Verteidigung:Zu wenig, zu langsam, zu kompliziert

Der Etat wächst, doch die Bundeswehr krankt weiter, rügt der Wehrbeauftragte. Es fehlt an Ausrüstung und Struktur.

Von Mike Szymanski, Berlin

Trotz zusätzlicher Haushaltsmilliarden für die Truppe kommt die Bundeswehr nicht wirklich vom Fleck. "Für die enormen Kosten, die Deutschlands Steuerzahler für ihre Streitkräfte aufwenden, ist die Bundeswehr als Ganzes bemerkenswert wenig einsatzfähig", kritisiert Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Bundestags, in seinem Bericht für 2019.

Der Wehrbeauftragte, in geheimer Wahl vom Bundestag gewählt, wacht über den Zustand der Bundeswehr. Zugleich ist er Ansprechpartner für die Belange der Soldaten und wird deshalb auch als ihr Anwalt betrachtet. Was er sagt, hat Gewicht.

Seit Jahren wächst der Verteidigungsetat, 2019 sogar von 38,5 auf 43,2 Milliarden Euro. Nie sei er nach 1990 innerhalb eines Jahres so kräftig gestiegen, heißt es im Bericht. In diesem Jahr sind es schon mehr als 45 Milliarden Euro, dennoch ist Bartels Befund bitter: "Gerne würde ich über eine durchgreifende, spürbare Verbesserung der Bedingungen für den Dienst unserer Soldatinnen und Soldaten berichten", sagt er. Aber diese seien bisher "ausgeblieben". Die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme war so schlecht wie in den beiden Jahren zuvor, und dabei "wird es auf absehbare Zeit bleiben". Nicht einmal 40 Prozent des Geräts seien teilweise bei den Waffensystemen einsatzbereit. Panzergrenadiere, die bei Geländeübungen aus einem Kleinbus statt aus einem Schützenpanzer steigen - dieses "so tun als ob, das muss Grenzen haben", rügt Bartels.

Verärgert reagiert der Wehrbeauftragte auch auf die fehlende persönliche Ausrüstung der Soldaten. Bartels hatte ein Sofortprogramm gefordert, das Ministerium versprach Besserung, passiert ist zu wenig. Nur auf Bartels Drängen sei durchgesetzt worden, 10 000 statt nur 5000 Schutzwesten jährlich anzuschaffen. "Bekleidung, Gefechtshelme, Rucksäcke, Nachtsichtgeräte - alles kommt zu langsam und in zu geringen Stückzahlen", moniert er.

Die Personalsituation bleibt ebenfalls angespannt. Bei den Unteroffizieren und Offizieren sind nach wie vor 20 000 Dienstposten offen, der Luftwaffe fehlen Fluglehrer für den Eurofighter, dem Sanitätsdienst mangelt es an Ärzten. Der Wehrbeauftragte hat von truppenärztlichen Sprechstunden erfahren, in denen nur noch Notfälle behandelt wurden.

Vorstellung Nato Gefechtsverband

Sächsische Soldaten zeigen ihre Ausrüstung für einen Panzergrenadierzug.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Seit die Bundeswehr im Dezember 2018 ihre Kriterien für die Musterung gelockert hat, ist die Bewerberlage stabiler geworden. Allerdings bemängelten Vorgesetzte nun bei Truppenbesuchen, die Soldaten seien "dicker, schwächer und dümmer" als früher, berichtet der Wehrbeauftragte. Das Verteidigungsministerium habe eingeräumt, dass weniger ausgemustert wurde als in den drei Jahren zuvor, statt 75 Prozent seien nun 82 Prozent der Bewerber als "dienstfähig" eingestuft worden. Das erlaube kein allgemeines Urteil, dass aber vereinzelt der Eindruck entstehen könne, ein Soldat wäre früher nicht eingestellt worden, lasse sich "nachvollziehen".

Mehr als nur ein Eindruck ist die Zunahme rechtsextremistischer Verdachtsfälle, denen der Militärische Abschirmdienst nachgeht. Ihre Zahl ist 2019 von 270 auf 363 gestiegen. Ein Schwerpunkt liegt mit etwa 20 Fällen bei der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Dazu berichtet Bartels: "Möglicherweise könnte stärkere Dienstaufsicht dazu beitragen, derartige Fälle zu vermeiden." Im Fall der KSK habe das Ministerium mit einem zusätzlichen Dienstposten reagiert. Ein Stabsoffizier soll sich stärker um die Innere Führung kümmern. Insgesamt 45 Soldaten haben die Bundeswehr 2019 wegen extremistischer Verfehlungen verlassen müssen. Die seit Juli 2017 geltende Sicherheitsüberprüfung habe sich bewährt, heißt es im Bericht. Seither wurde 52 Bewerbern die Ausbildung an der Waffe verweigert.

Bei seinen diesjährigen Empfehlungen geht der Wehrbeauftragte einen Schritt weiter als früher. Den bereits unter der damaligen Ministerin Ursula von der Leyen angestoßenen "Trendwenden" nur mehr Zeit zu geben, genüge nicht mehr, wichtig sei neben zusätzlichem Geld die innere Reform. "Die radikale Zentralisierung aus der Ära des Schrumpfens ist kontraproduktiv geworden." Nötig seien mehr Kompetenzen und Verantwortung, bis hinunter in die Bataillone, Brigaden und Geschwader.

Drohne zu teuer

Die Bundeswehr möchte nun doch keine Aufklärungsdrohnen vom Typ Triton kaufen, die der US-Konzern Northrop Grumman herstellt. Statt dessen bestellt sie nun drei Flugzeuge des Typs Bombardier Global 6000 - und will sie mit Militärsensoren ausstatten. Der Grund: Triton werde nicht bis 2025 fertig, obwohl dies der Nato zugesagt worden sei. So steht es in einer vertraulichen Unterrichtung der Obleute des Verteidigungsausschusses. Zudem sei die Drohne mit geschätzten Kosten von 2,4 Milliarden Euro zu teuer. "Es ist vorgesehen, drei Flugzeuge mit einem signalerfassenden Missionssystem auszustatten", heißt es in der Unterrichtung. Dieses solle "unter weitgehender Verwendung" der Sensorik erfolgen, die von der deutschen Industrie einst für eine Drohne namens Euro Hawk entwickelt worden war. Reuters

Bis Ende 2018 hätten Hunderte Führungskräfte reflektiert, wie moderne Innere Führung sein müsse. Ihr Bericht sei aber bis heute unter Verschluss, so Bartels. Jedoch liegt ihm der Entwurf vor, aus dem er zitiert: "Fehlendes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation ist in allen Bereichen der Bundeswehr spürbar." Zugleich kritisiert der Beauftragte eine "Neigung zur Überorganisation" und führt 42 neu geschaffene Leitungsgremien an. Es kompliziert zu machen, präge die Mentalität in der Führung.

Für Bartels ist es bereits der fünfte Jahresbericht. Im Mai endet seine erste Amtszeit, ob es eine zweite für ihn gibt, ist offen. Die Union stellt das infrage, die Verteidigungsexperten von FDP und Grünen stehen hinter dem Sozialdemokraten. Auch er selbst will weitermachen.

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