Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg:Trauer und Wut der "Rucksackdeutschen"

Deutsche Flüchtlinge aus Ostpreußen mit Pferdewagen, 1945

Deutsche Flüchtlinge aus Ostpreußen mit Pferdewagen 1945

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Auf den Krieg folgten für Millionen Deutsche Flucht und "Umsiedlung". Im Westen wurden die Heimatvertriebenen nicht besonders begeistert empfangen. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis sie selbst zur Versöhnung bereit waren.

Von Annette Zoch

Ein Bollerwagen, ein Koffer mit Kleidung, ein Federbett, manchmal auch nur das nackte Leben - für 12 bis 14 Millionen Deutsche war das nach dem Ende des Krieges alles, was ihnen aus ihrer alten Heimat geblieben war. Der 8. Mai rückt auch das Schicksal der deutschen Flüchtlinge wieder ins Blickfeld.

Viele flohen schon in den letzten Kriegsmonaten aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern oder dem Sudetenland vor der Roten Armee. Im Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 einigten sich die Alliierten dann auf die Zwangsaussiedlung von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn.

Nach Flucht oder Vertreibung mussten die entwurzelten Menschen im neuen Leben mit widrigen Bedingungen fertig werden. Für die eigenen Landsleute waren die Flüchtlinge oft unwillkommene Eindringlinge mit fremdem Dialekt, Konkurrenten um das Wenige im zerbombten Land, "Polacken" oder "Rucksackdeutsche".

"Fremde Leute wurden plötzlich in ein beschlagnahmtes Zimmer der eigenen Wohnung gesteckt, natürlich war das für viele ein Schock", erzählt Walter Rzepka. Als 13-Jähriger kam er 1945 mit seiner Mutter aus Troppau, dem heutigen tschechischen Opava, über das Riesengebirge und Thüringen nach Passau. "Das ganze Leben lag noch vor mir, also habe ich nach vorne geschaut", sagt Rzepka.

Die Integration der Millionen Flüchtlinge ist aus Historikersicht binnen weniger Jahre erstaunlich gut gelungen. Die Alliierten machten zum einen schnell klar, dass es keine Chance auf Rückkehr gebe. Zudem hat in Westdeutschland das Wirtschaftswunder die Integration so vieler Menschen wesentlich befördert. Rzepka trat 1950 in München der Ackermann-Gemeinde bei, einem Bündnis katholischer Sudetendeutscher - ein Stück Ersatzheimat. Heute ist er deren Ehrenvorsitzender.

Benannt ist die Ackermann-Gemeinde nach der spätmittelalterlichen Geschichte des Ackermanns aus Böhmen von Johannes von Tepl. "Wie der Ackermann in der Geschichte seine Frau betrauert, betrauerten die Sudetendeutschen auch ihre Heimat", sagt Rzepka.

Erinnerung an den "Brünner Todesmarsch"

Innerhalb der Vertriebenenverbände bemühte sich die Ackermann-Gemeinde früh um Versöhnung und Vergebung zwischen den Völkern. Anderen Verbänden habe die Ackermann-Gemeinde dagegen anfangs als zu wenig kämpferisch gegolten. Erst vor Kurzem hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft den Rechtsanspruch auf "Wiedergewinnung der Heimat" aus ihrer Vereinssatzung gestrichen. Abgeschlossen ist das Verfahren aber noch nicht - die Kritiker innerhalb der Landsmannschaft gehen derzeit juristisch gegen die Streichung vor.

Insgesamt aber versachlicht sich die Aufarbeitung. Bayern verstand sich stets als Anwalt der Heimatvertriebenen. Als bayerischer Ministerpräsident und Schirmherr der Sudetendeutschen hatte Horst Seehofer 2010 Prag besucht, inzwischen war er schon drei Mal dort, trotz des aus Sicht der Sudetendeutschen ungelösten Konflikts um die Beneš-Dekrete, welche die Vertreibung legitimierten. Und dass die hartleibige CDU-Politikerin Erika Steinbach seit November 2014 nicht mehr Chefin des Bundes der Vertriebenen ist, trägt ebenfalls zur Entspannung bei.

Walter Rzepka möchte auch tschechische und polnische Versöhnungsbemühungen ins Bewusstsein rücken. Die tschechische Stadt Brno (Brünn) hat das Jahr 2015 zum "Jahr der Versöhnung" ausgerufen und plant eine Gedenkveranstaltung auf der Route des einstigen "Brünner Todesmarsches". Am 31. Mai 1945 war die deutschsprachige Bevölkerung in Richtung österreichische Grenze getrieben worden. Weil der Grenzübertritt zunächst verweigert wurde, wurden die etwa 27 000 Frauen, Kinder und Alten in Pohrlitz (Pohořelice) interniert. Gut 5200 Menschen fielen den Strapazen des Marsches oder Krankheiten zum Opfer. Zum 70. Jahrestag soll nun die 32 Kilometer lange Strecke von Pohrlitz nach Brünn in umgekehrter Richtung gegangen werden.

In diesem Jahr gibt es zudem erstmals am 20. Juni einen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung - in einem Jahr, in dem auf der Welt erstmals wieder so viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Lange wurde gestritten über das Datum, dann wurde das des UN-Weltflüchtlingstags gewählt. "Meiner alten Heimat bewahre ich ein ehrendes Andenken", sagt Rzepka. "Wenn ich mal hinkomme, freue ich mich. Mein Vaterhaus kann ich bei Google Earth sehen. Aber es ist kein Verlust, der mich heute noch schmerzt."

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