Süddeutsche Zeitung

Verteidigung:Wie man Milliarden für die Bundeswehr rekrutiert

  • Die Debatten um die Wiederbelebung der Wehrpflicht oder Einführung einer Dienstpflicht, die enorm teuer wäre, haben bei der Bundeswehr keine Begeisterung ausgelöst.
  • Schon jetzt bereitet den Streitkräften die schlechte finanzielle Lage der Truppe Sorgen.
  • Nach Ansicht vieler Fachleute würde selbst eine deutliche Anhebung des Verteidigungshaushalts allenfalls Mängel verringern.

Von Joachim Käppner

Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hat einmal gesagt, die Deutschen hegten gegenüber ihren Streitkräften "ein freundliches Desinteresse". Viele Soldaten sehen das ähnlich, manche halten das Desinteresse auch für gar nicht so freundlich. In den vergangenen Wochen gab es heftige Debatten über die Bundeswehr; doch die neue Aufmerksamkeit löste bei vielen in der Truppe ungläubiges Staunen aus: Wovon reden die?

Erst sprach sich ein Politikwissenschaftler dafür aus, die Bundeswehr mit Atombomben auszurüsten, da unter Präsident Donald Trump der nukleare Schutz durch die USA nicht mehr gewährleistet sei. Kaum war die leicht gespenstische Debatte abgeklungen, ging es um eine Rückkehr der 2011 mangels militärischer Bedrohung ausgesetzten Wehrpflicht, und sei es im Gewande einer allgemeinen Dienstpflicht für alle jungen Deutschen. Das Thema treibt vor allem die CDU um, wo viele so den Gemeinsinn im Land stärken wollen.

Begeisterung haben die Pflichtdienst-Szenarien in der Truppe aber keineswegs ausgelöst, denn: Wer soll das bezahlen? Konkrete Zahlen gibt es nicht, sicher ist aber: Ein solcher Systemwechsel würde sehr viele zusätzliche Milliarden kosten. Das "Wehrersatzwesen", das die Wehrpflichtigen erfasste, einzog und in die Truppe integrierte, gibt es nicht mehr. Die nötigen Kasernen sind verschwunden, die Ausbildungsstrukturen auch. Und der zur Profiarmee gewandelten Bundeswehr stünde ein weiterer Umbau, oder besser Rückbau, bevor.

Es ist zwar richtig, dass es wenig Nachwuchs gibt. Jeder fünfte Offiziersanwärter quittiert innerhalb der ersten sechs Monate den Dienst. Bei den freiwillig Wehrdienstleistenden wird es immer schwerer, die vorgesehenen 8500 Frauen und Männer im Jahr zu finden und auch zu behalten. Wesentlich mehr Sorgen bereitet den Streitkräften aber die schlechte finanzielle Lage der Truppe.

Viel Geld befindet sich im Wehretat: Warum fliegen die Hubschrauber trotzdem nicht?

Bei einem Wehretat von 38,5 Milliarden Euro im Jahr 2018 könnten Laien versucht sein zu fragen, warum so viel Geld nicht garantiert, dass Hubschrauber fliegen und U-Boote einsatzfähig sind. Sieht man genauer hin, gewinnt das Bild der Unterfinanzierung aber rasch Konturen. Personalausgaben (32,8 Prozent) und Versorgung (15,6) machen schon fast die Hälfte des Etats aus, die reinen Betriebsausgaben weitere 18,3 Prozent. Nur 4,86 Milliarden, schlappe 13,1 Prozent, bleiben für "militärische Beschaffungen".

Dies genügt aber bei Weitem nicht für all die Aufgaben, welche der Bundeswehr zuletzt gestellt wurden: Auslandseinsätze in Afghanistan, Mali und im Mittelmeer; neue Aufgaben im Rahmen der Nato-Strategie, mehr Präsenz bei den neuen Mitgliedern in Osteuropa zu zeigen, vor allem im Baltikum; dazu noch grundsätzlich die Fähigkeit vorzuhalten, die Landesverteidigung zu sichern.

Zu all dem soll die Truppe bis 2024 wieder auf fast 200 000 Soldaten anwachsen, eines der wichtigsten Projekte von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zur Stärkung der Bundeswehr. Dafür reicht der derzeitige Etat nicht im Mindesten, Schätzungen zufolge wäre allein für die Aufstockung eine zusätzliche Milliarde Euro nötig.

Auslandseinsätze wie die UN-Missionen in Afghanistan und Mali erfordern teilweise eine andere Ausrüstung als bei der konventionellen Verteidigung in Europa. Benötigt werden Helikopter, die bei Hitze, Staub und Sand einsatzfähig bleiben, oder minensichere Schützenpanzer. Die Bundesrepublik hat fast den gesamten ersten Afghanistaneinsatz (Isaf, 2001 bis 2014) benötigt, um die Soldaten "so sicher und gut wie möglich auszurüsten", wie es in Sonntagsreden gern heißt.

Um dies aber zu schaffen, verkam die Bundeswehr zu Hause zu einem besseren Ersatzteillager. 2014 bestand die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung großenteils nur noch auf sehr geduldigem Papier. Noch immer ist ein Teil des Materials nur deshalb einsatzfähig, weil ein anderer Teil dafür ausgeschlachtet wurde. Zuletzt geschah das bei der bis 5000 Mann starken schnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF, die zur Hälfte von den Deutschen gestellt wird - die sich dafür quer durchs Land Fahrzeuge und Ausrüstungsteile zusammenleihen mussten, die anderswo wieder fehlen.

Das ist die Lage, in welcher nun die Zwei-Prozent-Debatte über die Bundesregierung hereinbrach, ausgelöst in der Manier eines Wüterichs von US-Präsident Trump vor dem jüngsten Nato-Gipfel. Während die Amerikaner fast vier Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in die Streitkräfte stecken, sind es in Deutschland derzeit nicht einmal 1,3. Unfair, wütete Trump, und wer hier eigentlich wessen Schutz wünsche? Derzeit versucht von der Leyen mühsam, den widerstrebenden Koalitionspartner SPD Richtung 1,5 Prozent zu ziehen.

Wenn die Sozialdemokraten sich nun einer von Trump verordneten "neuen Rüstungsspirale" verweigern, wäre solche Standhaftigkeit überzeugender ohne einen kleinen Haken: Die zwei Prozent hat die SPD selbst vor vier Jahren erst mitbeschlossen, als die Nato sich unter dem Eindruck der Ukrainekrise um den Schutz des Bündnisgebiets sorgte und eben das Zwei-Prozent-Ziel ausgab. Ein US-Präsident Trump war damals noch unabsehbar.

Zwei Prozent vom BIP in die Verteidigung? Für viele Fachleute nur eine Verringerung des Mangels

Viele Fachleute wie der frühere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Klaus Naumann, halten angesichts der langen Mängelliste bei der Bundeswehr selbst die avisierten 1,5 Prozent für zu wenig. Naumann zufolge würden sogar die einst versprochenen zwei Prozent "keineswegs Aufrüstung, allenfalls eine Verringerung der seit 2000 durch Unterfinanzierung und Einsätze verursachten Mängel bedeuten und würden daher auch die Spannungen mit Russland nicht erhöhen."

Ein Beispiel: Nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Bundeswehr 4500 schwere Kampfpanzer besaß, ihre Hauptwaffe, schrumpfte deren Zahl dank der friedlichen Zeiten gewaltig. Dass aber zuletzt aus reinen Kostengründen nur noch 225 übrig blieben, von denen keineswegs alle einsatzbereit sind, hat der Wehrbeauftragte, Hans-Peter Bartels (SPD), 2017 als typisch für die eklatanten Ausrüstungsmängel der Streitkräfte gerügt.

Im selben Jahr beschloss von der Leyen dann, 104 weitere Leopard II, die bereits ausgemustert waren, von der Industrie zurückzukaufen, um wenigstens bei den Panzern ein Minimum an Abschreckungsfähigkeit wiederherzustellen. Die Tanks müssen dafür allerdings aufwendig modernisiert und umgerüstet werden; bis die Bundeswehr über alle verfügt, wird das Jahr 2023 angebrochen sein. Kostenpunkt: mindestens 760 Millionen Euro. Und das ist nur ein Beispiel von sehr vielen.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2018
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