Süddeutsche Zeitung

Attentat von Tucson:Palin und die Ritualmordlegende

Mit ihrer Videobotschaft zum Attentat von Tucson will Sarah Palin angeblich Anteilnahme zeigen. Tatsächlich jedoch verteidigt sie sich vor allem selbst - und greift dabei zu einem extrem umstrittenen Begriff.

Barbara Vorsamer

Pontius Pilatus "wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten, sehet ihr zu! Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder." Ein Zitat aus der Bibel, genauer dem Evangelium des Matthäus, noch genauer: Der sogenannte Blutanklage-Paragraph. Christliche Fanatiker und Antisemiten beriefen sich auf den Passus, um Juden Ritualmorde an Kindern vorzuwerfen (angeblich würden sie ihr Pessach-Brot mit dem Blut backen) und begründeten so über Jahrhunderte Pogrome und Judenverfolgung.

Die amerikanische Politikerin Sarah Palin gilt als tief religiös und bibelfest. Es darf daher angenommen werden, dass sie den Begriff "blood libel" (zu deutsch: Blutanklage, Ritualmordlegende) nicht aus Versehen verwendete. In ihrer Videobotschaft zum Attentat von Tucson, bei dem sechs Menschen starben und die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords schwer verletzt wurde, sagte sie: "Journalisten und Experten sollten keine Blutanklage fabrizieren, die nur dazu dient, zu jenem Hass und jener Gewalt anzustacheln, die sie angeblich verurteilen."

Nun tobt in Amerikas Medien die Diskussion: Darf eine Politikerin einen so umstrittenen Begriff wie "blood libel" verwenden? Das Video wird von Amerikas Fernsehsendern rauf und runter gespielt und verbreitet sich viral im Netz - Palin ist mal wieder in den Schlagzeilen.

Sie selbst wäscht ihre Hände in Unschuld und wehrt sich in dem Video gegen die in den vergangenen Tagen laut gewordenen Vorwürfe, sie habe mit ihrer oft martialischen Rhetorik ("Nicht nachgeben - nachladen!") den Schützen möglicherweise zu seiner Tat inspiriert. Besonders in der Kritik stand eine Karte auf ihrer Website, in der Fadenkreuze die Wahlkreise von zu besiegenden Demokraten markierten - darunter der Distrikt der nun schwerverletzten Abgeordneten.

Auf Palins Abschussliste

Giffords hatte bereits im vergangenen Wahlkampf dazu gesagt: "Wir stehen auf Sarah Palins Abschussliste. Wenn solche Leute so etwas tun, muss ihnen klar sein, dass solche Aktionen Konsequenzen haben."

Nach der Schießerei von Tucson war die Konsequenz für Palin massive Kritik von allen Seiten - besonders natürlich in den liberalen Medien, aber auch aus ihrer eigenen Partei. Tim Pawlenty, ehemaliger Gouverneur von Minnesota und einer der potentiellen republikanischen Präsidentschaftsanwärter für 2012, sagte in der New York Times, er würde eine solche Karte mit Fadenkreuzen nicht billigen.

Auch Palin wird immer wieder nachgesagt, sie wolle 2012 Präsident Barack Obama herausfordern. In vielen Medien ist ihre Videobotschaft auch dahingehend interpretiert worden, dass sie sich staatsmännisch und versöhnend zeigen wolle. In dem professionell produzierten Clip sitzt die rechte Medienikone im gedeckten Jackett vor Kamin und amerikanischer Flagge und schraubt sogar ihren sonst schrillen Sprachduktus auf ein erträgliches Maß herunter.

Nach nur wenigen Worten der Anteilnahme - ganze vier Tage nach dem Attentat - nutzt sie den Auftritt dann allerdings vor allem, um sich persönlich zu verteidigen. Sie entschuldigt sich nicht für die umstrittene Karte und bestreitet stattdessen, in irgendeiner Art und Weise zu dem Attentat beigetragen zu haben ("Kriminelle Taten beginnen und enden mit den Kriminellen, die sie begehen.") Es sei falsch, sagt die Fox-News-Moderatorin weiter, für Massenmorde andere Menschen derselben Nationalität, Ethnie oder Religion "kollektiv" verantwortlich zu machen.

"Außer natürlich, es handelt sich um Muslime", ätzt darauf hin das linke Online-Magazin Slate und erinnert an Palins Worte zur "Ground-Zero-Moschee" (die, daran erinnert auch Slate, weder eine Moschee war, noch am Ground Zero erbaut werden sollte). Vergangenes Jahr argumentierte Palin mit Verve gegen einen muslimischen Gebetsraum, der einige Straßen vom Ort der Terroranschläge des 11. September 2001 eingerichtet werden sollte, obwohl sich die Betreiber ausdrücklich von jeglichem Extremismus distanziert hatten. Slate kommentiert daher: "Ihre Position ist es, dass die monströsen kriminellen Akte von 9/11 nicht mit den Kriminellen enden, die sie begangen haben. (...) Alle Muslime sind verantwortlich."

Mit ihrer Referenz auf die antisemitische Ritualmordlegende hat Palin nun die nächste religiöse Gruppe gegen sich aufgebracht. Der Begriff "blood libel" sei besonders fehl am Platz, da auch die Abgeordnete Giffords Jüdin sei, schreiben viele. Die Demokratin ist die erste jüdische Abgeordnete aus Arizona.

Die pro-israelische Lobbyorganisation J Street fordert von Palin eine Entschuldigung dafür, dass sie einen Begriff verwende, der viele Juden "schmerze und beleidige." Die amerikanische Anti-Defamation League, die sich gegen Antisemitismus engagiert, wünscht sich öffentlich, dass die Politikerin einen anderen Begriff gewählt hätte. In der israelischen Zeitung Haaretz betont der Vorsitzende des Jewish Funds for Justice, dass "Blutanklage" kein Synonym für eine falsche Anschuldigung sei. Solange niemand Palin vorwerfe, dass sie Kinder töte und aus ihrem Blut Brot backe, sei die Verwendung des Begriffes "völlig verfehlt".

Fast 20.000 Palin-Fans haben jedoch keine Probleme mit ihrer Formulierung. So viele haben bereits auf "Gefällt mir" unter ihrer Facebook-Videobotschaft geklickt.

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