Süddeutsche Zeitung

Verwechselter Häftling in der JVA Kleve:Enthüllung im Fall Amed Amed

Der in der Justizvollzugsanstalt Kleve verbrannte Syrer hat offenbar versucht, die Wärter zu alarmieren. Das besagt ein interner Bericht des nordhrein-westfälischen Justizministers.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Der Vater von Amed Amed hat sich bei der Beerdigung seines Sohnes einen Regenschutz übergezogen. Auf den hat er mit Edding seine drängendste Frage geschrieben: "Wer ist der Mörder unseres Sohns?" Ihm gegenüber stehen auf dem Bonner Nordfriedhof am vergangenen Samstag der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach und Innenminister Herbert Reul (beide CDU). Sie können ihm diese Frage nicht beantworten, auch drei Wochen nach dem Tod seines Sohnes nicht.

Nur eins zeichnet sich immer klarer ab: Es sind offenbar viele Fehler gemacht worden im Fall des Syrers, der nach einem Zellenbrand in der JVA Kleve am 29. September an seinen schweren Brandverletzungen starb. Der 26-Jährige war in der Vollzugsanstalt zu Unrecht inhaftiert gewesen, weil er Opfer einer Namensverwechslung der Ermittler geworden war.

Der Tod des jungen Syrers bewegt seitdem das Bundesland, darunter die Mitglieder des Rechtsausschusses im Landtag. Einer von ihnen ist Sven Wolf, Fraktionsvize der SPD. Als solcher forderte Wolf am Freitagmittag den Rücktritt des Justizministers. "Minister Biesenbach hat seine Glaubwürdigkeit verspielt. Mit ihm können nicht mehr alle Zweifel ausgeräumt werden", sagte Wolf. Er habe Ameds Vater am Grab versprochen, "dass ich alles tun werde, um diese Tragödie aufzuklären", so Wolf.

Intern heißt der Vorgang "Da geht einer auf die rote Ampel"

Mehr als 200 Fragen umfasst der Katalog von Grünen und SPD zu der Causa. In ihren Antworten vertritt die Landesregierung die Ansicht, Amed habe höchstwahrscheinlich Suizid begehen wollen. Seit Donnerstagabend bestehen an dieser Darstellung erhebliche Zweifel. Aus einem internen Bericht des Justizministers, der der Süddeutschen Zeitung und anderen Medien vorliegt, geht hervor, dass der Häftling am Abend des Zellenbrandes die Gegensprechanlage in seiner Zelle benutzte. Diese sogenannte Haftraumkommunikationsanlage dient mehr der Verständigung zwischen Häftlingen und JVA-Mitarbeitern denn als Notrufknopf.

Kleves Gefängnisdirektor sagte, das System funktioniere "wie im Krankenhaus", in der JVA nenne man das Betätigen der Anlage "Da geht einer auf die rote Ampel". Justizminister Biesenbach hatte in seinen Berichten bisher verneint, dass sich Amed am Abend des Brandes über die Anlage bemerkbar machte. Auf eine entsprechende Frage hatte er geantwortet: "Der Gefangene hatte die Rufanlage jedenfalls nicht betätigt." Es könne aber sein, dass ein Hilferuf Ameds von den "lauten Alarmierungszeichen" der Mitinsassen übertönt worden sei.

Der neue Bericht verweist nun darauf, dass doch noch Protokollierungsdaten aus der JVA Kleve aufgetaucht seien: "Die Daten deuten nach Einschätzung der Polizei darauf hin, dass entgegen bisheriger Annahme am Brandtag gegen 19:19:10 Uhr die Gegensprechanlage in dem Haftraum 143 betätigt wurde." Weiter heißt es, die Ermittlungen erstreckten sich zudem auf die Frage, "ob und wann das durch die Gegensprechanlage ausgelöste Lichtsignal deaktiviert wurde". Geklärt werden muss also nun, ob der Anruf aus dem Haftraum 143 an diesem Abend bewusst weggedrückt oder übersehen wurde. JVA-Bedienstete alarmierten drei Minuten nach dem Anruf aus der Zelle um 19.22 Uhr die Feuerwehr, die um 19.33 Uhr in der JVA Kleve eintraf. Biesenbach kritisierte die Weitergabe des internen Berichts, "weil so Ermittlungen erschwert werden können", wie sein Sprecher mitteilte.

Wann und wie das Feuer ausbrach, wird ebenfalls weiter ermittelt. Andere Gefangene bemerkten offenbar den Rauch, schrien und hämmerten gegen ihre Türen. Als die Wärter Ameds Zelle öffneten, soll er ihnen brennend entgegengetaumelt sein. Das Fenster habe offen gestanden, in den Hafträumen darüber erlitten andere Insassen deshalb Rauchgasvergiftungen. Der Brand soll ohne Fremdeinwirkung entstanden sein, davon gehen die Experten der Polizei bisher aus. In der Mitte von Ameds Matratze fanden Ermittler ein verkohltes Feuerzeug. Aber der Bericht eines externen Brandsachverständigen steht noch aus.

Laut seinem Anwalt war der Syrer suizidgefährdet. In der Gefangenenakte stand jedoch nichts von den psychischen Problemen des Mannes, in seiner Gesundheitsakte sehr wohl - auch das enthüllt der neue Bericht. Die Staatsanwaltschaft Kleve ermittelt nun auch gegen einen Anstaltsarzt. Es bestehe der Verdacht, dass in der Gesundheitsakte Dinge standen, die "pflichtwidrig nicht zur Kenntnis gebracht" worden sein, schreibt der Justizminister.

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SZ vom 20.10.2018
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