Europäische Union:Warum Margrethe Vestager EU-Kommissionschefin werden könnte

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Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat sich einen Namen gemacht, indem sie sich mit den mächtigsten Konzernen der Welt angelegt hat. (Foto: REUTERS)
  • EU-Kommissarin Margrethe Vestager könnte nach der Europawahl auf Kommissionspräsident Juncker folgen.
  • Sie wird unterstützt von den liberalen Premierministern der Benelux-Staaten und Frankreichs Präsident Macron.
  • Im Vergleich zu EVP-Kandidat Weber und dem Sozialdemokraten Timmermans wirkt die Dänin moderner und zupackender.
  • Das einzige Problem an der Sache: Die Liberalen wollen nicht mit einer Spitzenkandidatin in die Europawahl ziehen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist nicht die große Bühne, aber immerhin ein Anfang. Christian Lindner steht am Mittwochabend in der NRW-Landesvertretung in Brüssel und begrüßt einen besonderen Gast: Margrethe Vestager - "unseren liberalen Superstar". Doch bevor die EU-Kommissarin beim Neujahrsempfang der FDP sprechen darf, ist der Chef selbst dran. Lindner also steht vor einer Stellwand seiner Bundestagsfraktion und sagt, dass die Freien Demokraten ihr letztes Ergebnis bei der Europawahl "mindestens verdreifachen" wollen: "Es wäre doch gelacht, wenn es nicht gelänge, von 3,4 auf 10 Prozent zu kommen."

Der FDP-Vorsitzende ist guter Laune, was auch daran liegt, dass Europas Liberale in Vestager jemanden haben, der auf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker folgen könnte. Die Dänin wird zurzeit nicht nur von Lindner hofiert. Auch die liberalen Premierminister der Benelux-Staaten sähen Vestager gerne an der Spitze der mächtigsten Behörde Europas. Als Favoritin von Emmanuel Macron gilt sie sowieso. Mit der En-Marche-Bewegung des französischen Präsidenten könnte die liberale Alde-Fraktion, zu der auch die FDP gehört, ein Bündnis schmieden. Beide eint der Wille, einen konservativen Kommissionschef Manfred Weber zu verhindern.

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Und so klatscht Vestager an diesem Brüsseler Abend Beifall, als Lindner davon spricht, dass die Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrem Spitzenkandidaten Weber "in inneren Widersprüchen gefangen" sei. Auf der einen Seite stehe in Angela Merkel eine Vertreterin des Multilateralismus; auf der anderen Viktor Orbán, der eine antiliberale Demokratie wolle. Und nachdem die europäischen Sozialdemokraten ohnehin "marginalisiert" seien, gebe es für die Liberalen eine "große Chance".

Ihr Name lautet Margrethe Vestager. Als EU-Kommissarin ist sie für Wettbewerb zuständig. Die 50-Jährige muss das schützen, was die Europäische Union noch immer am stärksten zusammenhält: den Binnenmarkt. Vestager hat sich mit den mächtigsten Konzernen der Welt angelegt. Mit Google und Facebook, Apple und Amazon. Die Dänin hat es geschafft, dass die EU nicht mehr ganz so wehrlos erscheint gegenüber den Tech-Giganten aus dem Silicon Valley. Sie steht für ein Europa, das für seine Interessen kämpft.

Als Vestager an diesem Abend mit ihrer Rede beginnt, zeigt sie, warum sie es geschafft hat, in Europa aufzufallen - anders als die meisten ihrer Kommissarskollegen. Die Dänin versteht es, die Komplexität der Welt in einfache Worte zu fassen. Sie spricht eine Sprache, die jeder versteht. Und sie tut das auf eine unverkrampfte Weise. Vestager sagt: "Pessimismus ist zwar in Mode, aber ich bin lieber eine Optimistin." Bei all den Problemen, die unsere Welt umtreibt, will sie sich eines nicht nehmen lassen: ihre Lebensfreude. Sie sagt: "Europa ist der beste Ort zum Leben."

Im Vergleich zu CSU-Mann Weber und dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans wirkt die Dänin moderner und zupackender. Vestager ist herzlich im Ton, aber hart in der Sache. Wenn es darum geht, wer von den dreien an der Kommissionsspitze stehen könnte, gibt es einige Faktoren, die am Ende ausschlaggebend sein dürften. Vestagers Problem ist, dass sie nicht für das EU-Parlament kandidiert; und anders als etwa EVP und Grüne wollen die Liberalen nicht mit einer Spitzenkandidatin in die Wahl im Mai ziehen. Das empfinden viele Abgeordnete als nicht besonders demokratisch.

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Macron und den liberalen Premierministern ist das aber ziemlich egal. Sie pochen darauf, dass die Staats- und Regierungschefs bei der Besetzung europäischer Spitzenposten das entscheidende Wort haben. Wer auf Juncker folgt, wird auch davon abhängen, an wen die anderen Top-Jobs der EU vergeben werden. An der EVP wird bei diesem Postengeschacher kein Weg vorbeiführen. Die Christdemokraten dürften wieder die stärkste Fraktion im Europaparlament stellen. Sollte es ihrem Spitzenkandidaten Weber allerdings nicht gelingen, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln, könnte Vestagers große Stunde schlagen. Zusammen mit Macrons En-Marche-Bewegung könnten die Liberalen eine Allianz mit Grünen, Sozialdemokraten und anderen proeuropäischen Kräften eingehen, um Weber auszubooten.

Für die Alde-Fraktion ist es jedoch nicht so einfach, mit En Marche zusammenzukommen. In Brüssel, Berlin und anderswo stöhnen die Liberalen darüber, wie chaotisch Macrons Truppe sei. Von Organisation so gut wie keine Spur - und am Ende müssten alle darauf warten, dass der Anführer entscheidet. Bislang lässt Macron auf sich warten. Was aber für die Liberalen nicht so schlimm ist, seit der Franzose mit den Protesten der Gelbwesten zu tun hat. So viele Stimmen, wie zu Beginn von Macrons Amtszeit erhofft, dürfte En Marche bei der Europawahl bei Weitem nicht mehr erhalten. Trotzdem: Um Christ- und Sozialdemokraten etwas entgegensetzen zu können, brauchen die Liberalen Macron.

Ob Vestager dann diejenige sein wird, auf die es ankommt, ist offen. Denn der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen gehört einer anderen Partei als Vestager an und hat klargemacht, dass er sie nicht noch einmal als Kommissarin nach Brüssel schicken will. Ob er auch etwas dagegen hat, wenn eine Dänin an der Spitze der Kommission stehen könnte? Darauf hat er bisher nicht wirklich geantwortet.

Vestager dürfte jedenfalls das ihre dazu beitragen, weiter im Gespräch zu bleiben. Im Februar wollen Europas Liberale ihr "Spitzenteam" vorstellen, zu dem neben Alde-Fraktionschef Guy Verhofstadt auch die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicola Beer gehören soll. Ob Vestager dann auch dabei sein wird? Die Hoffnung innerhalb ihrer Parteienfamilie ist jedenfalls groß. Am Sonntag wird die Dänin in Berlin erwartet. Lindner hat sie zum Europaparteitag der FDP eingeladen. In Brüssel sagt er schon mal: "Margrethe, wir erwarten noch viel von dir."

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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