Vietnam:Weiter so mit "Onkel Ho"

Preparations For Vietnam's Communist Party Congress

Die Partei duldet nur "stille, unterwürfige Bürger": Werbeplakat für den 13. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Vietnams in Hanoi.

(Foto: Linh Pham/Getty Images)

Die Kommunistische Partei in Vietnam strotzt vor Selbstbewusstsein: Das Coronavirus wurde erfolgreich eingedämmt, die Wirtschaft wächst. Beim Nationalkongress nächste Woche will sie eine Vision für die nächsten Jahrzehnte vorlegen. Politische Lockerungen sind darin nicht vorgesehen.

Von Arne Perras, München

Das Militär in Hanoi überlässt nichts dem Zufall, es hat schon Tage zuvor zackig geübt. Die Staatspresse zeigte die Soldaten in blütenweißen Paradeuniformen, wie sie bei einer Generalprobe strammstehend jenen Weg säumten, den die Delegierten des 13. Nationalen Kongresses der Kommunistischen Partei in dieser Woche nehmen, um zum Mausoleum von Ho Chi Minh zu fahren. Das Bekenntnis zum spitzbärtigen Visionär und Übervater der sozialistischen Nation darf nicht fehlen bei einer Zusammenkunft, die von so großer politischer Bedeutung ist und nun auch über die künftige Führung Vietnams entscheiden wird.

Aufgebahrt und einbalsamiert liegt der 1969 verstorbene Gründer der Partei in einer tiefgekühlten Halle - auch wenn er das so nie wollte. Dem Besucher im Mausoleum bleibt gewöhnlich nicht mehr als eine halbe Minute, um den Leichnam im Glaskasten zu umrunden, so lange dauert es vom Eingang bis zum Ausgang. Stehenbleiben verboten. Ob die Parteitagsdelegierten länger verweilen dürfen, um "Onkel Ho" die Referenz zu erweisen, ist nicht bekannt, es wäre nicht verwunderlich, personifiziert er doch das ideologische Erbe, auf das die gesamte kommunistische Partei Vietnams ihre Macht baut.

Eine Rekordzahl von 1587 Delegierten kündigte die Staatspresse für das Treffen an, das bis zum 2. Februar dauern wird. In den offiziellen Verlautbarungen ist die Rede davon, dass die Planungen weit in die Zukunft reichen werden. Es gehe nicht allein um die nächsten fünf Jahre, erklärte Nguyen Xuan Thang, Generalsekretär des Zentralkomitees der KP, "wir legen eine Vision und Orientierung bis zur Mitte des Jahrhunderts vor". Wer immer dies für überzogen halten mag, kann dies kaum offen infrage stellen. Vietnam ist ein autoritärer Einparteienstaat, der Kritik nur in sehr engen Grenzen toleriert.

Der Staat verzeichnete 2020 ein Wachstum - trotz Corona

Das Coronavirus hat das Land bislang so drastisch eingedämmt wie nur wenige andere Länder der Welt, registriert wurden 1544 Covid-19-Fälle und 35 Corona-Tote, die Erfolge werden weltweit von Experten anerkannt. Sie ermöglichten es Vietnam, die Wirtschaft früher als andere Länder wieder in Gang zu setzen, der Staat verzeichnete 2020 sogar ein Wachstum von zwei bis drei Prozent, während andere, etwa Indonesien, gar in die Rezession rutschten.

Insofern geht die Parteiführung in Hanoi nun gestärkt in ihre Konferenz, auf der alle fünf Jahre neben thematischen Debatten auch das Zentralkomitee, das Politbüro und schließlich das oberste Quartett bestimmt werden. Vier Posten gelten als zentrale Säulen der Macht: Der Parteichef, der Staatspräsident, der Premierminister und der Vorsitzende der Generalversammlung.

Beim letzten Mal hatte sich Nguyen Phu Trong an die Spitze der Partei gearbeitet, der 77-Jährige gilt derzeit als mächtigster Mann, er setzte sich damals gegen das Lager des Premiers Nguyen Tan Dung durch, dessen Anhänger als besonders wirtschaftsnah galten. Trong, der auch das Amt des Staatspräsidenten innehat, ist als strikter Ideologe bekannt und hat sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben, der allerdings auch eine machtpolitische Dimension hat. Trong hat damit tiefe Gräben in der Partei aufgerissen und rivalisierende Kräfte geschwächt.

Obgleich bekannt ist, dass es um die Gesundheit Trongs nicht zum Besten steht, zeichnete sich ab, dass er weiterhin KP-Chef bleiben dürfte. Sollte er allerdings, wie manche erwarten, zumindest das Amt des Staatspräsidenten abgeben, so könnte Premier Nguyen Xuan Phuc, der bislang die Wirtschaft steuerte, in diese Position aufrücken. Phuc ist zehn Jahre jünger als Trong. Gute Aussichten, neuer Regierungschef zu werden, hätte in diesem Fall der Funktionär Pham Minh Chinh, obgleich er über weniger wirtschaftliche Erfahrung verfügt als frühere Premiers in Hanoi. "Überraschungen in letzter Minute sind möglich, aber nicht wahrscheinlich", schreibt Vietnam-Experte Le Hong Hiep auf der Plattform East Asia Forum.

KP-Chef Trong hat bis zuletzt nicht erkennen lassen, dass er im Zuge des ökonomischen Aufstiegs bereit wäre, politische Freiheiten zu gewähren. Im Gegenteil: Kurz vor Beginn des Kongresses wurden erneut Kritiker zu Haftstrafen verurteilt. Die Organisation Human Rights Watch beklagt, dass Hanois Propaganda zwar "Freiheit, Glück und Unabhängigkeit" feiere, dass die Führung aber in Wahrheit nur "stille und unterwürfige Bürger" wolle.

Seit 2016 wurden 280 Menschen wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" verhaftet

Die 38-Jährige Dinh Thi Thu Thuy, die sich auf Facebook für politische Gefangene einsetzte, wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, der Blogger Pham Chi Dung muss zur Strafe für seine Kritik am Staat 15 Jahre ins Gefängnis. Die Härte deutet darauf hin, dass die Sorge vor wachsendem Dissens im Internet die Partei stärker umtreiben dürfte, als sie es öffentlich zugibt. Sie straft, um abzuschrecken. Und sie tut es immer öfter. Seit 2016 verhaftete sie 280 Bürger wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten". In den fünf Jahren zuvor waren es noch 68, wie das Magazin Economist berichtet.

Politische Repression war bislang ein wichtiges Werkzeug, um den Einparteienstaat zu sichern, gleichzeitig gelang es der Führung, viele Millionen Vietnamesen aus der Armut zu holen. Nun häufen sich allerdings die Anzeichen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, vielleicht die größte Herausforderung, die Hanoi zu meistern hat. Am Ehrgeiz der Parteiführung, das politische System zu festigen, ändert dies wenig. Und die Partei hat das Ziel fest vor Augen: bis 2045 will sie - auch ohne politische Freiheiten - das Land in die Riege der wohlhabendsten Staaten der Welt katapultieren.

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