Verteidigung:Das Phantom der europäischen Armee

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Soldaten des Eurocorps zeigen Flagge – in ihrem Fall ist es die der Europäischen Union. (Foto: Frederick Florin/AFP)
  • Seit einem Vorstoß des französischen Präsidenten Macron wird wieder über eine europäische Armee diskutiert.
  • Die Hürden für ein solches Vorhaben sind allerdings groß. Das gilt allen voran für Deutschland mit seinem gesetzlich geregelten Parlamentsvorbehalt.

Von Daniel Brössler, Berlin

Es war eine Idee, die "den grausamen Lehren der Vergangenheit" Rechnung tragen sollte. Die französische Regierung schlage "für eine gemeinsame Verteidigung die Schaffung einer europäischen Armee vor, die mit den politischen Institutionen des geeinten Europas verbunden ist", hieß es in einer Regierungserklärung. Sie stammt vom 24. Oktober 1950, abgegeben vom damaligen französischen Ministerpräsidenten René Pleven.

Die europäische Armee ist das Phantom der europäischen Einigung. Als Idee, als Projekt, als Vision taucht sie seit Jahrzehnten immer wieder auf - und scheint dabei nie alt zu werden. Immer wieder aufs Neue ruft sie Begeisterung bei den einen und Grausen bei den anderen hervor. Anfang November hat nun der französische Präsident Emmanuel Macron in Verdun von der Notwendigkeit gesprochen, eine "richtige europäische Armee" zu schaffen. Diesmal schien es, als habe Bundeskanzlerin Angela Merkel sich anstecken lassen. Nun will auch sie "an der Vision arbeiten, eines Tages eine echte europäische Armee zu schaffen", wie sie im EU-Parlament in Straßburg versprach.

Kurzfristig entstand der Eindruck, Merkel sei Macron hier ein großes Stück entgegengekommen. Doch eine politische Diskussion, was das bedeuten würde, blieb aus in Berlin. In ihr nämlich würde es schnell ans Eingemachte gehen.

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Er sei "froh, dass die Bundeskanzlerin den Schritt gegangen ist zur Vision einer Europaarmee, weil das deutlich macht, dass es um noch mehr europäischen Zusammenhalt geht", sagt der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuss. Nehme man das Vorhaben ernst, seien aber wesentliche Veränderungen in der deutschen Gesetzgebung notwendig. "Der Knackpunkt in Deutschland ist, dass man es gar nicht wagt, die Debatte zu führen", klagt er. Die zentrale Frage ist, wie sich das Vorhaben einer europäischen Streitmacht verträgt mit dem deutschen Verständnis von der Bundeswehr als Parlamentsarmee - und damit mit einer der Grundfesten der Republik.

Dabei haben die Parteien, auch die derzeitige großen Koalition, sich zum Ziel einer europäischen Armee immer wieder bekannt. Man strebe eine gemeinsame Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik der EU an, heißt es im Hamburger Programm der SPD von 2007. Dazu müssten "auch die Armeen der Mitgliedstaaten enger zusammenwachsen". Und: "Langfristig wollen wir eine europäische Armee, deren Einsatz parlamentarisch legitimiert sein muss." Nicht viel anders klingt das im CDU-Grundsatzprogramm von 2007: "Wir setzen uns auch weiterhin für eine Integration nationaler Einheiten in europäische Sicherheitsstrukturen mit einer europäischen Armee als Fernziel ein."

Im "neuen Aufbruch" für Europa verheißenden aktuellen Koalitionsvertrag steht davon allerdings nichts. Die Rede ist nur von der europäischen Verteidigungsunion und "weiteren Schritten auf dem Weg zur Armee der Europäer". Eine europäische Armee ist damit nicht gemeint, sondern nur eine stärkere militärische Rolle der EU, wie sie seit dem Brexit-Votum der Briten vorangetrieben wird. Das Vehikel ist die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, nach der Abkürzung der englischen Bezeichnung bekannt als Pesco. 25 EU-Staaten haben sich in diesem Rahmen zu engerer Kooperation verpflichtet und organisieren gemeinsame Projekte, etwa die Entwicklung neuer Waffensysteme. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini stellte aber klar: "Wir bauen hier keine europäische Armee auf." Die EU werde "nicht zu einer Militärallianz".

Schon dadurch wird deutlich, dass Macrons von Merkel zumindest verbal unterstützte Vision nicht einfach Schritt für Schritt zu erreichen wäre. Worum es geht, ist ein regelrechter Quantensprung. Das gilt vor allem für Deutschland, wo das Grundgesetz militärischen Einsätzen im Ausland aus historischen Gründen enge Grenzen setzt. Zwar sieht es die Möglichkeit vor, sich in ein "System kollektiver Sicherheit" wie der Nato einzuordnen. Bewaffnete Auslandseinsätze sind aber - anders als etwa in Frankreich - nur mit Zustimmung des Bundestags möglich. Geregelt ist dieser "Parlamentsvorbehalt" im Parlamentsbeteiligungsgesetz.

"In seiner jetzigen Form ist der Parlamentsvorbehalt eher ein Hemmschuh für eine stärkere Integrationsfähigkeit Deutschlands", mahnt Kiesewetter. Das zeige sich schon daran, dass selbst kleinste Einsätze mit nur wenigen Soldaten und geringer Eskalationsgefahr eines eigenen Mandats des Bundestages bedürften.

2015 hatte eine Kommission unter Leitung von Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe - erfolglos - Vorschläge zur Vereinfachung der Parlamentsbeteiligung vorgelegt. Die Parlamente müssten künftig "multinationaler denken und an Tempo zulegen", forderte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nun unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zu diesem Zweck könnten sich "spezialisierte Abgeordnete des Bundestages in einem gemeinsamen Ausschuss europäischer Länder früh und regelmäßig mit Krisenszenarien und aktuellen Lösungsoptionen auf europäischer Ebene beschäftigen", so die Ministerin.

Die Parlamente müssen "multinationaler denken", so die Bundesverteidigungsministerin

Der SPD-Außenpolitiker und Vize-Fraktionschef Rolf Mützenich hält die Sorgen allerdings für unbegründet. In der Vergangenheit habe der Bundestag immer - unter Zeitdruck auch zügig - gehandelt, wenn es um das Mandat für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr gegangen sei. Das werde auch im Falle einer stärkeren Europäisierung der Streitkräfte so sein. "In der Praxis wird es keine Verzögerung geben. Die Partner müssen aber verstehen, dass es Einsätze geben könnte, die Teile des Parlaments ablehnen", sagt er. Selbst wenn ein spezialisierter europäischer Ausschuss geschaffen werde, gelte: "Am Ende muss das Parlament in seiner Gänze entscheiden." Mützenich meint den Bundestag, wenngleich er sich auch eine Zustimmung zu den Einsätzen einer europäischen Armee durch das EU-Parlament vorstellen kann, "wenn es einmal eine Bindekraft entwickelt wie der Bundestag".

Kiesewetter plädiert nun erst einmal für einen neuen Anlauf bei der praktischen Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung. "Wir brauchen strategische Absprachen zwischen den EU-Staaten, damit die Länder nicht einzeln über jeden Einsatz gemeinsam beschafften Materials entscheiden müssen", fordert er. Unterhalb der Schwelle größerer bewaffneter Einsätze mit Eskalationsgefahr wünscht sich Kiesewetter einmal im Jahr eine große strategische Debatte im Bundestag und einen "Sammelbeschluss" für die militärische EU-Zusammenarbeit. Entwickele die EU militärische Fähigkeiten, kann sich auch Kiesewetter "persönlich" Einsatzbeschlüsse durch das EU-Parlament vorstellen, wenn es "mehr Rechte erhält und die Bevölkerungen der Mitgliedstaaten angemessen repräsentiert". Er sei da aber in einer "absoluten Minderheit".

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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