Süddeutsche Zeitung

Verteidigungsministerium:Aufklärung nach Art des Hauses

Die Vorwürfe gegen das Verteidigungsressort sind nicht nur geeignet, das Vertrauen der Soldaten in ihr Sturmgewehr G36 zu untergraben - sondern in das Ministerium und die Wehrverwaltung. Ursula von der Leyen muss aufpassen, dass ihr das Transparenzversprechen nicht um die Ohren fliegt.

Kommentar von Christoph Hickmann

Man mag den Vergleich ja unpassend finden, doch für Soldaten ist ihr Gewehr ungefähr so essenziell wie für Tischler die Säge. Insofern haben die immer mal wieder auftauchenden Meldungen über Präzisionsprobleme mit dem Gewehr G36 für die Bundeswehr eine immense Bedeutung. Die Vorwürfe allerdings, denen sich das Verteidigungsministerium jetzt ausgesetzt sieht, gehen darüber hinaus. Sie sind nicht nur geeignet, das Vertrauen der Soldaten in ihre zentrale Waffe zu untergraben - sondern in das Verteidigungsministerium.

Es geht darum, dass in der Rüstungsabteilung des Ministeriums versucht wurde, Einfluss auf einen Expertenbericht zum G36 zu nehmen - also dort, wo man sich eigentlich damit beschäftigen sollte, der Truppe die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Die Formulierungen, die der eine oder andere Akteur gern im Text untergebracht hätte, wurden zwar am Ende nicht berücksichtigt - doch ein Blick auf die Änderungsvorschläge genügt, um zu erkennen, dass hier nicht nur sprachlich Einfluss genommen werden sollte. Stattdessen wollte man mit plakativen Formulierungen jeden Zweifel an dem Gewehr ausräumen: "Das System Waffe und Munition zeigt hinsichtlich des Treffverhaltens keine besonderen Auffälligkeiten." Noch weitere Fragen?

Dabei war der Expertenbericht, der dank der Standfestigkeit einzelner Beamter am Ende fast unverändert unterzeichnet wurde, gar nicht allzu kritisch, sondern ausgewogen und nüchtern gehalten. Das zeigt, welcher Geist im Ministerium (und in Teilen der Wehrverwaltung) herrscht: Selbst leiseste Zweifel an Waffensystemen oder Beschaffungsvorhaben werden auf dem Weg durch die Instanzen nach oben getilgt. Da werden Formulierungen glattgebügelt, Fakten ausgeblendet, Szenarien aufgehübscht, bis schließlich, wenn die Sache auf dem Ministertisch landet, alles in Ordnung zu sein scheint. So entstand auch das Desaster mit der Drohne Euro Hawk.

Soldaten brauchen Vertrauen: ins Gewehr - und in die Verwaltung

Ursula von der Leyen ist angetreten, um damit Schluss zu machen. Probleme sollen rasch bei ihr oder der eigens dafür angeworbenen Rüstungs-Staatssekretärin landen, außerdem soll das Parlament besser informiert werden. Die G36-Geschichte spielt aber im Sommer dieses Jahres, da war die Ministerin bereits ein halbes Jahr im Amt.

Wie passt das zusammen? Zunächst einmal kann man es nicht ihr anlasten, wenn manche Beamte und Soldaten in ihrem Haus erst einmal das Spiel weiterspielen, das all die Jahre zuvor funktioniert hat. Um die Kultur eines solchen Hauses zu verändern, braucht es mehr Zeit als eine Legislaturperiode. Doch Veränderung fängt am besten oben an. Umso schwerer wiegt es, dass von der Leyens Leute an der Spitze des Hauses soeben bewiesen haben: Im Zweifelsfall ist auch ihr Wille zu Aufklärung und Transparenz eher begrenzt.

Da verbreitete das Ministerium am Wochenende erst einmal, es sei "ganz normal", sich bei solchen Berichten abzustimmen - offenbar in Unkenntnis des eindeutigen Schriftverkehrs und der zugehörigen Dienstvorschrift, die solche "Abstimmungen" ausschließt. Dann gaben Vertreter des Ministeriums vor Abgeordneten zu Protokoll, es sei nur um sprachliche Verbesserungen gegangen. Und schließlich lehnte das Haus es zunächst ab, den Parlamentariern die Dokumente zugänglich zu machen.

Das will man jetzt offenbar noch einmal überdenken - was weniger der inneren Überzeugung geschuldet sein dürfte als der Angst, einen Untersuchungsausschuss geradezu herauszufordern. Das Ministerium will nun jedenfalls zügig einen Bericht zu dem Vorgang vorlegen. Darin sollte dann aber auch wirklich alles stehen, was man zu der Sache wissen muss. Sonst könnte Ursula von der Leyen ihr eigenes Transparenzversprechen um die Ohren fliegen.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2014
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