Visegrad-Staaten:Zaun um Zaun

Visegrad-Staaten: Gemeinsam teilen: Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło, Ungarns Viktor Orbán, Tschechiens Bohuslav Sobotka und Robert Fico aus der Slowakei beim Treffen der Visegrád-Gruppe.

Gemeinsam teilen: Polens Ministerpräsidentin Beata Szydło, Ungarns Viktor Orbán, Tschechiens Bohuslav Sobotka und Robert Fico aus der Slowakei beim Treffen der Visegrád-Gruppe.

(Foto: Michal Cizek/AFP)

Einst drängten die Osteuropäer nach Europa. Jetzt drängen sie dazu, dass nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen.

Von Florian Hassel und Daniel Brössler

Es war ein denkwürdiger 15. Februar, an dem sich die Regierungschefs der Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) am Montag in Prag trafen. 25 Jahre ist es her, dass damalige Staats- oder Regierungschefs die Gründung dieses Viererklubs beschlossen, um ihre Länder näher an Europa heranzuführen. 25 Jahre später sehen die aktuellen Regierungschefs ihre Aufgabe vor allem darin, ihre Länder vor zu viel Europa zu schützen - jedenfalls, wenn es um nach Europa drängende Flüchtlinge geht.

Und so war nicht das Jubiläum eigentliches Thema des Prager Treffens, sondern Beratungen mit Mazedoniens Präsident Djordje Ivanov und Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow zur Kontrolle ihrer Grenzen gegenüber Griechenland beziehungsweise der Türkei.

Im Zentrum steht - vorerst - Mazedonien. Von den mehr als einer Million Flüchtlingen, die 2015 in die EU kamen, wählten mehr als 850 000 den Weg über Griechenland. Von dort aus zogen 600 000 Menschen durch Mazedonien und Serbien weiter, vor allem in Richtung Österreich und Deutschland. Ende November 2015 baute Mazedonien einen ersten Stacheldrahtzaun und ließ offiziell nur noch Syrer, Iraker und Afghanen über die Grenze.

Ungarn ist so freundlich, den Maschendraht zur Verfügung zu stellen

Am 21. Januar verlangte Mazedonien, Flüchtlinge müssten nach Österreich oder Deutschland weiterreisen. Vor dem Prager Treffen sagte Mazedoniens Präsident, der Grenzzaun habe "19 000 illegale Flüchtlinge am Betreten des Landes gehindert". Seit dem 8. Februar bauen mazedonische Soldaten einen zweiten Stacheldrahtzaun - geliefert wird Stacheldraht aus Ungarn, brüstete sich dessen Ministerpräsident Viktor Orbán. Geht es nach Orbán, soll auch Bulgarien einen Grenzzaun zur Türkei ausbauen und schärfer kontrollieren. In Mazedonien sind bisher 80 Grenzpolizisten anderer Länder, etwa Tschechiens, an der Grenzkontrolle beteiligt. Auch Österreichs Außenminister bot an, Polizisten oder selbst Soldaten mit Fahrzeugen nach Mazedonien zu schicken - für eine Kontrolle, die in einer kompletten Schließung der Grenze zu Griechenland münden könnte.

Denn der Flüchtlingsstrom aus der Türkei über Griechenland dauert an. Trotz Zaun und Kontrollen sind in Mazedonien 2016 bereits wieder knapp 81 000 Flüchtlinge angekommen, so das UN-Flüchtlingshilfswerk in Skopje. Inoffiziell dürften es noch mehr sein. Menschenrechtler etwa von Human Rights Watch berichteten einerseits, auf der griechischen Seite der Grenze kämen regelmäßig Flüchtlinge an, die von mazedonischen Grenzern mit Prügeln zur Rückkehr gezwungen würden. Andererseits nehme der Menschenschmuggel wieder stark zu. "Geht es so weiter wie bisher, mit zwei- bis dreitausend Flüchtlingen täglich, werden die Visegrad-Länder noch stärker auf Plan B dringen: die Grenze zu Griechenland faktisch zu schließen", sagte ein europäischer Diplomat.

Deutschlands Botschafter in Warschau, Prag, Budapest und Bratislava übergaben auf Weisung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Prager Treffen Demarchen, denen zufolge Berlin alle Lösungen ablehne, die auf Alleingänge und Abschottung setzen. Eine Abschottung vor allem auch Griechenlands, das mit einer Schließung der Grenze zu Mazedonien und möglichen neuen Kontrollen von Flügen faktisch aus der Schengen-Zone ausgeschlossen werden könnte. Beim Prager Treffen schreckten die Mittelosteuropäer denn auch zunächst vor einer Konfrontation zurück. Stattdessen riefen sie zur Entwicklung eines einsatzfähigen alternativen Krisenplans zur Kontrolle der Flüchtlingsströme auf dem Balkan auf - allerdings auf Basis bestehender europäischer und bilateraler Absprachen und unter Einsatz der EU-Instrumente wie Frontex. Die Visegrad-Gruppe bot Balkan-Ländern weitere praktische Unterstützung an. Nach Informationen der SZ soll indes Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras eine Teilnahme in Prag abgelehnt haben. Auch ohne Druck der Visegrad-Staaten kann es auf dem Balkan zu einer Kettenreaktion kommen. Mache etwa Österreich seinen Beschluss wahr, 2016 nur noch 37 500 Flüchtlinge aufzunehmen, schließe es seine Grenze und zögen Slowenien und Kroatien nach, werde auch "Serbien gezwungen sein, seine Grenze zu schließen, da wir nicht so viele Menschen aufnehmen können", sagte Außenminister Ivica Dacic.

Sein mazedonischer Kollege Vikola Poposki sagte in der BBC, Mazedonien müsse seine Grenze womöglich schließen. "Wir können es uns nicht leisten, abzuwarten und uns in einer Situation wiederzufinden, in der die Menschen aus Griechenland nach Mazedonien strömen und wir unsererseits an unserer Nordgrenze (Serbien) abgeschnitten werden." Sollte Mazedonien seine Grenze schließen, würden Flüchtlinge verstärkt versuchen, über Bulgarien oder auch Albanien nach Europa zu kommen, sagt ein europäischer Diplomat.

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