Verteidigungsminister de Maizière:"Die Bundeswehr ist gegenwärtig nicht zu führen"

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Schonungslose Analyse einer "hoch schwierigen" Lage: Verteidigungsminister Thomas de Maizière kritisiert die Zustände bei der Truppe und in seiner Behörde. Die Streitkräfte seien unterfinanziert und nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Stefan Braun

Die Sitzungen des Fraktionsvorstands der Union sind selten wirklich langweilig. Noch seltener jedoch sind sie so interessant wie zu Beginn der vergangenen Woche. Diesmal nämlich war Verteidigungsminister Thomas de Maizière zu Gast. Und was der zu sagen hatte, führte bei manchem Teilnehmer dazu, dass er die Luft anhielt angesichts der Botschaften. Von einem "denkwürdigen Auftritt" sprechen mehrere, die dabei waren. Wenn stimmt, was sie erzählen, dann ist dieses Urteil berechtigt.

Unterfinanziert und schlecht ausgestattet: Der Verteidigungsminister meint, die Truppe sei nicht zu führen. (Foto: dpa)

Denn de Maizière lieferte eine "schonungslose Analyse" der Lage der Bundeswehr ab. Es gebe nichts zu beschönigen, so der Minister. Die Bundeswehr sei seit langem unterfinanziert und mit dem Personal, das sie habe, nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen. Schon das klang wie ein Eingeständnis schlechter Zustände. Und er wurde noch deutlicher. "Die Bundeswehr", so wird der Minister zitiert, "ist gegenwärtig nicht zu führen - auch nicht von mir." Das Ministerium sei zu groß, die Soldaten würden an der Bürokratie ersticken. Mehr noch: Es gebe riesige Stäbe - und viele davon hätten vor allem die Aufgabe, andere große Stäbe zu kontrollieren. Hinter dieser Kritik steckt die schwierige Aufgabe, dass de Maizière nicht nur die Bundeswehr reformieren, sondern auch sein eigenes Ministerium straffen muss. Das heißt vor allem: Er soll und will den Personalstand im eigenen Haus von 3500 auf 2000 Mitarbeiter fast halbieren.

An schonungsloser Analyse war das im Übrigen noch immer nicht alles. Hart ins Gericht ging de Maizière auch mit der bisherigen Beschaffungspolitik. Von einem "skandalösen Rüstungsprozess" sprach er. Es sei fatal, dass normale Beschaffungsprojekte bis zu 15 Jahre und große Beschaffungen gar 30 bis 40 Jahre dauerten. Und wenn dann endlich etwas da sei, sei es oft veraltet und werde in schlechtem Zustand oder Material geliefert. Dann kam de Maizière direkt zu den Soldaten, und da wurde seine Analyse auch nicht besser.

Anders als es die offiziellen Zahlen suggerierten, seien derzeit nicht etwa 250 000 Soldaten im Dienst, sondern knapp 30 000 weniger, und von den 221000 könne man bei gut 40 000 Soldaten nicht sagen, wofür sie eigentlich eingeplant seien. Diese Botschaft ist interessant, wenn man sich die Lage bei der Rekrutierung der Freiwilligen anschaut. "Hoch schwierig" nannte der Minister die Lage. Er glaube nicht daran, dass es gelinge, die geplante Sollstärke mit Freiwilligen zu erreichen. Dies sei gegenwärtig auf dem freien Arbeitsmarkt nicht zu schaffen. De Maizières Botschaft: Er halte die bisherigen Ziele für "absolut unrealistisch".

Neben dieser Bestandsaufnahme wartete der Verteidigungsminister noch mit einer anderen Überraschung auf. Das jedenfalls berichten die, die dabei waren. Sie erzählen, was de Maizière in Zukunft für nötig hält. Man dürfe sich nichts vormachen: Die Bundeswehr sei nicht nur zur Verteidigung da, auch nicht nur für als notwendig erachtete internationale Einsätze. Sie müsse in die Lage versetzt werden, sich im Interesse der deutschen Bündnisfähigkeit auch dann an Einsätzen zu beteiligen, "wenn nicht gerade deutsche Interessen erkennbar sind".

Mancher las das als direkte Reaktion auf die Kritik, die Deutschland nach der Enthaltung in der Libyen-Politik ereilt hat. Offenbar, so heißt es, wolle der Minister so etwas für die Zukunft verhindern. "So einen Auftritt habe ich noch nie erlebt", erzählte ein Teilnehmer im Rückblick. "Das meine ich nicht kritisch, sondern lobend." Fraktionschef Volker Kauder ergänzte, es wäre schön gewesen, wenn die Fraktion so eine Bestandsaufnahme früher bekommen hätte - was ebenfalls als Lob gemeint war.

Hilfe kann der Minister bald ohnehin gut gebrauchen. Am Mittwoch soll das Kabinett seine Reform verabschieden, im Herbst wird er über Standortschließungen entscheiden müssen. Das dürfte kein Spaß werden.

© SZ vom 16.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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