassen.

Auch Paul Braswell aus Texas fiebert Ryans Auftritt entgegen. Romney wisse dank seiner Management-Erfahrung, was Firmen brauchen, um Jobs zu schaffen. Ryan ist eine ideale Ergänzung, sagt der 53-Jährige mit dem Cowboy-Hut: "Er kennt den Haushalt wie kaum ein anderer und hat klare Vorstellungen, wo man kürzen kann." Er fürchtet ebenso wenig wie Susan Estes, dass Ryans radikale Pläne, die etwa Kürzungen bei Lebensmittelhilfen und der Krankenversicherung für Arme vorsehen, Wähler verschrecken könnten. "Die Amerikaner sind bereit für harte Wahrheiten, denn so kann es nicht weitergehen", sagt die 46-Jährige, die ihren Waffenschein zeigt, damit ihr Name richtig geschrieben wird.

Mit der Entscheidung, den 42 Jahre alten Abgeordneten Ryan zum running mate zu machen, hat Romney zwar in den Umfragen nicht zulegen können, doch er hat der fremdelnden Parteibasis einen kräftigen Energieschub versetzt. Die blauen T-Shirts mit dem Aufdruck "America's Comeback Team" verkaufen sich gut im Souvenirshop im Tampa Bay Times Forum. Der Mann aus Wisconsin wird von der Tea Party verehrt; viele Delegierte wie der 60-jährige Bill Reynolds sehen insbesondere in seinem Alter einen Vorteil: "Er kann den jungen Amerikanern sicher besser erklären, weshalb die radikalen Reformen notwendig sind."

Poster-Boy statt "Pittbull mit Lippenstift"

Auf den Meinungsseiten der Zeitungen und in TV-Shows wurde tagelang spekuliert, welche Schwerpunkte Ryan in seiner Parteitagsrede setzen wird. Erklärt er den Millionen Amerikanern vor den TV-Bildschirmen, wieso er zwei Steuersätze von zehn und 25 Prozent für ausreichend hält, auch wenn davon vor allem die Wohlhabenden profitieren würden? Erklärt er, warum er nicht beim Militärbudget sparen, sondern stattdessen das Krankenversicherungssystem Medicare durch ein Gutschein-Modell ersetzen will? Oder zeichnet er ein möglichst sympathisches Bild von sich, das ihm selbst in den Wahljahren 2016 und 2020 nutzen könnte, wie es die Washington Post vermutet?

In einem waren sich alle Beobachter einig: An dem Auftritt von Sarah Palin beim Parteitag 2008, bei dem sie sich als "Pitbull mit Lippenstift" bezeichnete und den Saal zum Toben brachte, wird sich Ryan kaum orientieren, auch wenn Matthew Scully, der Autor von Palins Rede, nun in seinem Stab arbeitet. Er weiß, dass er die Nummer zwei ist und Mitt Romney nicht die Show stehlen darf - wenn sich die Delegierten denn zügeln lassen.

Einem Reporter der New York Times haben Ryans Berater bereits den Aufbau seiner Rede verraten. Im ersten Teil wird der Katholik und Abtreibungsgegner über sich sprechen: Als 16-Jähriger entdeckte er die Leiche seines Vaters, der einen Herzinfarkt erlitten hatte. Dies zwang ihn nach eigener Aussage schnell erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Bis heute hält er enge Kontakte zu seiner Heimatstadt Janesville in Wisconsin, wo er gerne zur Jagd geht.

Ryan hat weniger Erfahrung im "wirklichen Leben"

Es wird interessant werden, wie er seine Karriere in der von vielen Amerikanern verhassten Hauptstadt Washington beschreibt, wo er direkt nach seinem Uni-Abschluss zu arbeiten begann. Zur Eröffnung des Parteitags jubelte der Saal, als Republikaner-Chef Reince Priebus frotzelte, Obama habe noch nicht mal in einem Limonadenstand gearbeitet. Allerdings kann Ryan abgesehen von Uni-Jobs und einer Episode als Burger-Brater auf wenig Berufserfahrung im "wirklichen Leben" verweisen.

Im zweiten Teil seiner Rede wird Ryan die Bilanz und die weitere Agenda des 44. US-Präsidenten auseinandernehmen. Diese Breitseite auf Barack Obama sollte dem Chef des Haushaltsausschusses des Repräsentantenhauses nicht schwer fallen, der wie Mitt Romney als detailverliebter Zahlenfreak gilt. Den am Dienstag offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürten 65-Jährigen zu preisen, wird die letzte wichtige Komponente von Ryans Rede sein.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden sich auch die mehr als 2000 Delegierten erinnern, dass sie nach Tampa gereist sind, um den Ex-Gouverneur von Massachusetts zu feiern und eine gute Inszenierung für die noch unentschlossenen Wähler im weiten Land zu bieten. Denn auch dies fällt in Gesprächen mit den Besuchern des Parteitags auf: Die Frage, auf welchen Redner sie sich am meisten freuen, beantwortet kaum jemand mit "Mitt Romney".

Linktipp: Nach der Kür von Paul Ryan zum Vizepräsidentschaftskandidaten hat die New York Times den Werdegang des 42-Jährigen in einem ausgewogenen Porträt nachgezeichnet.

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