Virtueller Kongress:"Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr"

Corona-Bonuszahlungen in der Altenpflege

Pflegekräfte werden seit der Corona-Pandemie als systemrelevant angesehen, verbessert hat sich ihre Lage trotzdem nicht.

(Foto: Tom Weller/dpa)

Auf dem Deutschen Pflegetag herrscht Einigkeit, dass sich die Rahmenbedingungen in der Pflege verbessern müssen. Die Branche will sich dafür mehr Gehör in der Politik verschaffen.

Von Rainer Stadler, München

Der Deutsche Pflegetag 2020 war schon mit kräftigem Verzug gestartet, ursprünglich sollte er im März stattfinden, doch dann kam das Virus dazwischen. Am Mittwochmorgen nun, acht Monate später, kommen 25 Minuten Verspätung dazu, bis der Livestream im Internet steht und der dauerfröhliche Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen die wenigen in Berlin anwesenden Teilnehmer begrüßen darf.

Der zweitägige Pflegekongress findet pandemiebedingt erstmals überwiegend digital statt. Angela Merkel hat eine knapp zweiminütige Videobotschaft aus dem Kanzleramt geschickt. Sie mahnt, die Pflegebedürftigen in den Heimen während der zweiten Corona-Welle nicht im Stich zu lassen. Spielräume für soziale Kontakte und Besuche müssten ausgeschöpft werden. Der Schutz der Gesundheit von Pflegebedürftigen habe hohe Priorität, "aber Schutz allein kann nicht die einzige Antwort sein, denn gerade ältere Menschen leiden unter Einsamkeit", sagt Merkel.

Der Präsident erinnert an eine Aktion im Jahr 2008

Anschließend hält Franz Wagner, der Präsident des Deutschen Pflegerats, eine Rede, die in den Grundaussagen so schon vor zehn oder dreißig Jahren möglich gewesen wäre. Das ist Wagner bewusst, er erwähnt eine Unterschriftenaktion aus dem Jahr 2008, als mehr als eine Viertelmillion Pflegekräfte klagten: "Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr!" Seitdem habe sich kaum etwas geändert. Deshalb wiederholt Wagner die oft wiederholte Forderung: Es braucht mehr Personal, bessere Rahmenbedingungen und bessere Bezahlung in der Pflege.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen dürfte freilich eine andere Nachricht interessieren, die an diesem Tag die Runde macht: Ein Papier aus dem Bundesgesundheitsministerium sieht vor, den Eigenanteil pro Heimplatz auf 700 Euro zu begrenzen. Bisher zahlen Heimbewohner in Deutschland durchschnittlich 786 Euro.

Pflegefunktionär Wagner sagt, Corona habe die Misere der Branche noch einmal aufgezeigt und habe viele Pflegende überfordert. Immerhin würden Pflegekräfte nun als systemrelevant wahrgenommen. Allerdings: "In den Krisenstäben dürfen sie immer noch nicht mitreden." Es sei auch an der Pflegebranche selbst, für mehr Einfluss zu kämpfen, sagt Wagner. Er empfiehlt die Pflegekammern als "machtvolle Vertretung", die sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen soll.

Ein weiterer Streitfall sind die Pflegekammern

Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer, wurde ebenfalls zum Pflegetag eingeladen, als leuchtendes Vorbild sozusagen. Ihm gelang es tatsächlich vor Kurzem, sich öffentlich Gehör zu verschaffen - indem er öffentlich den Sinn der Maskenpflicht anzweifelte. Die von ihm vertretene Ärzteschaft war darüber nicht glücklich. Auch in den Pflegekammern rumort es, in Niedersachsen wurde vor Kurzem sogar das Aus der Standesvertretung beschlossen, nachdem zwei Drittel der Vertretenen gegen sie stimmten. Es dürfte schwer werden, sie nun für eine bundesweite Pflegekammer zu begeistern, die gerade aufgebaut wird.

Auch inhaltlich gibt es viele Uneinigkeiten in der Branche. Das fängt beim Berufsbild an: Die Verbände fordern seit Jahren eine Akademisierung der Pflege, um den Beruf aufzuwerten. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), eine weitere Teilnehmerin des Pflegetags, hielt das nicht ab, eine Videoserie produzieren zu lassen, die kürzlich vorgestellt wurde und Nachwuchs für die Pflege anlocken sollte: Der Hauptprotagonist hatte mehrere Lehren abgebrochen und besuchte nun die Pflegeschule, um später mal, wie er es ausdrückte, "mit Alten und Kranken und so" zu chillen.

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