Thomas de Maizière im Gespräch:"Töten und Sterben gehören dazu"

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Es ist eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Nach mehr als einem halben Jahrhundert wird die Wehrpflicht zum 1. Juli ausgesetzt. Verteidigungsminister de Maizière muss für die neue Bundeswehr werben - 15.000 Freiwillige werden gebraucht. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" spricht er über seine eigene Wehrzeit, seine Ziele - und über eine Armee, die künftig noch mehr Verantwortung im Ausland übernehmen wird.

Daniel Brössler und Nico Fried

SZ: Herr Minister, können Sie sich noch an den Tag erinnern, als Sie eingezogen wurden?

Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei einer Reise zu den deutschen Soldaten in Afghanistan im März 2011. (Foto: AFP)

Thomas de Maizière: Ja. Das war am 1. Juli 1972 beim Panzergrenadierbataillon 142 in Koblenz. Die Kaserne befand sich an einer Anhöhe. Man musste zur "Freude" der Ausbilder erst eine Steigung überwinden, um zum Übungsplatz zu kommen.

SZ: Haben Sie es damals als Ehre empfunden, Ihrem Land zu dienen?

De Maizière: Eher nein. Sie müssen bedenken, dass mein Vater erst drei Monate vorher als Generalinspekteur verabschiedet worden war. Verweigern kam für mich nicht in Frage. Die Bundeswehr war für mich eine selbstverständliche Verpflichtung, weshalb der Gedanke der Ehre nicht als Erstes aufkam.

SZ: Bei Ihrer Vorstellung von der künftigen Bundeswehr spielt der Begriff nun eine bedeutende Rolle.

De Maizière: Mir geht es um einen Dreiklang: Die freiwillig Wehrdienstleistenden müssen gutes Geld verdienen. Und 1000 Euro netto sind für einen 19-Jährigen viel Geld. Zweitens muss die Zeit bei der Bundeswehr attraktiv sein. Aber selbst wenn beides erfüllt ist, muss etwas Drittes dazukommen, was ich mit dem Begriff Ehre bezeichne.

SZ: Den Sie wie definieren?

De Maizière: Wir Deutschen verbinden mit Ehre und auch Dienen zu oft etwas Schwerblütiges. Etwas, das drückt. Wer dient, hat hängende Schultern oder Mundwinkel. Ich will versuchen, diesen Begriffen einen neuen Resonanzboden zu geben, ein breiteres Spektrum. Dienen ist nobel und ehrenhaft, aber es kann einfach auch Freude machen und das Selbstbewusstsein stärken. Diesen Gedanken möchte ich stärken.

SZ: Aber was macht die besondere Ehre aus, bei der Bundeswehr zu dienen?

De Maizière: Jemand, der am Bundesfreiwilligendienst teilnimmt, der vielleicht Menschen im Hospiz pflegt, der etwas für den Nächsten leistet, verdient unseren Respekt. Aber bei der Bundeswehr geht es um mehr. Man tut auch etwas für den Staat, für Freiheit und Frieden in Deutschland und in der Welt. Da finde ich den Begriff der Ehre angemessen.

SZ: Wie real haben Sie 1972 die Sorge empfunden, kämpfen zu müssen?

De Maizière: Zu meiner Zeit habe ich das nicht als real empfunden. Es wurde zwar Kampf geübt, aber die intellektuelle Kurzform dafür war: Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.

SZ: Das ist heute anders.

De Maizière: Zum Aufgabenspektrum der Bundeswehr gehören heute auch die Auslandseinsätze. Die können gefährlich sein - Töten und Sterben gehören dazu. Damit kann man nicht werben, aber man muss die Wahrheit sagen.

SZ: Vielleicht wirbt man gerade damit manchen schießwütigen Abenteurer?

De Maizière: Der verantwortungsvolle Umgang mit Waffen ist ein wichtiges Element in der Bundeswehr. In meiner Kindheit gab es zu Hause keinerlei Pistolenspiele, kein Cowboy und Indianer. Mein Vater hat gesagt: Waffen sind zu ernst, damit spielt man nicht. Heute sind junge Menschen in extensiver Weise einem verantwortungslosen Umgang mit Waffen ausgesetzt, zum Beispiel mit Computerspielen. Da kann man andere umballern und hat selbst angeblich mehrere Leben. Wer aber lernt, was es heißt, eine Handgranate in der Hand zu halten und den Abzugsring zu ziehen, der geht später auch verantwortungsvoller mit dem Thema Gewalt um.

Bundeswehr nimmt Abschied von getöteten Soldaten
:"Unser Einsatz in Afghanistan fordert einen hohen Preis"

Seit genau drei Monaten ist Thomas de Maizière Verteidigungsminister, nun steht er zum ersten Mal vor den Särgen von Soldaten, die in Afghanistan gestorben sind. Bei der Trauerfeier hält er eine bewegende Rede - und spricht dabei auch von Zweifeln am Afghanistan-Einsatz.

Bildern.

SZ: Wie wollen Sie die Attraktivität der Bundeswehr noch steigern?

De Maizière: Wir wollen die Freiwilligen fordern. Junge Menschen empfinden es als wichtige Erfahrung, wenn sie physisch und psychisch mal bis an ihre Grenzen belastet werden. Ich will zweitens, dass die Bundeswehr sozial gemischt bleibt und die Uniform Unterschiede in der Herkunft vergessen macht. Das macht auch das Besondere der Kameradschaft aus. Und schließlich bekommen junge Leute frühzeitig die Chance, in Führungsfunktion Verantwortung für andere zu übernehmen.

SZ: Schlange stehen die Freiwilligen aber noch nicht vor den Kasernentoren?

De Maizière: Wir haben noch keine endgültigen Zahlen für den 1. Juli, aber die Tendenz ist besser als erwartet. Ich bestreite nicht, dass die Übergangsphase eine Herausforderung sein wird.

SZ: Sie sind knapp vier Monate im Amt. In dieser Zeit haben Sie an zwei Trauerfeiern für vier in Afghanistan gefallene Soldaten teilgenommen. Wie kommt die internationale Gemeinschaft, wie kommt die Bundesregierung darauf, dass bald der Abzug beginnen kann?

De Maizière: Die Anschläge, so bitter sie sind, ergeben nicht das ganze Bild. Seit einem Jahr haben wir im Bündnis eine Doppelstrategie: Eine zeitweilige militärische Verstärkung, um die Taliban wirksamer zurückzudrängen und zu bekämpfen, und einen politischen Ansatz zur Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit an die Afghanen. Diese Strategie ist auf dem richtigen Weg - auch wenn ich noch zögere, von einem Erfolg zu sprechen.

SZ: Was bedeutet der Abzug von 30.000 der 100.000 Amerikaner für die Bundeswehr?

De Maizière: Wir werden das mit den Amerikanern besprechen. Ich erwarte, dass es zunächst keine Abstriche bei den Kernfähigkeiten gibt.

SZ: Warum legen die Deutschen nicht wie die Amerikaner einen konkreten Abzugsplan vor?

De Maizière: Wir haben bereits im Januar gesagt, wir wollen um den Jahreswechsel den Abzug einleiten, abhängig von der Lage und in Stufen. Den konkreten Abzug möchte ich aber erst dann besprechen und nicht im Juni. Außerdem haben wir im Norden die Führung und sind nicht allein. Wir müssen uns mit unseren Partnern aus vielen Ländern von Schweden bis zur Mongolei abstimmen. Im Herbst möchte ich dazu meine Kollegen aus diesen Staaten einladen.

SZ: Sie haben jüngst gesagt, Wohlstand verpflichtet. Heißt das: Mehr Einsätze für die Bundeswehr?

De Maizière: Deutschland ist mit der Einheit erwachsen geworden. Wir können keine Sonderrolle mehr beanspruchen, sondern müssen wie andere auch internationale Verantwortung übernehmen. Wir haben jetzt knapp 7000 Soldaten im Einsatz. Wir wollen die Zahl der Soldaten, die wir der internationalen Völkergemeinschaft anbieten können, auf 10.000 erhöhen, weil wir künftig von den Vereinten Nationen absehbar stärker gefragt sein werden.

SZ: Und wann machen wir mit?

De Maizière: Bisher hatten wir als maßgebliches Kriterium das nationale Interesse. Multilateralismus funktioniert aber nur mit Arbeitsteilung und Solidarität.

SZ: Der Außenminister betont die militärische Zurückhaltung, der Verteidigungsminister die Verantwortung. Birgt das Konflikte?

De Maizière: Wir bleiben zurückhaltend und verantwortungsvoll. Ein Jurist lernt, dass der Einsatz staatlicher Gewalt geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein muss. Das gilt auch hier. Und der Außen- und der Verteidigungsminister haben zuletzt gezeigt, wie man das partnerschaftlich besprechen und gelegentliche unterschiedliche Meinungen intern ausdiskutieren kann.

SZ: Auch eine militärische Beteiligung in einem Libyen nach Gaddafi?

De Maizière: Ich erwarte, dass so ein Einsatz nicht nötig sein wird. Und wenn doch, werde ich das als Verteidigungsminister konstruktiv prüfen, wie immer.

SZ: Keine außenpolitische Entscheidung dieser Regierung ist so hart kritisiert worden wie die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zum Eingreifen in Libyen. Bewerten Sie diese Entscheidung mittlerweile anders als damals?

De Maizière: Ich habe bereits mehrfach gesagt, dass ich keinen Beitrag leisten werde, diese Debatte zu verlängern. Für mich ist das erledigt.

SZ: Nun stellt die Bundeswehr Munition für die Verbündeten bereit. Warum?

De Maizière: Wir haben eine Anfrage der zuständigen Nato-Logistik-Agentur NAMSA erhalten und ich habe entschieden, sie positiv zu beantworten. Dies ist bewährter Bündnisalltag. So gleichen die Partner ihre logistischen Engpässe untereinander ständig aus.

SZ: Beteiligung durch die Hintertür?

De Maizière: Nein. Das ist ein normales Verfahren, so wie wir in Stäben der Nato mitarbeiten und Luftwaffenstützpunkte in Deutschland zur Verfügung stellen.

SZ: Ihr scheidender US-Kollege Robert Gates fürchtet, dass der Nato wegen schwindender Fähigkeiten und weniger finanziellem Engagement "kollektive Irrelevanz" droht. Was entgegnen Sie?

De Maizière: Er hat auf den Fakt hingewiesen, dass die USA und Europa im Kalten Krieg die Kosten im Verhältnis 50:50 aufgeteilt haben, die USA heute aber 75 Prozent tragen. Das muss einen schon nachdenklich stimmen. Unsere Antwort ist, dass wir in der Nato eine Debatte führen wollen, die sich nicht allein um mehr Geld, sondern um mehr Effizienz dreht. Dazu gehört unter anderem die Reduzierung der Kommandostrukturen in der Nato, die auch die Militärs für sinnvoll halten. Dass die Nato irrelevant wird, glaube ich hingegen überhaupt nicht. Sie ist und bleibt stark.

SZ: Wäre eine europäische Armee dafür eine Konkurrenz?

De Maizière: Ich finde die Bemühungen um eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gelinde gesagt ernüchternd. Da setze ich lieber auf eine starke Nato.

© SZ vom 29.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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