Nach Rechtsgutachten:SPD will gegen Betreuungsgeld klagen

Mit dem Gesetz zum Betreuungsgeld könnte sich die Koalition erneut mit dem Bundesverfassungsgericht anlegen. Das legt ein neues Gutachten nahe, das im Auftrag der SPD-Bundestagsfraktion erstellt wurde. Die Koalition dürfte das nicht stören. Dass die Leistung kommt, kann auch eine Klage erst mal nicht verhindern.

Thorsten Denkler, Berlin

Es klingt erst mal schlüssig, was Rechtsprofessor Joachim Wieland im Besprechungsraum E.214 des Bundestags vorträgt. Sein Job war es, im Auftrag der SPD-Bundestagsfraktion Gründe zu finden, die aus verfassungsrechtlicher Sicht gegen das Betreuungsgeld sprechen. Die ehemalige Justizministerin Brigitte Zypries begleitet ihn sowie Dagmar Ziegler, die als stellvertretende Fraktionschefin für Familie und Bildung zuständig ist.

Wieland hat begutachtet und kommt zu der in dieser Konstellation nicht ganz überraschenden Erkenntnis: Das Gesetz zum Betreuungsgeld verstößt klar gegen die Verfassung.

Vier Gründe macht der Rechtsgelehrte aus Speyer aus:

[] Mit dem Betreuungsgeld werde ein staatlicher Anreiz geschaffen, das Kind nicht in die Kita zu bringen. Schon damit verstoße das Gesetz gegen die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Familien. Zumal es Familien auch noch finanziell benachteiligt, die auf staatliche Kitas angewiesen sind. Die bekommen das Betreuungsgeld ja nicht.

Das Bundesverfassungsgericht habe zu ähnlichen Frage mehrfach derart "apodiktisch" Stellung genommen, dass eine "Rechtfertigung des Betreuungsgeldes ausgeschlossen erscheint", schreibt Wieland.

[] Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz: Alle öffentlichen Einrichtungen, ob Kitas, Bibliotheken oder Opernhäuser sind staatlich, also aus dem Steuergeld aller Bürger finanziert oder bezuschusst. Das Betreuungsgeld aber wird quasi als Belohnung gezahlt, wenn so ein staatliches Angebot nicht wahrgenommen wird.

Wieland: Eine solche Neuregelung "würde unser gesamtes System der Staatsfinanzierung auf den Kopf stellen". Dann könne auch jemand Geld verlangen, der eine Bibliothek nicht in Anspruch nehme.

[] Eltern von Kindern im Alter von 13 oder 14 Monaten würden ungleich behandelt. Die einen bekämen Elterngeld plus Betreuungsgeld. Die anderen nur das Elterngeld. Dafür gebe es keinen ersichtlichen Grund.

[] Das Betreuungsgeld verstoße gegen die Pflicht des Staates, die Gleichberechtigung von Mann und Frau voranzutreiben. Da es immer noch gelebte Realität sei, dass eher die Frau das Kind betreue und eher der Mann weiter arbeiten gehe, müsste der Staat im Grunde versuchen, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen. Das Betreuungsgeld sei aber so ausgestaltet, dass es Frauen animiere, auf Job und Karriere zu verzichten.

Auch Hamburg will klagen

Trotz dieser Bedenken wird die schwarz-gelbe Koalition das Gesetz Ende September im Bundestag verabschieden. Ein paar kleinere Gelegenheiten haben die Betreuungsgeld-Gegner noch, es scheitern zu lassen. Brigitte Zypries, heute Justiziarin ihrer Fraktion, hofft, dass sich im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu einem Einspruch gegen das Gesetz finden lasse. Elf Länder hätten bereits signalisiert, mitzumachen.

Kommt es dazu, dann müsste der Bundestag diesen Einspruch ebenfalls mit Zwei-Drittel-Mehrheit zurückweisen. Ein unmögliches Unterfangen.

Dagmar Ziegler wiederum hofft noch darauf, dass sich die Kontra-Kräfte in der Koalition durchsetzen. Es gebe für das Gesetz keine überzeugte, nur eine von CSU-Chef Horst Seehofer "erpresste Mehrheit" für das Gesetz.

In der FDP wächst auch mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl der Widerstand gegen das Betreuungsgeld. Sie hat jetzt die Losung ausgegeben, im Bundeshaushalt vier Milliarden Euro einsparen zu wollen. Das ginge nur, wenn das Betreuungsgeld gekippt würde.

Politisch wahrscheinlich sind beide Szenarien nicht. Auch deshalb bereitet sich die SPD-Fraktion auf eine Klage vor. Alleine geht das jedoch nicht. Ein Viertel aller Abgeordneten müssten so eine Klage unterstützen. Dafür braucht die SPD die Unterstützung der Grünen. Die ist nicht sicher, aber wahrscheinlich. Ekin Deligöz, Fraktionsvize der Grünen, erklärte, das Gutachten fügte sich "nahtlos ein" in die "ellenlange Liste von massiven Kritikpunkten am Betreuungsgeld". Es sei allerdings "bitter, wenn erst das Bundesverfassungsgericht diesem unsinnigen Treiben ein Ende bereitet".

Das SPD-geführte Hamburg will ebenfalls klagen. Allerdings aus anderen Gründen. Aus Sicht der Hamburger kann der Bund Gesetze nur erlassen, wenn diese "erforderlich" seien, etwa um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herzustellen. Dass das Betreuungsgeld aber erforderlich ist, daran zweifelt auch Gutachter Wieland. In Thüringen gebe es schon ein Betreuungsgeld. Daraus einen "Notstand" in allen anderen Ländern abzuleiten, sei nur schwerlich möglich.

Beide Klagen hätten eines gemeinsam: Ein schnelles Ergebnis ist nicht zu erwarten. Erfahrungsgemäß wird sich das Gericht ein bis zwei Jahre Zeit nehmen. Das dürfte jedoch sowohl im Sinne der Opposition als auch der CSU sein. Beide Seiten werden so das Betreuungsgeld im anstehenden Bundestagswahlkampf zur Mobilisierung ihrer Anhänger nutzen können.

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