Visumsfreiheit:Es war ein Fehler, den Flüchtlings-Deal mit der Visumfrage zu verknüpfen

Turkish President Tayyip Erdogan makes a speech at a meeting of the Union of Chambers and Commodity Exchanges of Turkey (TOBB) in Ankara

Der türkische Präsident Erdoğan: Die Visumsfreiheit ist keine Belohnung für ihn.

(Foto: REUTERS)

Die Visumfreiheit ist keine Belohnung für Erdoğan, sie wird der Türkei seit Jahren versprochen. Dass die Reisefreiheit bislang nur in eine Richtung gilt, ist Schikane.

Kommentar von Heribert Prantl

Vor 122 Jahren hat der Pazifist und spätere Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde ein Buch über den römischen Kaiser Caligula geschrieben. Diese Studie über den Cäsarenwahnsinn war unglaublich erfolgreich; sie erlebte im deutschen Kaiserreich aber nicht deswegen dreißig Auflagen, weil sich auf einmal alle für einen Autokraten des Altertums interessiert hätten. Das Buch war deshalb so knackig, weil jedem klar war, dass der Autor den Römer Caligula beschrieb, aber den Kaiser Wilhelm meinte.

Heute kann man diese Studie mit Blick auf den türkischen Präsidenten Erdoğan schreiben, der dann wahrscheinlich majestätsbeleidigt reagieren würde. Erdoğan ist einer, der von Meinungs- und Pressefreiheit nicht viel hält. Er ist einer, der Demonstranten einsperren und seine Gegner als Terroristen verurteilen lässt. Aber: Soll man die Türken für die Politik ihres Staatschefs strafen - und ihnen deswegen die Visumfreiheit verweigern? Can Dündar, der Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, den Erdoğan wegen "Spionage" zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilen ließ, hat in der Visumfreiheit eine starke Klammer zwischen der Türkei und Europa gesehen. Will man das konterkarieren? Sollen die Europagegner in der Türkei noch mehr Oberwasser kriegen?

Die Visumfreiheit ist genau genommen keine Belohnung für Erdoğan; sie ist eine Geste der Anerkennung für die Menschen in der Türkei: Es geht um Augenhöhe. Die Visumfreiheit wird ihnen seit Jahren versprochen. Deutsche haben alle Freiheiten bei der Einreise in die Türkei; Türken bei der Einreise nach Deutschland nicht. Üblicherweise gilt das Prinzip der Reziprozität: Wenn Reisefreiheit in die eine Richtung gilt, dann gilt sie auch in die andere.

Ein Denken in Triumph-Kategorien ist erdoğansches Denken

Im Verhältnis zur Türkei ist das Prinzip außer Kraft gesetzt; das ist Schikane. Diese Schikane trifft drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland; sie trifft auch die deutsche Wirtschaft, weil sie Joint Ventures erschwert. Nun wird gesagt, es könnte ja sein, dass nach der Visumfreiheit verfolgte Kurden nach Deutschland kommen und womöglich dann als Asylberechtigte anerkannt werden müssen. Wenn das wirklich so wäre - wäre es so furchtbar, dass Menschen Schutz erhalten, die ihn benötigen?

Es war ein Fehler, den Flüchtlings-Deal mit der Visumfrage zu verknüpfen. Man kann nun den Fehler perpetuieren, wenn man - um Erdoğan keinen Triumph zu gönnen - die Aufhebung der Visumpflicht verweigert, bevor nicht die türkischen Terrorgesetze revidiert sind. Dem verurteilten Chefredakteur zum Beispiel macht man damit keine Freude. Ein Denken in Triumph-Kategorien ist erdoğansches Denken.

Es ist wichtig, dass die EU auf die Menschenrechte in der Türkei achtet. Es ist aber ungut, wenn Gegner der Visumfreiheit die Menschenrechte als Vorwand nehmen. Es ist auch wichtig, den rabiaten Umgang der Türkei mit Flüchtlingen zu rügen. Glaubwürdiger würde diese Kritik, wenn Europa selber eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik betreiben würde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: