Verteidigungspolitik:USA beteiligen sich an EU-Militärprojekt

EU defence ministers convene for meeting on defence issues

Eng beieinander: Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly mit Josep Borrell (l.) während der Gespräche über das Pesco-Projekt.

(Foto: John Thys/REUTERS)

Die EU-Verteidigungsminister laden die USA, Kanada und Norwegen ein, gemeinsam die "militärische Mobilität" zu verbessern. Soldaten und Panzer sollen schneller in Richtung Osten verlegt werden können.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Es ist eine Entscheidung von enormer symbolischer Bedeutung: Die 27 EU-Staaten haben am Donnerstag zugestimmt, dass sich die Vereinigten Staaten, Kanada und Norwegen am Projekt zur "militärischen Mobilität" beteiligen dürfen. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sprach von einem "Quantensprung", mit dem es leichter werde, "über die Grenzen der Staaten hinweg in Europa Truppen" zu verlegen. Das sei nicht nur ein wichtiges Thema für die EU, sondern auch für das Verteidigungsbündnis Nato, der 21 EU-Mitglieder angehören, betonte sie.

Das Projekt zur militärischen Mobilität gehört zur 2017 ins Leben gerufenen "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" (Pesco), die zu einer besseren Verteidigungsfähigkeit Europas führen soll. In der deutschen Ratspräsidentschaft war es Ende 2020 gelungen, Pesco-Vorhaben für Drittstaaten zu öffnen, und die Bundesregierung hatte sich auch stark dafür eingesetzt, die USA an diesem "Leuchtturmprojekt" zu beteiligen. Es sei nicht einfach gewesen, alle davon zu überzeugen, berichten EU-Diplomaten, doch die Niederlande hätten als Projektkoordinator eine "beeindruckende Leistung" vollbracht. Gerade Frankreich, das Europas "strategische Autonomie" stärken und die militärische Abhängigkeit der EU von den USA verringern will, hatte zunächst Bedenken angemeldet.

Das Pesco-Vorhaben soll helfen, Hindernisse bei der Verlegung von Truppen und Material in Europa zu beseitigen. Deutschland übernimmt bei der Bündnis- und Landesverteidigung die Rolle einer "logistischen Drehscheibe", wie Kramp-Karrenbauer vor der Sitzung sagte. So kommt etwa dem Hafen in Bremerhaven eine zentrale Rolle zu, Soldaten und Gerät aus den USA in Richtung Polen und Baltikum zu transportieren. Bis auf Dänemark und Malta nehmen alle EU-Mitglieder an dem Projekt teil: Sie müssen nun nationale Aktionspläne vorlegen und Ansprechpartner benennen.

Diese sollen ein Netzwerk bilden, um sich besser abzusprechen. So geht es etwa um scheinbar banale Dinge wie den Abbau von Bürokratie oder die Vereinheitlichung von Anträgen und Formularen, aber auch um den Ausbau oder die Verstärkung von Brücken, Schienen und Straßen. Im laufenden EU-Haushalt, der bis 2027 geht, sind insgesamt 1,7 Milliarden Euro vorgesehen, um entsprechende Investitionen der Nationalstaaten finanziell zu unterstützen.

Biden möchte transatlantisches Bündnis stärken

Gerade die Beteiligung der USA, auf deren militärische Stärke die Nato angewiesen ist, ist symbolisch bedeutsam. Präsident Joe Biden signalisiert so, dass eine engere Koordination von Verteidigungspolitik auf EU-Ebene der Nato nicht schaden müsse. Unter Donald Trump wäre ein solcher Schritt undenkbar gewesen. Mit solch konkreten Projekten möchte Biden, der im Juni in Brüssel an Gipfeltreffen von Nato und Europäischer Union teilnehmen soll, zeigen, wie wichtig ihm die Erneuerung der transatlantischen Zusammenarbeit ist. Allerdings drängten die USA auch auf eine Teilnahme, um rechtzeitig über künftige europäische Rüstungsprojekte informiert zu sein, von denen die eigene Industrie profitieren könnte. Auch dies erklärt die französischen Vorbehalte.

Experten betonen seit Langem die Bedeutung von militärischer Mobilität, die angesichts eines immer aggressiver agierenden Russlands dringlicher werde. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 hat die Nato in Polen sowie den baltischen Republiken vier internationale "Battlegroups" mit jeweils etwa 1200 Soldaten stationiert und übt seither regelmäßig die Verlegung von Truppen und Material.

In einer umfangreichen Studie für den US-Thinktank CEPA haben die beiden Ex-Generäle Ben Hodges und Heinrich Brauß analysiert, wo es Nachholbedarf gibt. Sie verweisen auch darauf, dass die Europäer mehr investieren müssen, weil sich die USA wegen der Rivalität mit China künftig stärker in Richtung Indopazifik orientieren dürften. Hodges und Brauß fordern etwa, die Infrastruktur so zu verstärken, dass besonders schweres Gerät mit einem Gewicht von mehr als 120 Tonnen bewegt werden kann - und schlagen vor, Investitionen in Brücken, Straßen und Schienen auch beim Zwei-Prozent-Ziel zu berücksichtigen. 2014 hatten alle Nato-Mitglieder versprochen, bis 2024 mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Deutschland ist von dieser Marke weit entfernt.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach beim Mittagessen mit den EU-Verteidigungsministern unter anderem über die Sicherheitslage in Afghanistan sowie den enormen russischen Militäraufmarsch an den Grenzen der Ukraine. Auch wenn es zuletzt eine gewisse Reduzierung gegeben habe, habe Russland "viele Waffen und Ausrüstung" hinterlassen. Insgesamt gebe es "heute viel mehr russische Truppen in und um die Ukraine als vor dem jüngsten Anstieg der Spannungen", sagte der Norweger. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte nach der Sitzung, dass es weiter "unklar" sei, ob Russland an einer Deeskalation interessiert sei.

Wie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin lobte Stoltenberg die Entscheidung der EU, die Nato-Mitglieder Norwegen, Kanada und die USA am Pesco-Projekt zur militärischen Mobilität teilnehmen zu lassen. "Die Bündnismitglieder, die nicht der EU angehören, spielen eine essenzielle Rolle in der Verteidigung Europas", sagte Stoltenberg. EU-Diplomaten zufolge hat das frühere EU-Mitglied Großbritannien bisher keinerlei Interesse an einer Pesco-Teilnahme gezeigt.

Zur SZ-Startseite

Brexit und Fischerei
:Eskalation im Ärmelkanal

London und Paris zanken sich darum, wer nach dem Brexit rund um die Kanalinsel Jersey fischen darf. Nun schicken beide Seiten Patrouillenschiffe in die umstrittenen Gewässer - und aus Frankreich kommen weitere Drohungen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: