In der Krise rücken die EU-Mitgliedsstaaten enger zusammen. Immer häufiger fällt in den Reden der Begriff "politische Union". Noch weiter gehen Denker, die die Gemeinschaft von Nationalstaaten als längst überholtes Konzept sehen und ein ganz anderes Europa fordern.
Europäische Wirtschaftsregierung
Welche Idee steckt dahinter? Eine Währungsunion funktioniert nicht ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, das hat sich in der Krise gezeigt. Haushalts- und wirtschaftspolitische Entscheidungen eines EU-Lands können sich direkt auf ein anderes auswirken. Um dies künftig zu vermeiden, schwebt führenden Politikern eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung vor.
Teilweise gibt es sie schon. Zumindest in der Form, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs ehemaliger Staatschef Nicolas Sarkozy vorgeschlagen haben: als jährliche Treffen der Staats- und Regierungschefs der Euroländer.
In diese Richtung geht auch die europäische Fiskalunion: Im Dezember 2011 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Euroländer sowie acht weiterer Staaten auf den Fiskalpakt. Der sieht unter anderem eine Schuldenbremse und automatische Sanktionen für Haushaltssünder vor, also eine Art gemeinsame Schulden- und Haushaltspolitik.
Sarkozys Nachfolger François Hollande geht das nicht weit genug. Er fordert eine Euro-Wirtschaftsregierung, die sich monatlich treffen, die Steuer- und Sozialsysteme harmonisieren und gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder ausgeben soll. Offen ist, wer diese europäische Wirtschaftsregierung stellen soll: die Staats- und Regierungschefs der Euroländer? Die Kommission? Oder alle EU-Staaten, die sich auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik einigen können?
Wer hat es vorgeschlagen? In der Zeit nach der Finanzkrise kamen Forderungen nach einer Koordination der Wirtschaftspolitik vermehrt auf. Prominent aufgegriffen wurden sie etwa vom damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet. Es folgten Merkel und Sarkozy, auch bekannt als Merkozy, die sich mit diesem Vorschlag als Euro-Krisenmanager profilieren wollten.
Wem würde es nützen? Dem Euro und der Währungsunion. Allerdings gehen die Vorschläge auf Kosten der Mitgliedstaaten, die Kernkompetenzen an Brüssel abgeben müssten. Offen ist auch die Frage nach der demokratischen Legitimation einer solchen Regierung.
Wie nötig ist es? Sehr nötig. Die Krise hat gezeigt, dass eine Währungsunion koordiniertes Handeln in der Wirtschaftspolitik braucht.
Wie stehen die Chancen? Gut. Im Rahmen der Reform der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wurden bereits Gesetze verabschiedet, die in diesem Sinne interpretiert werden könnten. So kann die Kommission bereits in die nationalen Haushalte der Euroländer eingreifen. EU-Beamte überprüfen alle nationalen Haushaltsentwürfe, ob sie mit EU-Vorgaben konform sind. Die Ergebnisse dieser Analysen werden an die nationalen Parlamente geschickt. Die EU-Kommission kann Strafzahlungen verhängen, wenn ein Mitgliedstaat die Defizitkriterien nicht erfüllt.
Weniger realistisch sind Vorschläge, für die die Verträge geändert werden müssten, darunter etwa die Einführung eines europäischen Währungsfonds oder das Stimmrecht derjenigen Mitgliedstaaten im Rat auszusetzen, die zu hohe Haushaltsdefizite aufweisen. Wie schwierig es ist, die Interessen der 27 Mitgliedstaaten in Einklang zu bringen, zeigte die Bankenunion: Fünf Jahre wurde verhandelt, bis ein Kompromiss gefunden war.
Linktipps:
- Das Finanzministerium liefert einen Überblick über die neuen EU-Regeln "für Haushaltsdisziplin und verstärkte Überwachung im Euroraum"
- Wie eine Wirtschaftsregierung aussehen könnte und welche demokratischen Reformen dafür nötig wären, analysiert ein Arbeitspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung
Welche Idee steckt dahinter? Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten streben eine engere politische Zusammenarbeit an, so viel hat sich im Zuge der Krise abgezeichnet. Die Fiskal- und Bankenunion soll unter dem Dach einer politischen Union stehen. Ziel sei es, einen grundlegenden Konstruktionsfehler zu beseitigen - eine Währungsunion ohne Wirtschaftsunion, heißt es in einem Papier, das mehrere EU-Außenminister unter der Leitung von Guido Westerwelle 2012 vorgelegt haben.
Die Vorschläge beziehen sich nicht nur auf die Mitglieder der Euro-Zone, sondern auf die gesamte Europäische Union. Das Europäische Parlament soll weiter gestärkt werden - bis hin zur Gesetzesinitiative. Es soll enger mit den nationalen Parlamenten zusammenarbeiten. Insbesondere soll es mit einbezogen werden, wenn neue Kompetenzen auf europäischer Ebene geschaffen werden.
Die Außenminister schlagen einen gemeinsamen ständigen Ausschuss vor. Im Gespräch ist aber auch eine zweite Kammer für die Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission könnte demnach zu einer europäischen Regierung mit einem europäischen Finanzminister ausgebaut werden. Die Bürger könnten den Präsidenten der Kommission direkt wählen. Die Kommission würde dann zusammen mit dem Parlament Gesetze vorschlagen, gemeinsam mit der Länderkammer würden die Gesetze dann beschlossen.
Wer hat es vorgeschlagen? Im Juni 2012 machte Kanzlerin Angela Merkel deutlich, dass sie eine politische Union vorantreiben möchte, es folgte Frankreichs Präsident François Hollande sowie Kommissionschef José Manuel Barroso. Außerdem befasste sich eine sogenannte Zukunftsgruppe aus mehreren EU-Außenministern unter der Leitung von Guido Westerwelle 2012 mit Reformvorschlägen.
Wie nötig ist es? Die politische Union wäre die konsequente Weiterführung einer Wirtschaftsunion.
Wem würde es nutzen? Dem Euro und der Währungsunion. Ob die Bürger davon profitieren würden, hängt davon ab, wie die demokratische Kontrolle eines solchen politischen Zusammenrückens aussehen würde. Auf jeden Fall ginge eine solche Entwicklung auf Kosten der Mitgliedstaaten. Denn diese müssten Kernkompetenzen an Brüssel übertragen.
Wie stehen die Chancen? Gut, soweit die Vorschläge innerhalb des bestehenden Vertragswerks umsetzbar sind. Darunter fällt etwa, dass sich europäische Spitzenkandidaten um die Wähler bemühen, was bei der aktuellen Europawahl schon der Fall ist. Alles, was aber nur durch eine Änderung der Verträge umgesetzt werden könnte, ist eher unrealistisch. Denn dem müssten in mehreren Mitgliedstaaten die Bürger per Referendum zustimmen.
Linktipps:
- Horațiu Ferchiu schreibt über die Auswirkungen einer politischen Union auf dem Blog "Der (europäische) Föderalist".
- Josef Janning, Direktor des Brüsseler Think Tanks European Policy Centre über den Ausgangspunkt der Debatte, Überlegungen und Aussichten einer politischen Union
- Olaf Cramme von der Londoner Denkfabrik Policy Network und Sara Hobolt, Professorin am Europäischen Institut der London School of Economics, über die Definition des Begriffs "politische Union" und kursierende Konzepte.
Welche Idee steckt dahinter? Zu unentschieden, zu zögerlich - so lautet immer wieder der Vorwurf. Eine europäische Regierung, gebildet durch die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer, könnte dieses Dilemma lösen, glauben Befürworter der Vereinigten Staaten von Europa. Die könnten ähnlich verfasst sein wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Den Befürwortern schwebt auch ein Zweikammersystem nach US-Vorbild vor: eine Kammer mit den von den Bürgern gewählten Abgeordneten einerseits, ein Senat der Mitgliedsstaaten andererseits. Letzterer würde sich aus Vertretern der nationalen Parlamente zusammensetzen. Der europäische Regierungschef würde vom Parlament gewählt. Gleichzeitig wäre die Regierung den Abgeordneten gegenüber Rechenschaft schuldig. Konzepte wie diese existieren derzeit jedoch nur für die 18 Mitgliedstaaten der Euro-Zone.
Wer hat es vorgeschlagen? Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist alt. Der französische Schriftseller Victor Hugo träumte davon, ebenso wie der britische Premier Winston Churchill oder Altkanzler Helmut Kohl. Mit dem Vertrag von Maastricht, der 1993 in Kraft trat, einigte man sich auf eine engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit. Weitergehendere Forderungen verstummten. Erst durch die Finanzkrise und deren Auswirkungen wurden die Vereinigten Staaten von Europa wieder ein Thema. Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer wies 2011 darauf hin, dass den Mitgliedsstaaten nur dieser Weg bliebe, um die Eurozone zu retten. Die Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, gehört zu den glühendsten Verfechterinnen dieser Idee. Auch der europäische Spitzenkandidat der Liberalen, Guy Verhofstadt, der 2005 sein Manifest für ein neues Europa vorlegte, verteidigt diesen Gedanken.
Wem würde es nutzen? Befürworter erhoffen sich davon mehr Einfluss auf globaler Ebene und mehr Macht im Kampf gegen künftige Krisen. Klar ist, dass dies zulasten der Mitgliedsstaaten gehen würde, da diese Macht an Brüssel abgeben müssten.
Wie nötig ist es? Wirtschaftsexperten sagen voraus, dass die nächste Krise bald kommen könnte. Eine gemeinsame Regierung würde den Staaten der Euro-Zone eine schnellere und koordiniertere Reaktion ermöglichen. Zudem stünde das Handeln dieser Regierung unter parlamentarischer Kontrolle - anders als die Rettungsmaßnahmen, die die EU-Staats- und Regierungschefs auf Krisengipfeln ausgehandelt haben.
Wie stehen die Chancen? Seit der Finanzkrise können sich viele Staats -und Regierungschefs der Mitgliedstaaten mit dieser Idee anfreunden, darunter François Hollande, etwas zaghafter auch Bundeskanzlerin Merkel. Innerhalb der EU-Bürgerschaft zeichnet sich ein geteiltes Stimmungsbild ab: Während 63 Prozent der Italiener diese Idee befürworten, sind es bei den Deutschen lediglich 38 Prozent. Und 65 Prozent der Briten sprechen sich dagegen aus.
Welche Idee steckt dahinter? Das Modell der Vereinigten Staaten ist Teil einer anderen Debatte: Es geht darum, wie der europäische Föderalismus künftig ausgestaltet sein soll, wo also welche Kompetenzen angesiedelt sein sollen. An dem einen Ende der Skala findet sich der lose Staatenbund, in dem alle Gliedstaaten souverän und gleichberechtigt sind - ohne Zentralregierung. Am anderen Ende stünde der dezentrale Einheitsstaat, der Kompetenzen an regionale Machtzentren abgeben kann. Das Bundesverfassungsgericht vermeidet in Zusammenhang mit der EU den Begriff Staatenbund oder Bundesstaat. Es spricht lieber von "Staatenverbund". Soll heißen, die Union besitzt zwar supranationale Souveränitätsrechte, diese können aber durch zwischenstaatliche Verträge der Mitgliedstaaten geändert werden. Befürworter eines Bundesstaats fordern, dass die EU eine eigene Verfassung erhalten solle, die auch die Zuständigkeiten zwischen Union und Nationalstaaten festlegten. Juristen sprechen hier von einer Kompetenz-Kompetenz.
Wer hat es vorgeschlagen? Die Europäische Föderalismus-Debatte ist alt. Bedeutenden Einfluss hatten die Befürworter kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie machten das Konzept des Nationalstaats für den Kriegsausbruch verantwortlich und setzten sich deshalb einen europäischen Bundesstaat für die Nachkriegszeit zum Ziel. Im Europäischen Parlament will die Spinelli-Gruppe seit 2010 die Debatte über den europäischen Föderalismus neu beleben.
Wie nötig ist es? Befürworter wie Michael Link, der Staatsminister im Auswärtigen Amt, argumentieren vor allem mit einer verbesserten Krisenbewältigung.
Wie stehen die Chancen? Gering. Bereits 2005 scheiterte der Entwurf eines "Vertrags über eine Verfassung für Europa" in den Referenden in Frankreich und den Niederlande, dabei entsprach dieser noch nicht einmal einem bundesstaatlichen Modell.
Welche Idee steckt dahinter? Die Ansicht, wonach die Währungsunion die Ursache der europäischen Misere ist. Demnach ruiniert die Euro-Rettung Wirtschaft und Demokratie in den Defizitländern, erzeugt Misstrauen und Verachtung unter den europäischen Völkern. Die gemeinsame Währung müsste in einem einzigen Akt durch nationale Währungen ersetzt werden. Diese wiederum wären durch feste Wechselkurse aneinander und an eine gemeinsame Referenzwährung gebunden. Es wäre somit eine gemeinsame und geordnete Rückkehr zu dem früheren Europäischen Währungssystem.
Wer hat es vorgeschlagen? Fritz Scharpf, emeritierter Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, den das demokratische Dilemma der Euro-Rettungspolitik umtreibt.
Wie nötig ist es? Scharpf findet: Wem Europa am Herzen liegt, der muss den Abschied vom Euro befürworten. Seine Diagnose, wonach fatale Konstruktionsfehler schuld an der Euro-Krise sind, teilt er mit dem Niederländer Geert Mak, der dies in seinem Buch "Was, wenn Europa scheitert?" darlegt.
Wem nutzt es? Fraglich. Aus Scharpfs Sicht würde es den Krisenländern nutzen. Es besteht aber auch die Gefahr, dass ein System aus aneinander gekoppelten nationalen Währungen recht schnell zusammenbrechen würde - wegen Spekulationen in nicht regulierten Finanzmärkten.
Wie stehen die Chancen? Gering. Ein Rückzug aus dem Euro wäre juristisch gesehen nur möglich, wenn die Länder aus der EU austreten. Oder aber ein Land verabschiedet ein Gesetz, wonach die Gehälter seiner Staatsbediensteten, soziale Leistungen und auch Zinsen für Staatsschulden künftig in einer neuen Währung gezahlt werden. Auch sehr unwahrscheinlich.
Linktipps:
- Was würde passieren, wenn ein Land den Euro wieder abschaffen würde - ein Szenario
- Wem Europa am Herzen liegt, der muss den Abschied vom Euro befürworten - ein Plädoyer von Fritz Scharpf
Welche Idee steckt dahinter? Europa, das sind die Menschen, die hier leben - so lässt sich dieses Konzept kurz zusammenfassen. Unter dem Motto "Doing Europe" wollen die Unterstützer ein Europa der "tätigen Bürger" schaffen. Wie? Mit einem europäischen Jahr für alle. Jeder soll sich zwölf Monate verpflichtend mit Themen beschäftigen, bei denen Nationalstaaten keine Lösung anbieten können, beispielsweise Rechtsextremismus, Flüchtlingspolitik oder Klimawandel. Bezahlen soll das die Europäische Union.
Wer hat es vorgeschlagen? Bereits in den achtziger Jahren gab es erste Appelle für ein Europa der Bürger und Bürgerinnen. Grund waren die Öffnung der Grenzen und die damit verbundenen Ängste. 2006 rief die Europäische Union selbst die Bevölkerung auf, sich aktiver bei der Gestaltung der EU zu beteiligen. Sie legte Programme auf wie "Jugend in Aktion" oder "Europa für Bürger und Bürgerinnen". Nach der Finanzkrise verfassten 2012 der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit und der Soziologe Ulrich Beck das "Manifest zur Neugründung Europas von unten", das Hunderte Menschen mit ihrer Unterschrift unterstützten. Wie sie sich das genau mit dem Jahr vorstellen erklären sie in einem Artikel der Zeit.
Wem würde es nutzen? Vor allem den vielen jungen Menschen, die im Zuge der Krise arbeitslos gewesen worden sind. Deren Schicksal war ausschlaggebend für die Entstehung des Manifests.
Wie nötig ist es? Die große Popularität von europafeindlichen Parteien zeigt, wie groß die Lücke zwischen der Europäischen Union und der Bevölkerung geworden ist. Vertrauensbildende Maßnahmen wären durchaus nötig.
Wie stehen die Chancen? Einen Europäischen Freiwilligendienst gibt es bereits. Der richtet sich an Menschen zwischen 16 und 30 Jahren, hat allerdings Probleme, junge Leute aus benachteiligten Schichten zu erreichen - mehr dazu hier. Ein europäisches Jahr für alle ist eine nette Idee, nicht mehr. Es fehlen konkrete Schritte für die Umsetzung. Probleme dürften sich auch auf nationaler Ebene stellen.
Welche Idee steckt dahinter? Der Ansatz ist ein krasser Gegenentwurf zu der Idee der Vereinigten Staaten. Es geht darum, den Nationalstaat zu überwinden, Europa muss sich neu gründen, und zwar von unten, ausgehend von den Bürgern. Die Bevölkerung soll die Möglichkeit haben, direkt mitwirken zu können, bei der Bekämpfung des Klimawandels beispielsweise. Probleme wie diese lassen sich am besten dort lösen, wo sie enstehen: in den Städten. Sie gelten den Befürwortern als kreativer Ideenpool.
Wer hat es vorgeschlagen? Der Soziologe Ulrich Beck. Die Idee ist eine Weiterentwicklung des im vorherigen Beitrag erwähnten "Manifests zur Neugründung Europas von unten", das er gemeinsam mit dem grünen Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit verfasst hat.
Wem würde es nutzen? Den Bürgern, die so zentral mitwirken könnten.
Wie nötig ist es? Die Europäische Union sollte sich darüber Gedanken machen, wie sie die Bevölkerung stärker einbinden kann. Beck liefert dafür Anregungen und Denkanstöße.
Wie stehen die Chancen? Die Idee ist bisher nicht mehr als eine Skizze - von der Umsetzung weit entfernt.
Welche Idee steckt dahinter? Auch hier geht es um die Überwindung des Nationalstaats, auch dieses Konzept hält den Nationalismus für die Ursache allen Übels. Die aktuelle Krise ist die Folge von überholten Kompromissen in der Organisationsform der EU. Der Europäische Rat behindert die Überwindung der nationalen Interessen. Er soll diesem Konzept zufolge abgeschafft werden.
Das Europaparlament wird mit allen Rechten ausgestaltet. Die Abgeordneten werden in Regionen gewählt, nicht in Nationen. Das Parlament wählt die Kommissare. Die Kommission entwickelt die Gesetzesvorlagen und Richtlinien, denen das Parlament zustimmen muss.
Die Finanz-, Wirtschafts-, Steuerpolitik und alles, was regional entschieden werden kann, bleibt bei den regionalen Parlamenten. Mittelfristig also müsste man auch die nationalen Parlamente wie den Bundestag abschaffen. Der Bürger entscheidet als in seiner Region verwurzelter Europäer.
Wer hat es vorgeschlagen? Der österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse in einem lesenswerten Debattenstück in der Zeit.
Wie nötig ist es? Die Krise befördert das Denken in nationalen Kategorien. Insbesondere die Euroskeptiker punkten, indem sie nationalistische Ressentiments schüren. Der niederländische Schriftsteller Geert Mak glaubt, dass die aktuelle Krise eine hervorragende Gelegenheit bietet, dem entgegenzuwirken. Und zwar, indem man den Menschen einen neuen Begriff von Zuhause bietet - und so dem Regionalen und Lokalen in Europa mehr Aufmerksamkeit widmet.
Wem würde es nutzen? Den Bürgern.
Wie stehen die Chancen? Utopisch, wie Robert Menasse selbst einräumt. Die Abschaffung des Rats wäre mit den gegenwärtigen politischen Eliten nicht zu machen. Aber Menasse sagt auch: Die Römischen Verträge seien ein Jahr vor ihrer Unterzeichnung noch utopischer gewesen. Oder auch der Mauerfall. Man wird sehen.
Diese Idee steckt dahinter: Ein anderes Europa muss her. Es soll demokratischer, parlamentarischer, bürgernaher sein. Die Bürger sollen im Mittelpunkt stehen, nicht die Nationalstaaten. Es gibt keine nationalen Interessen. Die Regionen sollen in einem freien Zusammenschluss aufgehen, ohne ihre Eigenheiten zu verlieren.
Die Lösung wäre eine europäische Republik als Gegenentwurf zu den Vereinigten Staaten von Europa. Den Gründungsmythos liefern die Autoren gleich mit. Als Vorbild soll Platons "Politeia" dienen, der Idealstaat auf europäischer Ebene, mit gleichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten und Regeln für alle. Die EU überwindet die Idee der Nation, sie baut den ersten nachnationalen Kontinent der Geschichte auf.
Keimzelle sollte die Eurozone sein, ausgestattet mit einem "Eurozonen-Parlament". Das Wahlrecht sollte von nationalen Listen befreit sein. Die europäische Republik hat Haushalts- und Steuerhoheit, sie gibt Euro-Bonds aus, um die Mängel des Euro zu beseitigen. Eine europäische Arbeitslosenversicherung sorgt für Ausgleich und ersetzt die Transfers zwischen Geber- und Nehmerländern.
Wie nötig ist es? Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die nationalen Interessen das europäische Projekt behindern, gerade in der Krise geht der Trend zurück zum Nationalstaat. Allerdings kann heute kaum mehr ein europäischer Nationalstaat auf globaler Ebene ein Problem alleine lösen. Ein neues europäisches Projekt, das die Bürger begeistern kann, wäre deshalb dringend nötig.
Wer hat es vorgeschlagen? Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations, zusammen mit dem Schriftsteller Robert Menasse. Beide sind überzeugte Europäer, die allerdings die derzeitige Krisenpolitik kritisch sehen und immer wieder auf Konstruktionsfehler im europäischen Haus hinweisen.
Wem nutzt es? Es handelt sich um eine Utopie, gedacht für alle europäische Bürger.
Wie stehen die Chancen? Man wird ja wohl noch träumen dürfen.