Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen:Auf Bildungsreise in Afghanistan

Von der Leyen besucht Bundeswehr in Afghanistan

Gedenken im Ehrenhain: Ursula von der Leyens erste Begegnung im Amt mit dem Tod. Wenn sie großes Glück hat, fällt hier kein deutscher Soldat mehr.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Ursula von der Leyen besucht die Soldaten im Einsatz - als erste Verteidigungsministerin. Die Reise ist für sie ein Crashkurs, bei dem sie viel lernt. Als sie mit den Generälen vor die Presse tritt, klingt sie schon wie ihre Vorgänger, wie alle Außenminister, die hier waren, und natürlich wie die Kanzlerin.

Von Nico Fried, Masar-i-Scharif

Um 7:01 Uhr am vierten Advent 2013 betritt Ursula von der Leyen neues Terrain. Die Verteidigungsministerin setzt einen Fuß auf das Flugfeld von Camp Marmal, Sitz des Regionalkommandos Nord unter deutscher Führung in Masar-i-Scharif. Es beginnt ihr Antrittsbesuch in Afghanistan. Von nun an ist alles historisch.

Ihr erster Weg führt in den Speisesaal. Um 7:10 Uhr nimmt Ursula von der Leyen als erste deutsche Verteidigungsministerin ein weißes Tablett in die Hand und stellt sich in die Warteschlange der Soldaten im Auslandseinsatz. Um 7:13 Uhr greift sie erstmals als Verteidigungsministerin mit der Zange ein Sesambrötchen. Dann füllt sie eine Schüssel mit Haferflocken und Milch, wählt ein Plastiktöpfchen mit Maracuja- und eines mit Erdbeer-Marmelade, verzichtet erwartungsgemäß auf Butter und holt an der Kaffeemaschine einen Milchkaffee. Weil sie zu oft den Knopf für die Extra-Milch drückt, schwappt der Schaum über den Rand ihrer Tasse und zieht bräunlich-weiße Schlieren übers Porzellan. Es sind historische Schlieren.

Es sei ihr wichtig gewesen, "so schnell wie möglich" zur Truppe im Einsatz zu fahren, wird von der Leyen später sagen. Dabei war erst vor zwei Wochen Thomas de Maizière in Camp Marmal. Weihnachtsbesuch wie jedes Jahr. Routine.

Damals, so erzählen es Soldaten, hätten die meisten hier erwartet, dass de Maizière Verteidigungsminister bleibt. Vermutlich auch der Minister selbst. Doch es kam anders. Am dritten Advent verkündete Angela Merkel, dass von der Leyen das Amt übernehme. Am vierten Advent ist von der Leyen schon da.

Die Ministerin nimmt an einem Tisch Platz, an dem bereits mehrere Frauen und Männer im Flecktarn sitzen. Umringt von 43 mitgereisten Journalisten versuchen von der Leyen und die Soldaten vor laufenden Kameras, ein zwangloses Gespräch zu führen.

Die Ministerin bestreicht eine Hälfte ihres Brötchens, ein Feldwebel, weiblich, erzählt, sie sei seit November hier und bleibe bis März. Es ist ihr zweiter Einsatz in Afghanistan. Gegenüber sitzt ein Hauptmann.

Von der Leyen erkundigt sich, wie im Camp Weihnachten gefeiert werde. Es werde gegessen, dann gebe es Geschenke, sagt der Hauptmann. Pause. "Und mit der Familie in Deutschland können Sie skypen"? Nein, hauptsächlich werde telefoniert, lautet die Antwort. Die Internetverbindung in Camp Marmal bricht genau so leicht in sich zusammen wie die Schaumkrone auf dem Kaffee der Ministerin.

Dienstgrade büffeln über die Feiertage

57 Minuten nach Beginn ihres Besuches gibt Ursula von der Leyen erstmals ein Pressestatement in Afghanistan. "Ich durfte mein Frühstück mit den Soldaten teilen", sagt sie mit ernstem Gesicht und sanfter Stimme. Dies habe ihr "einen ersten Einblick in ihre Lebenswelt ermöglicht"-

Bei von der Leyens Vorgängern hätte man jetzt nach der Sicherheitslage gefragt, nach Ausrüstungsmängeln oder Abzugsterminen. Bei von der Leyen interessiert erst mal, wie sie sich fühlt nach fünf Tagen im Amt. "Man hat mich sehr warm und herzlich aufgenommen." Sie habe Respekt vor der Aufgabe, wisse, dass sie noch viel zu lernen habe. Über die Feiertage wolle sie sich die Dienstgrade einprägen.

Lernen - das ist die aufrichtig unprätentiöse Botschaft, die von der Leyen für sich verbreitet. Und für die Soldaten hat sie auch eine: Es gehe darum, "dass die Soldaten nicht nur für uns da sind", sagt die Ministerin. "Ich will zeigen: Ich bin für die Soldaten da. Darauf können sie sich verlassen."

Zentrale Botschaft: "Der Einsatz war nicht umsonst"

Dann bekommt von der Leyen die volle Dröhnung. Sie trifft den deutschen Generalmajor Jörg Vollmer, der das Regionalkommando befehligt; sie wird über die Sicherheitslage informiert und spricht mit dem deutschen Botschafter Martin Jäger, den sie noch aus der ersten großen Koalition kennt, als sie Familienministerin war und Jäger Pressesprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Schließlich noch eine Begegnung mit US-General Joseph Dunford, dem Oberkommandierenden der internationalen Schutztruppe, der für die Ministerin eigens aus Kabul eingeflogen ist.

In der kleinen Kirche feiern an diesem Sonntag der katholische und der evangelische Militärseelsorger einen ökumenischen Gottesdienst. Gut 50 Soldaten beten, die Waffe im Holster, das Vaterunser und singen "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit".

Es gibt einen Adventskranz und einen Christbaum, beides aus Deutschland eingeflogen. Eine Soldatin sagt in der Fürbitte, der Herr möge sich jener Menschen erbarmen, die in diesen Tagen keine Begegnung mit der Familie erleben könnten, "der Kranken, der Einsamen und der Soldaten im Auslandseinsatz".

Mehr als fünf Stunden währt unterdessen von der Leyens Crashkurs zu Afghanistan. Sie hat offenkundig viel gelernt. Sehr viel. Sie klingt, als sie jetzt mit den Generälen vor die Presse tritt, schon wie ihre Vorgänger, wie alle Außenminister, die hier waren, und natürlich wie die Kanzlerin. Nur spricht sie leiser.

Die Sicherheitslage? Fragil, aber im Norden stabiler als im Rest des Landes. Es sei viel erreicht worden, was nun dauerhaft bewahrt werden müsse: 85 Prozent der Menschen hätten heute innerhalb einer Stunde Zugang zu medizinischer Versorgung. Und während 70 Prozent der Afghanen über 25 Jahren Analphabeten seien, könnten die meisten Jugendlichen heute lesen und schreiben.

Ein deutsches Regierungsmitglied muss solche Statistiken im Schlaf aufsagen können. Sie haben eine Botschaft: Der Einsatz war nicht umsonst. Oder, wie es der amerikanische General Dunford formuliert: "Die Deutschen haben dem afghanischen Volk Hoffnung gebracht."

Sie hört trotz des eisigen Windes geduldig zu

Von der Leyen nimmt sich Zeit für die Soldaten. Sie wird nicht nur einen Tag in Camp Marmal bleiben, sondern zwei. Als ihr ein Transportzug und ein Bergungszug mit jeweils sechs Wagen vorgeführt werden, hört sie trotz des eisigen Windes geduldig den Erläuterungen zu, fragt nach, begrüßt jeden der rund 50 Soldaten mit Handschlag und winkt auch noch den Richtschützen, die auf den Fahrzeugen hinter ihren Maschinengewehren stehen.

Besonders überschwänglich verläuft die Unterhaltung mit dem Hauptfeldwebel Enrico B., der zum siebten Mal in Afghanistan ist und zu Hause auch noch fünf Kinder zwischen 16 und fünf Jahren hat. Am Ältesten könne er noch üben, danach werde es leichter, berichtet die siebenfache Mutter.

Doch die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kommt in Camp Marmal auch erstmals in ihrem Amt dem Tod sehr nahe: Gedenken im Ehrenhain. Dutzende Platten mit eingravierten Namen und Todesdaten sind hier auf eine Steinmauer geschraubt, zwei Deutsche sind 2013 gestorben, unter ihnen ein Soldat der Spezialkräfte KSK.

Armee im Abzug

Die Ministerin und Kommandeure singen, zünden Kerzen an und stellen sie in den Kies. Niemand kann wissen, wann von der Leyen die erste Nachricht vom Tod eines Soldaten in Afghanistan erreicht. Wenn sie ganz großes Glück hat: nie.

Denn von der Leyen lernt viel an diesem Tag - und das meiste handelt von einer Armee im Abzug. Sie besucht das Logistikbataillon. Hier kommt einerseits die Weihnachtspost an, 20 Tonnen allein in der vergangenen Woche. Vor allem aber unterstützt diese Einheit auch das sogenannte Redeployment, die Rückführung von Material aus Afghanistan nach Deutschland.

In der Materialwirtschaft sieht von der Leyen, wo die Waffen abgegeben, aber auch Fahrzeuge abgestellt werden. Der größte Teil des Materials wird ins türkische Trabzon geflogen und von dort nach Emden verschifft. Vorher jedoch werden die Fahrzeuge von einem ABC-Spürtrupp noch desinfiziert, außen und innen, damit keine Krankheitserreger wie die Maul- und Klauenseuche exportiert werden. Fasziniert ist die Ministerin von der Logistik und von den vielen Gedanken, die man sich da schon vorher drüber machen müsse.

Ein historischer Moment, der gar nicht so wirkt

Am Abend spricht die Ministerin zu den Soldaten auf einem kleinen Weihnachtsmarkt im Zentrum des Camps. An ein paar Holzbuden werden Waffeln, Crêpes und Punsch verkauft.

Von der Leyen steigt auf ein Podium und ist trotzdem kaum größer als die Menge vor ihr. Sie sagt, sie sei nun seit fünf Tagen Ministerin, "das ist für mich noch gewöhnungsbedürftig - und für Sie bestimmt auch". Derweil wird bekannt, dass sich am Morgen aus ungeklärten Gründen bei der Demontage eines Maschinengewehres von einem Fahrzeug mehrere Schüsse gelöst haben. Niemand wurde verletzt.

Sie habe an diesem Tag gelernt, welchen Entbehrungen und Gefahren die Soldaten hier ausgesetzt seien, sagt von der Leyen. Davor habe sie höchsten Respekt. "Ich empfinde es als ganz große Ehre, Ihre Verteidigungsministerin zu sein."

Die Rede wird von den Soldaten mit Applaus und vereinzeltem zustimmendem Kopfnicken quittiert. Auch das ist natürlich ein historischer Moment. Aber am Ende dieses Tages wirkt es schon gar nicht mehr so.

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