Verteidigungsminister Guttenberg:Das Geheimnis von Kundus

Es ging um die "Vernichtung" von Taliban: Auch Minister Guttenberg wusste über die wahren Motive des Luftschlags frühzeitig bescheid. Umso unverständlicher wirkt jetzt seine erste Einschätzung.

Peter Blechschmidt

Plötzlich tun alle so, als sei doch alles längst bekannt gewesen. Bundeswehr-Oberst Georg Klein hatte am 4. September gar nicht in erster Linie zwei von Taliban entführte Tanklaster im Visier, als er in der Nähe von Kundus deren Bombardierung befahl. Vielmehr ging es ihm darum, eine Ansammlung von Taliban zu treffen und als gefährlich identifizierte Feinde zu töten.

Verteidigungsminister Guttenberg: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (links) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, vor dessen Entlassung im November in Afghanistan.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (links) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, vor dessen Entlassung im November in Afghanistan.

(Foto: Archivfoto: dpa)

Dass dies so war, bestreiten Eingeweihte am Wochenende nicht mehr, auch wenn das Verteidigungsministerium offiziell keine Stellung nimmt, sondern auf den Untersuchungsausschuss verweist, der am kommenden Mittwoch seine Arbeit aufnehmen wird.

Am 5. September, einen Tag nach dem Luftschlag, bei dem bis zu 142 Menschen getötet wurden, meldete der deutsche Kommandeur in Kundus, Oberst Klein, an den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan: "Am 4. September um 1:51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (INS steht im Nato-Jargon für Insurgents und meint Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten." Es sei ihm darum gegangen, "Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwenden und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit nur Feinde des Wiederaufbaus zu treffen".

Das Wort "vernichten" muss jeden elektrisieren, der von dieser Meldung Kenntnis erlangt. Einen Tag später liegt sie dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung vor. Auf den Fluren des Verteidigungsministeriums wird darüber diskutiert. Dass der Bericht nicht irgendwann auch ins Kanzleramt gelangt sein soll, ist schwer vorstellbar. Nur nach außen dringt davon kein Wort. Unverdrossen werden die Tanklaster als Ziele genannt, von denen angeblich eine so große Gefahr ausging.

Die Motive dafür sind zumindest im Verteidigungsministerium offenkundig. Minister Jung und General Schneiderhan wollen ihre Soldaten schützen. Sie wissen um die Verunsicherung in der Truppe, der nach jedem Zwischenfall mit Toten oder Verletzten strafrechtliche Ermittlungen drohen. Sie sind auch verärgert über den Kommandeur der Schutztruppe Isaf, den amerikanischen General Stanley McChrystal, der schon kurz nach dem Angriff in Kundus auftritt, sich bei der Bevölkerung für zivile Opfer entschuldigt und damit den Bundeswehr-Oberst ins Unrecht rückt.

Sich als Sachwalter seiner Soldaten zu zeigen dürfte auch der Beweggrund für den neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gewesen sein, als der sich am 6. November, eine gute Woche nach seinem Amtsantritt, vor die Presse stellt und den Luftschlag als militärisch angemessen und unvermeidlich bezeichnet. Den Bericht des Oberst Klein kannte Guttenberg damals offenbar noch nicht. Wohl aber hatte er, so seine eigene Darstellung, den abschließenden Bericht von Isaf-Kommandeur McChrystal gelesen. Und auch aus dem ergibt sich eindeutig, wie Kenner des Dokuments am Wochenende die Darstellung der Süddeutschen Zeitung vom Samstag bestätigen, dass Klein vor allem die Gruppe der Taliban und nicht in erster Linie die Tanklaster treffen wollte.

Damit wird umso weniger verständlich, wie Guttenberg zu seiner am 6. November vorgetragenen Einschätzung kam. Er hat sie inzwischen korrigiert und begründet dies unter anderem damit, dass er nun den Bericht des Oberst Klein gelesen habe. Weil Schneiderhan und der beamtete Staatssekretär Peter Wichert ihm diesen Bericht und andere Papiere vorenthalten hätten, hat Guttenberg die beiden entlassen. Bundeswehr-Generäle halten es für einen Fehler Schneiderhans, dass er den Klein-Bericht nicht auch dem neuen Minister vorgelegt habe. Andererseits äußern sie Verständnis dafür, weil die Meldung Kleins nichts enthalte, was nicht auch im Isaf-Bericht stehe.

Unklar ist, mit wem sich Guttenberg beraten hat, wie der Isaf-Bericht zu bewerten sei. Guttenberg beruft sich ausdrücklich auf den Rat des Generalinspekteurs, was in der Bundeswehrführung bezweifelt wird. Schon kurz nach der Nominierung Guttenbergs wurde im Bendler-Block spekuliert, dass der neue Minister sich schnell von Schneiderhan und Wichert, den mächtigsten Männern im Apparat, trennen würde. In Parlament und Truppe gibt es viele, die glauben, dass die Kundus-Affäre dem neuen Minister ein willkommener Anlass dafür war.

Ungeachtet auch des Isaf-Berichts bleibt Guttenberg bei seiner Einschätzung, dass Klein nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt habe. Er werde den Oberst nicht fallenlassen, versicherte der Minister noch einmal bei einem Blitzbesuch bei den Soldaten in Kundus am vergangenen Freitag. Derzeit prüft die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, ob gegen Klein wegen Verstoßes gegen das Kriegsvölkerrecht ermittelt werden muss. Seine Chancen, ohne Verfahren davonzukommen, sind seit dem Wochenende nicht gestiegen.

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