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Wahl in Ungarn:Die Ungarn entscheiden über Europas Zukunft

Bei der heutigen Wahl geht es nicht nur darum, ob Viktor Orbán seine vierte Amtszeit gewinnt. Der Premier höhlt die europäische Idee konsequent aus und findet in der EU immer mehr Verbündete. Es wird höchste Zeit für Gegenwehr.

Kommentar von Peter Münch, Budapest

Knapp zehn Millionen Menschen leben im schönen Ungarn. Das sind weniger als zwei Prozent der EU-Gesamtbevölkerung, und im Größenvergleich der 28 Mitgliedstaaten bleibt damit nur ein Platz im Mittelfeld. Dass Ungarn dennoch weit stärker die europäischen Debatten prägt als zum Beispiel Tschechien oder Schweden, hat einen einzigen Grund: Viktor Orbán. Der Regierungschef aus Budapest hat bewiesen, dass in der EU der Schwanz mit dem Hund wedeln kann. Er hat Grenzen geschlossen und Grenzen überschritten. Wenn nun am Sonntag die ungarischen Wähler bei der Parlamentswahl darüber entscheiden, ob Orbán seine insgesamt vierte Amtszeit erhält, sollte das also auch den 98-prozentigen Rest Europas interessieren.

Denn Viktor Orbán, so hat er es jüngst selbst verkündet, verfolgt eine "europäische Mission". Diese Mission besteht darin, das "christliche Europa" gegen die "muslimischen Invasoren" zu verteidigen. Die Rettung des Abendlandes auf Orbáns Art allerdings hat einen Preis: Mitten in Europa werden wieder Zäune errichtet, gepredigt wird die Rückbesinnung auf den Nationalismus, und die europäische Idee dabei wird ebenso ausgehöhlt wie die ungarische Demokratie.

Nicht heimlich, sondern offen und prallstolz wird all dies betrieben, und natürlich konnte das auch niemandem in der EU verborgen bleiben. Zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren sind gegen Ungarn anhängig - wegen der Verweigerung der Solidarität bei der Flüchtlingsverteilung ebenso wie wegen mehrerer höchst zweifelhafter Gesetzesvorhaben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Orbán deshalb schon einmal mit den Worten "Hallo Diktator" begrüßt. Aber das war natürlich nur ein Späßchen, Schulterklopfen inklusive.

Orbán aber meint es ernst mit dem Umbau Ungarns zu der von ihm proklamierten "illiberalen Demokratie". Kritik aus der EU kontert er - den Milliarden Subventionen zum Trotz - mit einer "Stopp-Brüssel-Kampagne", die ihm noch dabei hilft, in der Heimat die Reihen zu schließen. Gegen solche Chuzpe hat die EU keinen Hebel gefunden. Zum einen, weil das für den auf Harmonie gepolten Klub immer noch ein eher neues Phänomen ist. Zum anderen, weil sich Orbán dadurch geschützt weiß, dass seine Fidesz-Abgeordneten im EU-Parlament zur Fraktion der Europäischen Volkspartei gehören.

Europa zeigt sich zahnlos gegen Viktor Orbán - und das rächt sich

Die EU also zeigt sich zahnlos gegen diesen Zampano - und das rächt sich. Denn Viktor Orbán ist zum Rollenmodell für die europäischen Rechtspopulisten geworden, und er findet innerhalb der EU immer mehr Verbündete. Der Pole Jarosław Kaczyński hatte ihm schon 2016 versichert: "Wir lernen aus deinem Beispiel." Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ beruft sich gern auf ihn, und auch Italien könnte bald ins Orbánsche Fahrwasser geraten.

Ungarns Wähler entscheiden also am Sonntag nicht nur über das Schicksal ihres Landes, sondern auch über Europas Zukunft. Wenn Orbán seine Wahlsiege von 2010 und 2014 wiederholt, dann wird das jene Kräfte weiter stärken, die das Zusammenwachsen Europas auf dem Altar ihrer Nationalismen opfern. Allerdings ist Europa auch nicht dazu verdammt, dem tatenlos zuzusehen. Dann wird es höchste Zeit für eine Gegenwehr.

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SZ vom 07.04.2018/mati
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