Süddeutsche Zeitung

Verteidigungsbündnis:Nato und Russland: Projekt Unfallvermeidung

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Von Daniel Brössler, Brüssel

Als der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu am Montag im Nato-Hauptquartier erschien, war es der Operation "Wir sind nicht allein" zweiter Teil. Am Vortag hatte Davutoğlu den "Neubeginn" im Kreise der "europäischen Familie" gefeiert, nun versicherte er sich im Gespräch mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg noch einmal der Solidarität des Bündnisses.

Man sei dankbar für die Unterstützung der Nato in der Krise um den Abschuss eines russischen Kampfjets an der Grenze zu Syrien, sagte Davutoğlu. Dass diese Unterstützung bei etlichen Alliierten lauwarm ausgefallen war, ließ er unerwähnt. In die Solidaritätsbekundungen hatten sich auffällig viele Mahnungen zur Ruhe gemischt.

"Hätte es keine Luftraumverletzung gegeben, gäbe es heute keine Krise"

An der Seite des türkischen Regierungschefs wollte Stoltenberg nun keinen Zweifel erlauben: "Die Türkei fühlt sich der Nato und die Nato stark der türkischen Sicherheit verpflichtet. Alle Verbündeten unterstützen vollständig das türkische Recht, seine territoriale Integrität und seinen Luftraum zu verteidigen", stellte er klar. Mit dieser willkommenen Rückendeckung verwahrte sich Davutoğlu noch einmal gegen die Moskauer Forderung nach einer Entschuldigung für den Abschuss des Jets.

"Als Ministerpräsident einer Nation mit Würde und mit einer Rekord-Unterstützung von 49,5 Prozent in den Wahlen kann ich sagen, dass die Verteidigung unseres Luftraums nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht für meine Regierung ist", betonte er. Kein Präsident oder Premierminister könne "sich wegen der Erfüllung seiner Pflicht entschuldigen".

Zwar wiederholte Davutoğlu die Worte von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, er wünschte, der Vorfall sei nicht passiert. Aber er stellte auch klar: "Hätte es keine Luftraumverletzung gegeben, gäbe es heute keine Krise." Zu Gesprächen mit den "russischen Freunden" sei man bereit, über die von Russland verhängten Sanktionen sei man verwundert. In der Ukraine-Krise habe man sich doch gemeinsam mit Russland gegen Wirtschaftssanktionen ausgesprochen.

Wenn an diesem Dienstag und Mittwoch die Außenminister der Nato-Staaten zusammenkommen, dann wird die Türkei noch einmal unzweideutige Solidarität erwarten - und vermutlich die Zusage zur verstärkten Unterstützung bei der Landesverteidigung erhalten. Außerdem soll der Vorfall an der türkisch-syrischen Grenze ein Projekt voranbringen, das nicht zuletzt von Deutschland betrieben wird.

Es habe sich gezeigt, "wie wichtig es ist, die internationalen Mechanismen zu stärken, Stabilität und Transparenz und Berechenbarkeit in unserem Verhältnis zu Russland zu schaffen", sagte Stoltenberg. "Das ist zentral, um Zwischenfälle und Unfälle zu vermeiden". Und um zu verhindern, dass sie - einmal geschehen - " außer Kontrolle geraten".

Die türkisch-russische Krise steht exemplarisch für die Lage, mit der es die Nato-Außenminister zu tun haben. Im Osten wird Russland nach wie vor als Bedrohung wahrgenommen, im Süden regiert vielerorts das Chaos. Und in Syrien vermischen sich beide Probleme. "Ich fordere Russland auf, eine konstruktive Rolle in Syrien zu spielen, indem es den IS, unseren gemeinsamen Feind, ins Visier nimmt", so Stoltenberg am Montag.

"Speerspitze" auch im Süden einsetzbar

Und Davutoğlu beklagte sich, dass Russland nicht aufgehört habe, die moderate Opposition zu bombardieren. "Die Bombenangriffe der Russen rufen neue Flüchtlingswellen hervor. Nach jedem Bombenangriff kommen Tausende Flüchtlinge. Die Türkei zahlt den Preis für diese Krise", sagte er.

Die Nato als Verteidigungsbündnis ist nicht Teil der US-geführten Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat, fühlt sich aber durchaus zuständig für mögliche Bedrohungen aus dem Süden. "Wir können uns den Luxus nicht leisten, uns entweder nur auf den Osten oder den Süden zu konzentrieren", betonte Stoltenberg. So sei die neuerdings geschaffene schnelle "Speerspitze" nicht nur zur Abwehr von Bedrohungen aus dem Osten, sondern auch dem Süden geeignet. Entscheiden werden die Außenminister möglicherweise über einen Auftrag an die militärische Führung der Allianz, entsprechende Pläne auszuarbeiten.

Außerdem wird es ein Bekenntnis zur weiteren Unterstützung Afghanistans geben. Anders als geplant soll die laufende Ausbildungs- und Unterstützungsmission Resolute Support 2016 nicht verkleinert werden. So sollen weiterhin etwa 12 500 Soldaten den afghanischen Streitkräften zur Seite stehen. Thema ist außerdem deren Finanzierung. Diese ist nur bis Ende 2017 gesichert. Die Nato will bald damit beginnen, die Mittel für die Zeit von 2018 bis 2020 aufzutreiben.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2015
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