Süddeutsche Zeitung

Vertrauen in der Politik:Kitt für die Demokratie

Viele Bürger fühlen sich schnell und oft von der Politik verarscht. "Die da oben" gelten als machtversessene Egoisten. Aber so einfach ist es mit dem Vertrauen als politischer Kategorie nicht: Es gibt auch die, die Respekt verdienen - und die, denen der Bürger einen fast irrationalen Vertrauensvorschuss gewährt.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Er war ein bemerkenswerter Politiker, und die Resonanz auf seinen Tod war ebenfalls bemerkenswert. Kurz vor Weihnachten ist Peter Struck gestorben. Die Reaktionen wirkten intensiver, um nicht zu sagen: ehrlicher, als die sonst üblichen Rituale der Betroffenheit. Nicht nur unter Sozialdemokraten, sondern über Parteigrenzen hinweg fanden viele ehemalige Kollegen sehr persönliche Worte der Trauer für den einstigen Verteidigungsminister und Fraktionsvorsitzenden. Von der Kanzlerin, die mit Struck manchen Kampf ausgetragen hat, bis hin zu Gregor Gysi, der den Krieg in Afghanistan stets ablehnte. Diese ungewöhnlich tiefe Anteilnahme war aber auch bei vielen Bürgern zu erleben, in Briefen oder Kommentaren im Internet.

Struck war, wie man so gern sagt, authentisch; einer, bei dem man wusste, woran man war; einer, den man als Politiker und als Charakter akzeptierte, selbst wenn er eine andere Haltung vertrat. Er war glaubwürdig auch für jene, die nicht glaubten, dass seine Politik richtig war. Der Tod von Peter Struck lenkt mithin den Blick auf die politische Kategorie des persönlichen Vertrauens. Das war übrigens auch für Struck selbst immer besonders wichtig. Eines seiner größten Komplimente für andere Politiker hieß: "Der hat mich nie verarscht."

Persönliches Vertrauen ist eine politische Kategorie, weil es nicht nur dem Politiker zugutekommt, der es genießt. Vertrauen kann vielmehr der Kitt sein für ein ganzes demokratisches System, in dem die Kontroverse unausweichlich und die Einsicht der Bürger unerlässlich ist, dass sie auch mal von Leuten regiert werden, die sie nicht gewählt haben. Beides auszuhalten fällt leichter, wenn es trotzdem respektable Persönlichkeiten gibt. Anders gesagt: Wer das Vertrauen des politisch Andersdenkenden erwirbt, macht sich auch um die Demokratie verdient.

Stabilität dank Opposition

Bei allem Streit ist Deutschland in dieser Hinsicht erstaunlich gereift. Es gehört zu den wenigen Ländern, die in der Euro-Krise keine politischen Verwerfungen durchgemacht oder einen Machtwechsel erlebt haben. Diese Stabilität ist kein Verdienst der Kanzlerin allein, von ihrer wackeligen Koalition ganz zu schweigen. Dass die Regierung über ihre eigene Rettungspolitik 2012 noch immer nicht gestürzt ist, hat sie paradoxerweise auch einer Opposition zu verdanken, die das übergeordnete Ziel, den Euro zu erhalten, stets verantwortungsvoll und verlässlich unterstützt hat.

Verlässlichkeit und Verantwortung sind Geschwister des Vertrauens. Aber sie sind nicht selbstverständlich, wie man in anderen Gründerstaaten der EU leicht erkennen kann. Im Italien eines Silvio Berlusconi ist zu sehen, wohin es führt, wenn ein Politiker ein System blankem Egoismus unterordnet. Dann verschleißt das Vertrauen innerhalb der Politik - und erst recht in die Politik. Ein EU-Kommissar wie Mario Monti musste helfen, mehr Bürokrat als Politiker. Bei allem Respekt vor Günther Oettinger - da müsste in Deutschland noch viel schiefgehen, bis man auf eine ähnliche Idee verfiele.

Gleichwohl fühlen sich auch hierzulande viele Bürger schnell und oft von der Politik verarscht. "Die da oben" bilden im Bewusstsein eines Teils der Bürger ein abgehobenes Kollektiv machtversessener und rücksichtsloser Egoisten. Peter Strucks Ansehen mag auch darin begründet liegen, dass er diesem Bild so erkennbar nicht entsprach; dass er ein Politiker war, der auch mal mit dem zufrieden war, was er hatte, weshalb man ihn selbst in ein Ministeramt fast prügeln musste. Struck gehörte zu einem Politikertypus, der sich mit dem schlichten Wort "solide" gut beschreiben lässt. Er hielt sich an die Devise seines Vaters: "Egal, was du machst, und wenn du nur den Hof fegst - mach es ordentlich."

Es ist allerdings ein - oft auch medial verstärktes - Klischee von den Deutschen, dass sie von der Politik eine zu klischeehafte Vorstellung haben. Vielmehr sind die Signale, die das Volk über seine Politiker aussendet, bei genauerer Betrachtung vielschichtig, ja oft widersprüchlich.

Manche Politiker werden mit Vertrauenswerten beehrt, die überhaupt nicht zum allgemein konstatierten Verdruss passen. Wohl wahr, in Ausnahmefällen honoriert das Publikum damit Politiker (und Selbstdarsteller), gerade weil sie sich publikumswirksam von der eigenen Kaste absetzen. So war es zum Beispiel im Falle des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler. Oder auch beim Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, zumindest bis herauskam, dass der die Leute schon verarscht hatte, bevor er ein richtiger Politiker geworden war.

Aber es gibt eben auch Politiker, die durchaus konstant respektiert werden. 2012 gehörten wieder einige unbeirrbare Frauen dazu, wie Ursula von der Leyen oder Hannelore Kraft, deren Hartnäckigkeit längst nicht mehr nur von Frauen honoriert wird. Und dann gibt es noch Typen wie Frank-Walter Steinmeier, Wolfgang Schäuble, Thomas de Maizière oder Winfried Kretschmann. Sie pauschal als politische Beamte abzutun wäre genau so fehlerhaft, wie es Gerhard Schröders einst gegen Peter Struck gerichtetes Diktum vom "Kartell der Mittelmäßigkeit" war, als Schröder noch nicht wusste, was er an Struck hatte.

Unvollständiges schlechtes Bild

Diese Politiker eint vielmehr, dass man ihnen abnimmt, zumindest überwiegend der Sache und nicht in erster Linie den eigenen Ambitionen verpflichtet zu sein. Manchmal gewinnt einer von ihnen sogar eine Wahl. Und wenn nicht, wird auch mit Anstand verloren. Es hilft der Politik, wenn es Leute gibt, die einfach den Hof ordentlich fegen.

Das Bild vom schlechten Bild, das die Deutschen von ihren Politikern haben, ist also zumindest unvollständig. Manchmal gewähren sie ihnen sogar einen fast irrationalen Vertrauensvorschuss. Als Angela Merkel und Peer Steinbrück in der Finanzkrise 2008 gemeinsam für Billionen Euro Spareinlagen garantierten, glaubten ihnen das die Deutschen. Ausgerechnet ein Versprechen, das im Ernstfall kaum hätte gehalten werden können, schaffte damals das Vertrauen, um die Bürger zu beruhigen.

Steinbrück verlor sein Amt als Finanzminister, behielt aber den Ruf als Krisenmanager. Jedenfalls bis er Kanzlerkandidat wurde. Merkel ist im Amt geblieben, hat an Statur gewonnen. Ihr Erfolg beruht allerdings auch darauf, dass sie sich regelrecht als Regierungschefin inszeniert, die den Hof ordentlich fegt - eine Steinplatte nach der anderen, manchmal sogar nur halbe Platten - sich dabei aber dem Anspruch geflissentlich entzieht, dass es bei einer Kanzlerin auch mal etwas mehr innenpolitischer Gestaltungswille und koalitionäre Durchsetzungsfähigkeit sein dürften. Womöglich lassen sie das die Wähler 2013 wissen. Ganz im Vertrauen.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2012/sebi
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