Bundesregierung:Boris Pistorius wird Verteidigungsminister

Der Kanzler holt den niedersächsischen Innenminister in die Bundesregierung. Der 62-Jährige gilt als Politiker mit breitem Kreuz, ist für Scholz aber keine ganz risikolose Wahl.

Von Georg Ismar, Oliver Klasen, Paul-Anton Krüger und Mike Szymanski

Der bisherige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) wird neuer Verteidigungsminister und damit Nachfolger von Christine Lambrecht, die am Montag zurückgetreten war.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Entscheidung, über die die SZ und andere Medien vorab berichtet hatten, am Mittag zunächst schriftlich verkünden lassen. Pistorius sei "genau die richtige Person, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen", heißt es in der Mitteilung.

Später äußerte sich Scholz bei einem gemeinsamen Termin mit Außenministerin Annalena Baerbock in Brandenburg an der Havel. Pistorius sei "nicht nur ein Freund und ein guter Politiker, sondern auch jemand, der über sehr, sehr viele Erfahrungen in der Sicherheitspolitik verfügt", so der Kanzler. Pistorius habe "sehr offen und eng auch in seiner bisherigen Funktion mit der Bundeswehr zusammengearbeitet". Er sei überzeugt, so Scholz, dass Pistorius "jemand ist, der mit der Truppe kann und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden. Und ich bin sehr dankbar, dass er 'ja' gesagt hat".

Scholz würdigte nochmals die scheidende Ministerin Lambrecht und zollte ihr Respekt für ihre Entscheidung, das Amt niederzulegen. Der Termin in Brandenburg war bereits anberaumt gewesen, bevor Lambrechts Rücktrittspläne bekanntwurden. Scholz und Baerbock informierten sich über die Arbeit beim dort ansässigen Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, das unter anderem Visa-Anträge bearbeitet und die Verfahren mit Blick auf die von der Bundesregierung angestrebte Fachkräfte-Einwanderung beschleunigen soll.

Der designierte Minister: erfahren und mit breitem Kreuz

Pistorius, 62, wirkt sein ganzes politisches Leben in Niedersachsen, ist aber schon öfter für bundespolitische Ämter gehandelt worden. In seinem Bundesland hat er sich als Fachpolitiker und Anwalt für die innere Sicherheit profiliert. Er ist zwar bereits seit zehn Jahren Innenminister und damit ein sehr erfahrener Politiker, er ist aber dennoch keine risikolose Wahl für den Kanzler. Und Pistorius war nach SZ-Informationen auch nicht die erste Wahl. Der Niedersachse gilt als durchsetzungsstark, medienaffin und als Politiker mit breitem Kreuz. Und er gilt als einer, der sich auch eine Auseinandersetzung mit dem Kanzler liefern dürfte, wenn es um eine bessere Ausstattung und mehr Geld für die Bundeswehr geht.

Pistorius hat Wehrdienst geleistet und dürfte mit seiner Art bei der Bundeswehr gut ankommen. In seinem Umfeld wird zudem auf die Herausforderungen durch Cyberangriffe und den Aufbau eines besseren Zivil- und Katastrophenschutzes verwiesen, hier bringe er viel Erfahrung mit. Pistorius hatte im Jahr 2019 wie Olaf Scholz erfolglos für den SPD-Parteivorsitz kandidiert.

Die Lage der Truppe: kaum Zeit zum Eingewöhnen

Auf den neuen Verteidigungsminister kommen gleich ereignisreiche Tage zu: Am Donnerstag kommt sein US-Kollege Lloyd Austin nach Berlin. Am Freitag trifft sich auf Einladung von Austin die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, um über weitere Waffen- und Panzerlieferungen an die Ukraine zu beraten. Es wird die Premiere für Pistorius auf internationalem Parkett. Mit großer Sorge wird gesehen, dass Russland seine Angriffe weiter intensivieren könnte, in der ostukrainischen Stadt Dnipro kamen mehr als 40 Menschen bei einem Luftangriff ums Leben.

Die polnische Regierung pocht darauf, dass die Bundesregierung eine rasche Entscheidung über die von ihr gewünschte Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern fällt. Da sie aus deutscher Produktion stammen, braucht es diese Zustimmung. Bereits für 2025 hat Deutschland der Nato zudem eine komplett ausgestattete Heeresdivision zugesagt.

Die Abgabe von Panzern, Artilleriegeschützen, Raketenwerfern und Munition hat die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr in den vergangenen Monaten erheblich geschwächt. Der neue Verteidigungsminister muss dafür sorgen, dass die Truppe ihren wachsenden Bündnisverpflichtungen nachkommen kann. Im ersten Jahr der Zeitenwende ist nur ein Bruchteil aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgegeben worden. Durch die Preissteigerungen infolge der Inflation lassen sich mit dem Geld aber ohnehin weniger Anschaffungen tätigen als zunächst gedacht. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD), die selbst als eine der Kandidatinnen für die Lambrecht-Nachfolge gehandelt wurde, brachte zuletzt einen Investitionsbedarf von 300 Milliarden Euro ins Spiel.

Das Kabinett: Parität ist nicht mehr gewahrt

Scholz hatte Lambrecht am Montag für ihre Arbeit gedankt und eine schnelle Entscheidung über ihre Nachfolge angekündigt. Die ist nun getroffen. Allerdings ist Lambrecht offiziell noch so lange Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, bis sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungsurkunde erhalten hat.

Eigentlich galt Pistorius als Favorit für das Amt von Innenministerin Nancy Faeser, falls die, was wahrscheinlich ist, als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl nach Hessen geht. In wenigen Wochen dürfte also eine erneute Personalentscheidung anstehen. Ein weiteres Problem für Scholz ist, dass ein Mann auf Lambrecht folgt und die Parität der Geschlechter im Kabinett, die der Kanzler zu Beginn seiner Regierung versprochen hat, nun nicht mehr gewahrt ist.

Die Reaktionen: Gratulation von Lindner, Kritik von der Union

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat Pistorius beglückwünscht. "Gratulation an meinen neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius", schrieb der FDP-Chef auf Twitter. Mit der Umsetzung des Bundeswehr-Sondervermögens von 100 Milliarden Euro gebe es eine große Aufgabe, die er gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium angehen wolle, so Lindner.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul, kritisiert die Berufung von Pistorius. "Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt. Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle." Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion werde die Arbeit des neuen Ministers kritisch begleiten und die Zusammenarbeit anbieten. Angesichts der Lage, so Wadephul, werde Pistorius keine 100 Tage Einarbeitung haben können.

SPD-Chef Lars Klingbeil spricht bei Pistorius von einer "idealen Besetzung". Pistorius genieße bundesweit und parteiübergreifend großes Ansehen, er sei tief in der Sicherheitspolitik verankert und habe schon jetzt viele gute Kontakte mit der Bundeswehr. Er werde der Truppe nun genau die Wertschätzung geben, die sie in diesen herausfordernden Zeiten brauche. Die Frage der Geschlechterparität sei und bleibe dem Bundeskanzler und der SPD-Spitze wichtig. "Aber wir hatten jetzt in einer konkreten Personalfrage zu entscheiden. Und Boris Pistorius ist der richtige für diesen Job".

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