Visa-Ausschuss:"Ihr hättet doch alle 'Alarm' schreien können"

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Bundesaußenminister Joschka Fischer hat die Verantwortung für den umstrittenen Visa-Erlass übernommen und Versäumnisse eingestanden. Fischer bemühte sich vor dem Visa-Untersuchungsausschuss jedoch auch um Verständnis.

Vor dem Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat Außenminister Fischer erklärt: "Ich hätte früher informiert sein und eingreifen müssen, das ist mein Versäumnis. Diesen Fehler muss ich mir vorhalten und muss ich mir vorhalten lassen."

Joschka Fischer vor dem Visa-Ausschuss. (Foto: Foto: AP)

"Die Verantwortung liegt bei mir. Schreiben Sie rein: Fischer ist Schuld", sagte Fischer auf die Frage des Vorsitzenden, welche Mitarbeiter im Auswärtigen Amt Fehler gemacht haben und wie das im Protokoll festgehalten werden soll.

Von den Problemen in Kiew habe er vor seinem Ukraine-Besuch im Juli 2000 erfahren. Aber "man hat das zu einem Personal, -Ressourcen- und Managementproblem erklärt", betonte Fischer. Und das galt seiner Aussage zufolge nicht nur für ihn, sondern auch für die Opposition.

Er habe sich damals für mehr Personal für die Botschaft eingesetzt. Auch im Bundestag sei dies von anderen Parteien wie der FDP so eingestuft worden.

Berichte über kriminelle Vorfälle in Kiew "erreichten mich nach meinen Erinnerungen nicht", sagte Fischer weiter. Falls solche Berichte ihn doch erreicht hätten, dann hätte er sie den Personalproblemen zugeordnet.

Auf der anderen Seite gab es damals Hinweise darauf, dass die erhöhten Visa-Zahlen zu wirtschaftlichen Vorteilen geführt hatten.

Nach der Erklärung Fischers versuchte der Vorsitzende im Visa-Untersuchungsausschuss, Hans-Peter Uhl (CSU), den Minister für die Entscheidungen in der Botschaft in Kiew direkt verantwortlich zu machen.

Auf die Fragen des SPD-Obmanns Olaf Scholz, ob Fischer bei einem Besuch direkt von einem Botschafter in Kenntnis gesetzt worden war, erklärte der Außenminister, er können sich daran nicht erinnern. Auch ob er bereits vor 2003 Bescheid wusste, konnte Fischer "nicht rekonstruieren".

Fischer bemühte sich um Verständnis für seine Position damals und heute. "Es ist doch nicht so", erklärte der Minister, "dass ich darauf nicht im Rückblick eine andere Perspektive hätte. Aus meiner damaligen Sicht ging es um Personalstärke und Management."

"Ihr hättet doch alle 'Alarm' schreien können, 'die Hütte brennt' ", wendete Fischer sich an die anwesenden Politiker. "Aber das war ja nicht so."

Heute, nachdem er sich Stunden um Stunden mit der Aktenlage beschäftigt habe, frage er sich: "Wie war das möglich?"

Verantwortung für "Fischer-Erlass" übernommen

Bereits zuvor hatte Fischer erklärt, er übernehme die Verantwortung für den Erlass, der seiner Meinung nach ruhig als "Fischer-Erlass" bezeichnet werden dürfte.

Auch für die Formulierung "in dubio pro libertate" (im Zweifel für die Reisefreiheit) übernehme er die Verantwortung, auch wenn sie nicht von ihm stammte.

Die Herkunft dieser Formulierung konnte Fischer nicht nachvollziehen, aber "ob die Inspiration nun vom Heiligen Geist, von Mitarbeitern, von Fraktionen oder im dunklen Kellergewölbe gekommen ist, ist egal". Er habe das Papier akzeptiert - und damit sei es seines.

Für die Visa-Missbräuche sei der Erlass aus dem März 2000 jedoch nicht verantwortlich gewesen. Der Minister bezeichnete insbesondere das Verfahren der Reiseschutz-Pässe als "Auslösefaktor" für den massenhaften Visa-Missbrauch in Kiew.

Dazu kam seiner Meinung nach auch eine "hohe kriminelle Energie" nicht zuletzt auf Seiten vieler Deutscher. Dabei habe sich diese kriminelle Energie nach der Einstellung des Reisebüroverfahrens 2001 auf die Reiseschutzversicherung verlagert.

Statt das Instrument der Reiseschutz-Pässe zu reduzieren, sei es in seiner Amtszeit ausgeweitet worden. In Kiew seien die Folgen "fatal" gewesen. "Es kam zu massenhaftem Verkauf in Kiew", sagte der Minister.

Doch die Probleme bei der Bonitätsprüfung so genannter Einlader hätten sich bereits unter der Vorgängerregierung entwickelt. So seien die den Bundesländern unterstehenden Ausländerbehörden nicht ihrer Pflicht nachgekommen, diese Bonitätsprüfung vorzunehmen. Dies habe aber nicht dem Visa-Antragsteller angelastet werden sollen.

Fischer wehrte sich gegen die Vorwürfe, er habe nach der Amtsübernahme 1998 "grüne Ideologie" bei der Einreisepolitik durchsetzen wollen.

Natürlich sei es damals nicht darum gegangen, die Politik der Vorgängerregierung von Union und FDP einfach fortzusetzen, sagte Fischer. Diskutiert worden sei, welche Spielräume für eine liberalere Visa-Vergabe genutzt werden könnten. Doch sei dies alles auf den rechtlichen Grundlagen erfolgt.

Keine grüne Parteiversammlung

Es habe keine "grüne Parteiversammlung stattgefunden, sondern da saßen Beamte. Wir haben nicht in konspirativer Absicht dort gesessen, wie tricksen wir die Ausländergesetze aus?"

Die Beamten, die daran beteiligt waren, seien schon unter der Vorgängerregierung im Dienst gewesen. Ihm sei "Kompetenz und Loyalität wichtiger als ein Parteibuch", erklärte der Außenminister.

Anschließend verteidigte Fischer die Formulierung "in dubio pro libertate". In dem umstrittenen Fischer-Erlass vom März 2000 sei klar festgeschrieben worden, dass genau geprüft werden müsse. Es habe zwingende Versagungsgründe und ein mehrstufiges Prüfverfahren gegeben.

Nur am Ende, bei der Prüfung der Rückkehrbereitschaft, sei der Passus "im Zweifel für die Reisefreiheit" zum Einsatz gekommen. Schon im Vorfeld sei auch klar gewesen, dass es zu keiner substanziellen Erhöhung der Einwanderungszahlen kommen solle. Wer den Erlass kenne, könne daher schwer "von grüner Ideologie" sprechen.

Der Minister wies auch scharf den Vorwürf eines Kölner Richters zurück, die politische Führung des Auswärtigen Amtes habe mit dem Erlass "einen kalten Putsch" gegen die Gesetzeslage vorgenommen: "Dies war kein kalter Putsch irgendeiner Amtsleitung. Und dies war auch nicht ursächlich für Kiew."

Ihm selbst sei es wichtig gewesen, "dass es nicht zu einer substanziellen Erhöhung der illegalen Zuwanderungsmöglichkeiten kommt."

Eingeständnis von Fehleinschätzungen

Fischer gab zu, dass es seinerseits zu einer Fehleinschätzung gekommen war. "Sie können sagen: Sie hätten da genauer hingucken müssen. Bitte, akzeptiert."

Er wies jedoch darauf hin, dass es einen Rahmen gegeben hätte, in dem die Außenamtsmitarbeiter gehandelt hatten: "Wir wollten ja auch liberal sein - aber nicht gegen das Gesetz!"

Den Umstand, dass es einen harschen Briefwechsel mit Schily zur Visa-Affäre gegeben hatte, bezeichnete Fischer als "ganz normalen Regierungsalltag".

Auch die Frage, ob er mit dem Kanzler über das Thema gesprochen hatte, wiegelte er ab: "Wenn ich mich daran erinnern könnte, würde ich sagen: das war ganz harmlos, da war kein Geheimnis dabei."

Fischer wies darauf hin, dass bereits die Vorgängerregierung sich bemüht hatte, die Einreise zu erleichtern. So habe bereits ein Regierungsdokument vom 12.10.94 für die Visavergabe aufgefordert, "im Zweifel für den Antragsteller" zu entscheiden. Fischer: "Ich dachte, ich lese nicht richtig."

Seinem "Kollegen Kinkel" wollte er jedoch nichts vorwerfen: "Es war richtig, die Grenzen aufzumachen." Sich abzuschotten, wäre "das Dümmste für unsere Innere Sicherheit".

"Menschen müssen reisen dürfen"

Fischer verteidigte ausdrücklich die Erleichterung der Reisefreiheit. "Wir reden über Menschen, nicht über fremde Wesen." Und zu den Folgen der liberalen Praxis in der Ukraine gehöre schließlich auch die orangene Revolution. Die sei "ohne Öffnung der Grenzen nie möglich gewesen".

Wenn man die Probleme lösen wollte, "müssen die Menschen reisen dürfen", betonte Fischer. "Wir werden eine Öffnung brauchen, das sage ich jetzt nicht als Provokation."

Speziell zur Situation in der Ukraine erklärte der Außenminister, bei einem weltweit gültigen Erlass "wie diesem sagt einem schon die Lebenserfahrung, dass in Kiew ein Sonderfall vorgelegen hat."

Sogar das Reisebüroverfahren halte er für vernünftig, aber, so Fischer, "es bedarf auch einer Kontrolle."

Unter Hinweis auf einen Brief des Innenministeriums von Baden-Württemberg bemühte sich der Außenminister, die Schwierigkeiten im Umgang mit der Reisefreiheit zu verdeutlichen. Aus dem Dokument geht Fischer zufolge hervor, dass die unionsgeführte Landesregierung bat, die Bonitätsprüfung nicht umsetzen zu müssen.

"Was man in den Akten nicht so alles findet!", kommentierte Fischer. "Heißt das jetzt Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg?"

"Unsägliche Skandalisierung"

Zu Beginn seiner Aussage hatte Fischer darauf hingewiesen, dass die Union in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt hatte, es handelte sich um millionfachen Missbrauch.

Der Vorsitzende im Visa-Untersuchungsausschuss, Hans-Peter Uhl (CSU) hatte dagegen die Sitzung eröffnet mit dem Hinweis auf lediglich tausendfachen, systematischen Missbrauch der Visa-Vergabe.

Diese Aussage nahm Fischer als Aufhänger für Kritik an der Union. So sei es zu einer Reihe diffamierender persönlicher Äußerungen von Oppositionspolitikern gegen ihn selbst und den Ex-Staatsminister Ludger Volmer gekommen. Fischer sprach von einer "unsäglichen Skandalisierung ausschließlich aus machtpolitischen Gründen."

Prostitution und Menschenhandel habe nicht mit Rot-Grün begonnen, erklärte er, "Dennoch laufen Sie durch die Gegend und bezeichnen uns als Zuhälter."

Das hatte etwa der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos getan. "Dies ist niederträchtig, dies hat nichts mit Sachaufklärung zu tun", sagte er. "Der Grundsatz kann nicht sein, den Gegner persönlich herabzuwürdigen und zu diffamieren", betonte Fischer.

Durch Äußerungen von Unionspolitikern sei das Volk der Ukrainer in eine Ecke mit Kriminellen, Zwangsprostituierten und Schwarzarbeitern gestellt worden. "Das finde ich schlimm", sagte Fischer. "Die These, dass unser Land von Kriminellen überflutet worden sei, ist schlichte Propaganda."

Vorwurf der Liberalisierung der Einreise-Politik

Fischer hatte im Februar die "politische Verantwortung" für etwaige Fehler im Zusammenhang mit der Visa-Affäre übernommen, sich aber noch nie im Detail zu den Vorwürfen geäußert.

Die Union wirft Fischer vor, mit der Liberalisierung der Einreise-Politik für massenhaften Visa-Missbrauch verantwortlich zu sein.

CDU-Obmann Eckart von Klaeden hatte unmittelbar vor Beginn der Sitzung gesagt, es müsse jetzt endlich geklärt werden, wer für den Visa-Missbrauch verantwortlich sei. Fischer könne sich nicht wie viele seine Mitarbeiter auf Erinnerungslücken berufen.

In der Befragung legte der CDU-Politiker Reinhard Grindel dem Außenminister nahe, zurückzutreten. In Anspielung auf die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die 2001 wegen einer Informationspanne in der BSE-Krise zurückgetreten war, sagte er: "Die Frage ist, ob man die Maßstäbe, die Sie an Andrea Fischer gelegt haben, nicht auch an einen Joschka Fischer legen muss."

Darauf konterte Fischer: "Wenn Sie meinen Rücktritt wollen, müssen Sie nur einen Antrag im Parlament stellen und darüber abstimmen lassen."

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