Berlin (dpa) - Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hat für eine Kooperation Deutschlands mit dem Atomwaffenstaat Frankreich für eine eigenständige nukleare Abschreckung Europas plädiert.
„Wir müssen eine Zusammenarbeit mit Frankreich bei den Nuklearwaffen ins Auge fassen“, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspiegel“. „Deutschland sollte bereit sein, sich mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln an dieser nuklearen Abschreckung zu beteiligen. Im Gegenzug sollte Frankreich sie unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato stellen.“
Befürworter einer atomaren Abschreckung argumentieren, dass ein gegnerischer Angriff durch das Drohen mit Atomwaffen verhindern werden könne. Das gegenseitige Drohen mit den vernichtenden nuklearen Waffen verhindere so Krieg und sichere den Frieden.
Eine Zusammenarbeit in diesem Bereich gibt es bereits mit den USA. So hält Deutschland Tornado-Kampfflugzeuge zur sogenannten nuklearen Teilhabe bereit - ein Abschreckungskonzept der Nato, bei dem Verbündete Zugriff auf Atomwaffen der USA haben können. Die deutschen Tornados könnten in Deutschland gelagerte US-Atomwaffen ins Ziel tragen, ohne dass Deutschland über eigene Atomwaffen verfügt. Noch in diesem Jahr soll über ein Nachfolgemodell für die in die Jahre gekommenen und im Betrieb immer teurer werdenden Tornado-Flugzeuge entschieden werden.
„Die Realität ist, dass wir eine atomare Abschreckung benötigen. Es ist in deutschem Interesse, dass wir auf die nukleare Strategie Einfluss nehmen können, die uns schützt. Es wäre klug, das auch mit Frankreich zu versuchen“, sagte Wadephul der Zeitung. Er kritisierte, die politische Linke reagiere auf diese Debatte mit Ausflüchten. „Ausflüchte sorgen aber nicht für mehr Sicherheit“, sagte er.
Auf die Frage, woher seine Hoffnung komme, dass Paris dazu bereit sein könne, sagte Wadephul: „Weil nationales Denken in dieser Welt die EU auf Dauer nicht sicherer machen wird.“ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe Deutschland mehrfach aufgefordert, mehr Europa zu wagen. „Er könnte nun zeigen, dass auch er dazu bereit ist. Ich mache mir keine Illusionen. Das wird seine Zeit brauchen. Aber die Debatte muss jetzt beginnen.“
Die beiden EU-Kernländer Deutschland und Frankreich haben bereits gemeinsame Großprojekte für die Rüstung vereinbart. Bei den milliardenschweren Vorhaben geht es um die Entwicklung eines Luftkampfsystems mit einem Kampfjet sowie um einen Kampfpanzer.
Macron hatte im vergangenen Jahr für eine deutlich größere Eigenständigkeit der Europäer in Verteidigungsfragen geworben und angedeutet, dass die französische Atomstreitkraft (Force de frappe) aus seiner Sicht auch andere europäische Staaten schützen könnte.
Nach Einschätzung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg können die französischen Atomwaffen keinen ausreichenden Schutzschirm für andere europäische Staaten bieten. Die USA seien bei der nuklearen Abschreckung für die Europäer unverzichtbar. Grund sei, dass es nur für die US-Atomwaffen in Europa gemeinsame Führungsstrukturen, strategische Konzepte und Übungen gebe, sagte er im vergangenen Jahr.
„Die Forderung Wadephuls nach deutscher nuklearer Abschreckung heißt, Massenmord aus Deutschland wieder denk- und planbar zu machen. Damit würde sich 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Geschichte wiederholen“, warnte Greenpeace-Sprecher Christoph von Lieven am Montag. „Atomwaffen sind Massenvernichtungsmittel, die nicht zwischen Soldaten, Frauen und Kindern unterscheiden. Die Realität sind Hunderttausende von Toten in Hiroshima, Nagasaki und als Folgen der Atomwaffentests. Alles andere ist Spekulation.“ Die historische Verantwortung Deutschlands bestehe darin, Frieden zu sichern. „Dies geht nur ohne Atomwaffen. Deutschland muss deshalb den Atomwaffenverbotsvertrag unterschreiben“, forderte er.
Wadephul „fordert deutsche Atomwaffen“, schrieb Ex-Außenminister Sigmar Gabriel auf Twitter. „Egal ob mit oder ohne F: Dafür müsste D alle Verträge brechen. Die deutsche Großmannssucht scheint zurück. Wir sollten für neue Abrüstung eintreten und nicht an der atomaren Aufrüstungsspirale mitdrehen.“