Sie wurden sehr grundsätzlich in ihrem Appell, die Regierungschefs Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns. "Vertrauen muss auf allen Ebenen wiederbelebt werden", schrieben die Anführer der Visegrád-Gruppe Ende Juni an die EU-Kommission: "Die echten Sorgen unserer Bürger müssen sich besser wiederfinden. Nationale Parlamente müssen gehört werden."
Tatsächlich ist mangelndes Vertrauen ein Problem - in erster Linie allerdings innerhalb der Visegrád-Staaten selbst. Niemandem misstrauen Polen und Ungarn, Tschechen und Slowaken nämlich so sehr wie der eigenen Regierung, dem jeweiligen nationalen Parlament und den heimischen Parteien. Das zeigt eine Umfrage im Auftrag der von den Ländern selbst getragenen Visegrád-Stiftung: Auf einer Skala von 1 ("volles Vertrauen") bis 4 ("volles Misstrauen") kommen die Regierenden aller Visegrád-Staaten auf einen Misstrauensgrad von mindestens 3. Volles Vertrauen genießt nur eine Institution: die Feuerwehr.
Auch dem in der gesamten EU erhobenen Eurobarometer zufolge vertrauen nur 39 Prozent der Ungarn ihrer Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán. In Polen genießt die von der rechtspopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) gestellte Regierung nur das Vertrauen eines Drittels ihrer Landsleute; das Parlament gar nur das eines Viertels. Auch die Slowaken stellen sowohl Regierung wie Parlament ein schlechtes Zeugnis aus: Ihnen vertraut nur jeder vierte Slowake. Unterboten wird dies noch in Tschechien. Nur 18 Prozent der Bürger vertrauen dort der Regierung, zwölf Prozent dem Parlament.
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Der in Prag, Budapest oder Warschau offiziell gern gescholtenen EU dagegen vertrauen noch 30 Prozent der Tschechen. Und bei Slowaken (43 Prozent), Polen (44 Prozent) und Ungarn (46 Prozent) findet Brüssel deutlich mehr Zustimmung als die heimischen Regierenden. In Westeuropa ist es oft umgekehrt.
In den Visegrád-Ländern kommt zum Misstrauen gegen die Regierenden, das zum Teil noch aus kommunistischer Zeit herrührt, auch "die kurze Geschichte der Demokratie und die Unterschiede, die wir zwischen der Idee eines demokratischen Rechtsstaats und der praktischen Umsetzung gesehen haben": So fasste der an der Visegrád-Untersuchung beteiligte Jacek Kucharski vom Warschauer Institut für öffentlichen Angelegenheiten (ISP) die Erfahrung vieler Bürger zusammen, etwa mit fragwürdigen Privatisierungen oder Korruptionsskandalen ihrer Politiker. Dazu kommt die Aufsplitterung der früher vergleichsweise egalitären Gesellschaften in Gewinner und Verlierer.
Und so glauben gut 40 Prozent der Tschechen und Polen nicht, dass sich nach dem Ende des Kommunismus 1989 die Chancen für talentierte Bürger in ihren Ländern verbessert hätten. Bei den Slowaken sieht mehr als die Hälfte der Bürger keine Verbesserung - bei den Ungarn sind es gar 59 Prozent. Zur oft schlechteren persönlichen Situation kommt etwa in Polen Propaganda wie die der PiS im Wahlkampf 2015: Die tönte seinerzeit, Polen liege "in Ruinen".
Die meisten Bürger wünschen sich eine starke Demokratie
Und so sind mehr als ein Drittel der Tschechen (35 Prozent) und Polen (37 Prozent) überzeugt, die Lage ihrer Wirtschaft sei schlecht. In Ungarn (56 Prozent) und der Slowakei (62 Prozent) glaubt dies sogar weit mehr als die Hälfte der Bürger. Tatsächlich wachsen die Wirtschaften teils rasant: in Tschechien (um 4,5 Prozent) und der Slowakei (3,5 Prozent), in Ungarn (4 Prozent) und Polen (4 Prozent).
Vor allem die Regierungen Ungarns und Polens brüsten sich gern mit ihrer angeblich hohen Popularität. Tatsächlich liegt Ungarns Fidesz-Partei nur bei 31 Prozent Zustimmung. In Polen schwankt die PiS zwischen Umfragewerten von unter 30 bis zu 40 Prozent. Beide Regierungen leben von der Schwäche ihrer Gegner: In Ungarn ist die zweitstärkste Partei, mit zehn Prozent Zustimmung, die rechtsradikale Jobbik-Partei, gefolgt von etlichen Kleinparteien. Die früher regierenden Sozialisten liegen auf Platz Drei - mit fünf Prozent. In Polen kommt die einstmals regierende "Bürgerplattform" auf 20 Prozent Zustimmung - und von einer vereinigten Opposition ist in Polen bisher nichts zu sehen.
Nicht einmal ein Drittel der Polen und nur ein gutes Viertel der Ungarn und Tschechen sehen ihr Land auf einem guten Weg - in der Slowakei sind es gar nur 22 Prozent der Bürger. 62 Prozent der Polen und 73 Prozent der Ungarn halten "mehr Demokratie" für nötig, wie die Visegrád-Umfrage zeigt. Doch handeln wollen nur wenige.
In Ungarn stellten Forscher bei der Vorstellung der Visegrád-Umfrage verbreitete Apathie und eine "Mauer der Hoffnungslosigkeit" fest. Selbst in Polen, wo die Demokratie von der PiS-Regierung mit verfassungswidrigen Gesetzen abgebaut wurde, protestierte in den letzten fünf Jahren nicht einmal jeder vierte Bürger wenigstens einmal auf einer Demonstration. 95 Prozent der Polen und Ungarn, Tschechen und Slowaken lehnen die Mitgliedschaft in einer Partei ab.
Der ISP-Forscher Jacek Kucharski kommt zu einem ernüchternden Fazit: "Wir wollen die Demokratie, aber ohne Politiker. Und gleichzeitig sind wir nicht engagiert genug, um die Sache in die eigenen Hände zu nehmen."