Verwundeter Abgeordneter Scalise:Anschlag auf Amerikas Demokratie

Verwundeter Abgeordneter Scalise: FBI-Agenten am Ort des Attentats: Der Schock ist groß, weil explizit Volksvertreter angegriffen wurden.

FBI-Agenten am Ort des Attentats: Der Schock ist groß, weil explizit Volksvertreter angegriffen wurden.

(Foto: AFP)
  • Nach den Schüssen eines Bernie-Sanders-Fan auf Republikaner steht fest, dass die Tat politisch motiviert war.
  • Das politische Klima in den USA dürfte nun noch emotionaler und feindseliger werden.
  • Aufforderungen, die Debatte zu versachlichen, verhallen bisher ungehört.

Von Matthias Kolb

In der Sommerzeit ist das Wetter um sieben Uhr früh noch erträglich in Washington. Wochenlang haben sich Abgeordnete und Senatoren morgens getroffen, um für das jährliche Baseball-Benefizspiel zu trainieren, bei dem sie gegen die Demokraten antreten.Am Mittwoch verwandelte der Attentäter James Hodgkinson das Spielfeld in ein "killing field", wie es Senator Rand Paul formulierte. Der 66-jährige Hodgkinson feuerte Dutzende Schüsse auf die Politiker ab - nachdem er sich vergewissert hatte, dass dort Republikaner trainieren.

Dass es bei dem Attentat in Alexandria, wenige Kilometer von der US-Hauptstadt entfernt, keine Toten gab, ist wohl nur der Tatsache geschuldet, dass Steve Scalise aus Louisiana auf dem Platz stand: Er ist als Majority Whip der drittmächtigste Republikaner im Repräsentantenhaus und wird rund um die Uhr von der Capitol Police, der Polizei des US-Kongresses, beschützt. Die Beamten erwiderten das Feuer und verletzten den Attentäter so schwer, dass dieser später im Krankenhaus starb - und eben nicht minutenlang gezielt auf Abgeordnete schießen konnte.

Es gibt kaum Zweifel, dass Hodgkinsons Tat politisch motiviert war. Der Mann aus Illinois ist laut Social Media ein Fan von Bernie Sanders und hatte die vergangenen Wochen nahe des Trainingsplatzes verbracht. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er: "Trump ist ein Verräter. Trump hat unsere Demokratie zerstört. Es ist Zeit, Trump & Co. zu zerstören." Dieser Angriff versetzte das politische Washington in einen Schock: Reporter berichten, wie unzählige Abgeordnete in den Gängen des Kapitols in Tränen ausbrechen.

Im extrem polarisierten Polit-Betrieb ist das Congressional Baseball Game (Hintergründe bei der Washington Post) einer der wenigen Anlässe, bei denen Demokraten und Republikaner freundschaftlich zusammenkommen.

Der Schock ist deshalb so groß, weil explizit Volksvertreter angegriffen wurden - also jene Männer und Frauen, ohne die Demokratie nicht funktionieren kann. Die meisten US-Abgeordneten sind stolz darauf, dass sie ohne Personenschützer auftreten und für die Bürger in ihren Wahlkreisen ansprechbar und zugänglich sind. Sofort kommen Erinnerungen hoch, vor allem an das Attentat auf die Demokratin Gabby Giffords, bei dem im Januar 2011 in Arizona sechs Menschen starben und die Abgeordnete schwer verwundet wurde.

Feindseliges politisches Klima

Schon damals war das politische Klima extrem emotional und feindselig: Die Obamacare-Krankenversicherung war verabschiedet worden, die Tea Party wurde mächtiger und ein Wahlverein der Republikanerin Sarah Palin zeigte mehrere Abgeordnete aus eng umkämpften Wahlkreisen, darunter auch Giffords, im Fadenkreuz eines Gewehrs. Den Vorwurf, dadurch den Täter ungewollt motiviert zu haben, wies Palin zurück - mit ähnlich deutlichen Worten distanziert sich nun Bernie Sanders, der die Tat "abscheulich" nennt und auch angibt, dass Hodgkinson nur einer von mehr als 10 000 Freiwilligen seiner Wahlkampagne gewesen sei.

Nun sind es die Demokraten, die betonen, dass die seit Monaten vorherrschende Rhetorik, wonach Trump wegen der angenommenen Absprachen mit Russland ein "Verräter" und eine Gefahr für die amerikanische Demokratie sei, nicht in Verbindung mit der Tat eines offensichtlich verwirrten Einzelgängers zu tun habe. Viele Konservative wird das nicht beruhigen: Sie werfen den Linken und den US-Medien seit Wochen eine Hexenjagd auf Trump vor, die nichtgewählte Beamte und Agenten durch Leaks vorantreiben. Auch die Nachricht, dass Sonderermittler Mueller nun Trump persönlich im Visier hat, wurde der Washington Post zugespielt. Die Republikaner sagen: Trump werde nicht mal die nötige Zeit gegeben, um seine Pläne umsetzen zu können.

Trump reagierte angemessen

An dieser Stelle ist es Zeit, auf den US-Präsidenten zu sprechen zu kommen. Donald Trump hat sehr angemessen auf die erste Schießerei seiner Amtszeit reagiert, die landesweit Schlagzeilen macht. In einer vierminütigen Ansprache rief er zur Einheit des Landes auf und dankte den Polizisten für ihren heldenhaften Einsatz. Der Republikaner sagt eindeutige Worte über die Abgeordneten und deren Mitarbeiter: "Wir mögen alle unterschiedliche Vorstellungen haben, aber gerade in solchen Momenten sollten wir uns daran erinnern: Alle, die in unserer Hauptstadt arbeiten, sind vor allem hier, weil sie unser Land lieben."

Trump, der am Mittwoch 71 wurde, besuchte gemeinsam mit Ehefrau Melania den schwer verletzten Abgeordneten Steve Scalise im Krankenhaus. Am Freitag ist es zwei Jahre her, dass er seine Kandidatur fürs Weiße Haus bekannt gab - und seitdem hat er die US-Gesellschaft gespalten wie kaum ein Politiker vor ihm. Gerade deswegen ist es wichtig, dass er Sätze sagt wie: "Wir sind am stärksten, wenn wir zusammenstehen und uns für das Gemeinwohl engagieren." Trump selbst handelt an diesem Tag, wie sich Präsidenten verhalten sollen, und tut nichts, was parteipolitisch ausgelegt werden könnte.

Noch mehr Hass statt Menschlichkeit

Allerdings spricht wenig dafür, dass sich nach der Attacke in Alexandria am Umgang in Washington sowie in der öffentlichen Debatte und im Internet etwas ändern wird. Auch nach dem Anschlag auf Gabby Giffords verlangten viele Abgeordnete (damals sicherlich voller Überzeugung) einen anderen Ton und mehr Menschlichkeit - und danach wurde alles noch feindseliger.

Es dauerte am Mittwoch nur kurze Zeit, bis sich beide Seiten im Internet hasserfüllt angingen, Falschinformationen verbreiteten und Gerüchte streuten (Buzzfeed hat eine ebenso gute wie erschreckende Übersicht zusammengestellt.)

Während die rechtsaußen stehende Bestsellerautorin Ann Coulter den Medien, Late-Night-Satirikern sowie den Demokraten vorwirft, einen "blutlosen Coup" gegen Trump und dessen Anhänger zu planen, sind die Moderatoren von Fox News ebenfalls schnell in ihren Urteilen. "Dieser Kerl wurde von den linken Medien radikalisiert. Er hatte diese Informationen zu sich genommen und verarbeitet", schimpft Greg Gutfeld in der Abendsendung "Fox and Friends".

Die TV-Sendungen, die Hodgkinson bei Facebook geliked hat, sind die Lieblinge der Anti-Trump-Bewegung: Neben dem linken Sender "Democracy Now" sind dies die HBO-Satire-Show "Real Time with Bill Maher" sowie die "Rachel Maddow Show" auf MSNBC. Tucker Carlson, der neue Star von Fox News, macht indirekt die populäre Moderatorin Maddow mitverantwortlich. Diese thematisiert seit Wochen vor allem die realen und vermuteten Kontakte des Trump-Teams nach Moskau: "Mit diesen Verschwörungstheorien kann man eben gut Quote machen." Unten war auf dem Bildschirm in Großbuchstaben zu lesen: "DIE LINKE GEWALT IST AUSSER KONTROLLE."

Dass Präsident Trump den Tag nach dem Attentat mit wütenden Tweets über die "Hexenjagd" gegen ihn beginnt, wird ebenso wenig dafür sorgen, dass sich die Debatte entemotionalisiert wie die Äußerungen seines ältesten Sohnes Donald jr. Dieser verbreitete den Tweet eines TV-Kommentators, der den "New Yorker Eliten" vorwirft, Mordphantasien über "unseren Präsidenten zu verherrlichen.

Debatte um Amerikas Waffengesetze? Eher nicht

Die New York Times verurteilte das Attentat auf ihrer Meinungsseite in klarster Form, aber erinnerte unter der Überschrift "Amerikas tödliche Politik" daran, dass es an diesem Mittwoch auch an anderen Orten der USA zu weiteren Schießereien gekommen war: In einem Lagerhaus des Logistikkonzerns UPS in San Francisco tötete ein Mann drei Menschen, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Die NYT verweist darauf, dass es im Bundesstaat Virginia (dort befindet sich der Baseball-Platz) quasi keine Kontrollen beim Waffenkauf gibt - beunruhigend angesichts der Nähe zur US-Hauptstadt.

Eine Diskussion über den Umgang der US-Amerikaner mit Feuerwaffen (garantiert durch den Zweiten Verfassungszusatz) wird es aber nicht geben: Die Demokraten haben die Tat in aller Deutlichkeit verurteilt und werden nun nicht noch strengere Gesetze fordern, die angesichts der Mehrheiten der Republikaner ohnehin nicht kommen werden. Und von konservativer Seite ist eher das andere Argument zu hören, wonach gegen solche Anschläge nur eines helfe: noch mehr Waffen. Der Abgeordnete Mo Brooks aus Alabama, der ebenfalls beim Baseball-Training war, sagte anschließend: "Es ist nicht leicht zu verkraften, wenn man sieht, dass um einen herum Leute erschossen werden und man selbst hat keine Waffe."

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