Verwundete im Ersten Weltkrieg:Von der Front gezeichnet

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Deutsche Verwundete in einem Lazarett - allerdings nicht in München, sondern in Warschau (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Schon kurz nach Kriegsbeginn treffen im Sommer 1914 erste Verwundete in den Lazaretten ein. Die hohe Zahl der Verletzten stellt die Krankenhäuser vor große Herausforderungen, hat aber auch positive Effekte.

Von Stephan Handel

Wer will schon mit einem Loch im Kopf weiterleben? Bis in die 1910er Jahre war das allerdings die gängige Behandlungsmethode bei Schädelverletzungen. Schusswunden etwa sollten nur gereinigt und leicht tamponiert werden.

Ein junger Feldarzt, gebürtiger Allgäuer, wollte sich damit nicht zufriedengeben. Er fing an, die Kopfwunden zu verschließen, wurde dafür von seinen Kollegen harsch angegriffen - doch er behielt recht: die Überlebensraten seiner Patienten stiegen dramatisch. Heute ist die Methode von Emil Karl Frey, 1888 in Kaufbeuren geboren, Standard in der Medizin.

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Es mag zynisch klingen, aber Kriegszeiten sind gute Zeiten für die medizinische Forschung: Große Fallzahlen mit vielen schweren Verwundungen - da können die Ärzte hergebrachte Therapien verbessern und mit neuen experimentieren. Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg der Geschichte, bei dem die Zahl der Verwundeten die Zahl anderweitig Erkrankter - etwa an Durchfall durch schlechte Hygiene - übertraf.

Zudem brachten neue Waffen neue Krankheitsbilder. Vor allem der Einsatz von Giftgas war eine Herausforderung für die Ärzte, denn die Patienten litten furchtbar. Eine englische Krankenschwester beschrieb das Grauen in den Lazaretten: "... ganze Krankenstationen voller Männer, die nach Atem ringen, mit dem furchtbaren Krächzen ihrer Agonie, mit blauen Gesichtern und fahler Haut, und am schlimmsten: mit dem Terror in ihren Blicken, wenn die Flüssigkeit in ihren Lungen höher und höher steigt, in der sie schließlich ertrinken werden."

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Die erstarrten Fronten, vor allem im Westen, mit ihrem Dauer-Granatenbeschuss waren verantwortlich für schlimmste Schädel- und andere Knochenverletzungen - dabei aber auch Auslöser für Fortschritte in der Chirurgie. In England wurde die Methode erfunden, gebrochene Gliedmaßen zu schienen, was vielen Menschen die Amputation ersparte.

Experimente mit Prothesen

Falls es aber doch einmal notwendig war, einen Arm oder ein Bein abzuschneiden, dann gab es einen deutschen Arzt in Zürich, der mit künstlichen Gliedmaßen experimentierte, damals meistens noch aus Holz geschnitzt. Nach dem Krieg arbeitete dieser Arzt zehn Jahre lang am Münchner Universitätsklinikum in der Nußbaumstraße, bevor er nach Berlin an die Charité ging und einer der berühmtesten Ärzte der deutschen Medizingeschichte wurde: Ferdinand Sauerbruch.

Er gründete in München die Dersa - Deutsche Ersatzglieder-Werkstätten Sauerbruch - und stellte dort etwa Arm- und Handprothesen her, die mittels der Restmuskulatur in den Amputationsstümpfen bewegt werden konnten und sogar gezieltes Greifen ermöglichten.

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Bei Kriegsausbruch wurde auch die Münchner Ärzteschaft - wie der Großteil der Bevölkerung - vom patriotischen Furor ergriffen. Der Chirurg Albert Krecke schrieb wenige Tage nach Beginn der Kämpfe: "Wir stehen im Weltkrieg. Meine Meinung war immer, dass ein Krieg kommen müsse, um die Menschheit aufzuraffen aus der beschaulichen Ruhe, den Luxus und die Genußsucht zu vertreiben und nur höheren Zielen zuzuwenden. Darum begrüße ich den Krieg."

Ausdrücklich bedauert Krecke, nicht selbst an die Front geschickt zu werden - er wird zum Reservelazarett München B eingeteilt, damals in der Schule am Marsplatz untergebracht, außerdem wird er fachärztlicher Beirat für Chirurgie beim I Bayerischen Armeekommando.

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Als solcher reist er mit seinem Kollegen Fritz Lange durch die bayerischen Lazarette zu Inspektionen und Beratungen - eine ungewöhnliche Kombination, denn Lange ist Orthopäde, und die sind nicht gerade die besten Freunde der Chirurgen. Aber die beiden arbeiten gut zusammen und erreichen die Einrichtung von Sonderlazaretten gleich hinter der Front. Dort werden vor allem Oberschenkel-Schussfrakturen von erfahrenen Fachärzten versorgt, mit der Maßgabe, dass die Patienten erst dann in die Heimatlazarette verlegt werden, wenn der Knochen fest ist.

Die Kriegsbegeisterung hält auch bei Krecke nicht lange an. 1917 notiert er in seinem Tagebuch: "Das dritte Jahr des Weltkriegs ist bald herum. Man ist bald soweit, die Kriegsverhältnisse als die normalen anzusehen. Die Schwierigkeiten werden immer größer, aber man gewöhnt sich an die mannigfachen Entbehrungen nach und nach." Nach dem Krieg führt Krecke seine Chirurgische Privatklinik fort, zuletzt in der Hubertusstraße in Nymphenburg. Er stirbt im Jahr 1932.

Schrapnell im Gesäß

Reservelazarette - das waren die Militärkrankenhäuser in der Heimat, in die Verwundete nach der Erstversorgung an der Front und in der Etappe gebracht wurden, zu Rehabilitation, aber auch zu weiterer Therapie.

In der Münchner Medizinischen Wochenschrift wurde 1914 der Weg eines solchen Verwundeten geschildert: "Am 20.08.1914 wurde Musketier L durch einen Schrapnellschuss in die linke Gesäßhälfte verletzt. Er wurde von einem Kameraden mittels Verbandpäckchen verbunden und später in ein Feldlazarett gebracht. Von dort wurde er nach neun Stunden in den Lazarettzug gebracht, wo ihm ein neuer Verband angelegt wurde. Am 23.08. 1914 gelangte der Patient in das Reservelazarett B München."

Bereits Mitte August, zwei Wochen nach Kriegsbeginn, waren die ersten Verwundeten am Münchner Hauptbahnhof angekommen. Die für Soldaten reservierten Betten in den Krankenhäusern und Lazaretten waren rasch überfüllt. Um die Kranken schnell zu den verschiedenen Versorgungsstationen zu bringen, wurden ehemalige Sommerwagen der Trambahn mit Tragbahrenfächern ausgerüstet. Auf provisorischen Notgleisen steuerten die Straßenbahnen die Lazarette an.

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Der Musketier L. kam in die Marsschule, das war Lazarett B. Dort standen, mit verschiedenen Außenstellen, 1218 Betten zur Verfügung. Das größte Lazarett war das mit dem Buchstaben A, das alte Militärkrankenhaus in der Lazarettstraße, wo heute das Herzzentrum zu Hause ist. Dort gab es, inklusive der "Barackenabteilung" Oberwiesenfeld und einer Leichtkrankenabteilung in der Lothstraße, 1397 Betten.

Das Lazarett C war in der Schulstraße, 255 Betten. Vornehmlich mit Kiefer- und Gesichtschirurgie beschäftigten sich die Ärzte im Lazarett D - dafür waren im Hauptzollamt an der Landsberger Straße einige Räume freigeräumt worden, genug für 875 Betten. Angegliedert war das Königliche Zahnärztliche Institut in der Pettenkoferstraße (78 Betten).

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Weitere Verletztenstationen waren über die Stadt verteilt, eine besondere Stellung nahm das Reservelazarett L in der Ridlerschule ein - dort war die Psychiatrie untergebracht, die sich zum ersten Mal mit Kriegsfolgen zu beschäftigen hatte: Viele Soldaten litten unter dem, was heute als "Posttraumatische Belastungsstörung" bekannt ist, die sich durch Alpträume, Schlaflosigkeit und Depression bemerkbar machte, auch durch unbeeinflussbares Zittern der Hände.

Vor hundert Jahren jedoch wurden diese Patienten als Simulanten angesehen, als Drückeberger. Entsprechend wurden sie behandelt: Mit Elektroschocks, Dauerbädern, Scheinoperationen, sogar Schein-Exekutionen sollte ihr Wille gebrochen werden, damit sie wieder an die Front geschickt werden konnten.

© SZ vom 06.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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