Vizekanzler Gabriel zu Flüchtlingspolitik:"Sonst geht Europa vor die Hunde"

German Minister of Economic Affairs Gabriel attends a session at the lower house of parliament Bundestag on Germany's 2016 budget in Berlin

"Ich kann nur hoffen, dass die Staats- und Regierungschefs zur Vernunft kommen", sagte Gabriel.

(Foto: REUTERS)
  • SPD-Chef Gabriel ruft die Europäer in einer Talkrunde im Fernsehen zur Vernunft auf. Offene Grenzen seien eine der großen Errungenschaften der EU
  • Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) will am Freitag in Prag mit seinen Kollegen aus Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Polen über die Krise beraten.
  • 200 Flüchtlinge gelangen über Fähren nach Schweden, nachdem die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark nicht mehr uneingeschränkt passierbar ist.

Gabriel warnt EU-Staaten in Osteuropa

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat davor gewarnt, dass die Europäische Union (EU) an der Flüchtlingskrise scheitern könnte. "Entweder die Europäer kommen zur Vernunft, oder Europa geht vor die Hunde", sagte der Vizekanzler am Donnerstagabend im ZDF-Talk von Maybrit Illner. Eine der großen Errungenschaften seien die offenen Grenzen. Osteuropa lebe ganz wesentlich davon. "Wir finanzieren mit starken Staaten die europäische Entwicklung", ergänzte Gabriel. Das alles werde aber nicht mehr funktionieren, wenn sich keiner mehr an Regeln halte und Flüchtlinge etwa nicht mehr dort registriert würden, wo sie in einen Mitgliedstaat der EU einreisten.

"Ich kann nur hoffen, dass die Staats- und Regierungschefs zur Vernunft kommen", fügte Gabriel hinzu. In der TV-Sendung warf er einem slowakischen Europa-Abgeordneten vor, sein Land wolle schlicht keine Flüchtlinge aufnehmen. "Europa geht nicht nach dem Motto: Ich mach' mit, wenn ich Geld kriege", sagte Gabriel. Die Slowakei werde am Ende zu den großen Verlierern gehören, wenn die Grenzen in Europa geschlossen würden. Der SPD-Chef prognostizierte, dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland weiter steigen würden. "Wir kriegen 120 000 pro Monat", sagte Gabriel. "Wir sind noch nicht mal bei der Hälfte des Monats und haben 60 000 Flüchtlinge in Deutschland."

Steinmeier will Osteuropa von Quote überzeugen

Gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stemmen sich vor allem mehrere Staaten aus Osteuropa. "Wir glauben, dass das keine Lösung ist", sagte Rumäniens Präsident Klaus Iohannis in Bukarest. Es sei "unangemessen, über verpflichtende Quoten zu sprechen, die auf einer extrem bürokratischen Grundlage berechnet werden".

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) will am Freitag in Prag mit seinen Kollegen aus Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Polen über die Krise beraten. Am Montag diskutieren dann die EU-Innenminister über den Quotenplan. Das Europaparlament stellte sich schon am Donnerstag auf die Seite der Kommission und billigte mit deutlicher Mehrheit den Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dieser sieht vor, zur Entschärfung der Krise einen "permanenten Umverteilungsmechanismus" für Flüchtlinge einzurichten.

Dänemark will sich an der von Juncker vorgeschlagenen EU-weiten Aufnahme von 160 000 Flüchtlingen aus den besonders betroffenen EU-Staaten allerdings nicht beteiligen, meldet die dänische Nachrichtenagentur Ritzau.

Flüchtlinge reisen per Fähre nach Schweden

Nach der vorübergehenden Schließung der Grenze durch Dänemark haben sich Hunderte Flüchtlinge mit Fähren auf den Weg nach Schweden gemacht. Sie wurden Freitagfrüh in dem Land erwartet. Der Bahnverkehr in der deutsch-dänischen Grenzregion bleibt beeinträchtigt, obwohl die Grenze wieder passierbar ist. Bis zum Donnerstagabend gab es noch immer keine Fernzüge auf der Strecke Hamburg-Puttgarden-Rødby-Kopenhagen. Die Züge auf der sogenannten Vogelfluglinie konnten nicht auf die Fähren von Puttgarden nach Rødby, weil die dänische Bahngesellschaft sie der Deutschen Bahn dort nicht abnahm.

Eine Bahnsprecherin sagte am Abend, sie rechne damit, dass die Verbindung auch am Freitag zunächst nicht wieder aufgenommen werde. Hunderte Flüchtlinge hatten daher von Kiel und Rostock aus Fähren nach Schweden genommen - ihrem eigentlichen Wunsch-Asylland.

Etwa 200 von ihnen legten am Donnerstagabend mit einer Fähre von Kiel nach Göteborg ab. Nach Angaben der Bundespolizei gingen in Rostock etwa 120 Migranten am Nachmittag an Bord einer Fähre mit Ziel Trelleborg. Etwa 160 weitere nahmen nach Angaben der Wasserschutzpolizei Rostock am späten Abend Nachtfähren Richtung Schweden.

Österreich sperrt vorübergehend Grenzübergang zu Ungarn

Nach Dänemark hat auch Österreoch wegen des verstärkten Flüchtlingsandrangs aus Ungarn am Freitagmorgen die Autobahn an einem Grenzübergang zum Nachbarland vorübergehend gesperrt. Von der ungarischen Seite aus dürften bei Nickelsdorf vorerst keine Wagen in Richtung Österreich fahren, teilte der Autobahnbetreiber Asfinag mit.

Ähnlich wie in den vergangenen Tagen überquerten zahlreiche Menschen zu Fuß entlang der Fahrbahn die ungarisch-österreichische Grenze. Viele von ihnen wurden im Grenzgebiet erstversorgt, bevor sie weiter in Zügen und Bussen Richtung Wien fuhren. Am Donnerstag hatten die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) den grenzübergreifenden Zugverkehr gestoppt. Noch ist unklar, ob auch über das Wochenende keine Züge fahren werden.

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