Versteckte Einflussnahme:So schützt der Bundestag Lobbyisten

Berlin Mitte Is Home To Germany's Lobbyists

Rein in den Bundestag? Für Lobbyisten kein Problem.

(Foto: Getty Images)
  • Fast die Hälfte der mehr als 2000 Hausausweise für Lobbyisten werden über die Parlamentarischen Geschäftsführern (PGF) der Fraktionen beantragt.
  • Etwa 900 davon werden über die PGF von Union und SPD beantragt. Zum Vergleich: Der Bundestag hat 631 Abgeordnete.
  • Die Namen der Lobby-Organisationen wollen weder Bundestagsverwaltung noch die PGF der großen Koalition nennen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Lobbyisten sind scheue Wesen. Sie wollen nicht in der Öffentlichkeit stehen. Verständlich, aus ihrer Sicht. Soll ja keiner merken, welche Gesetze womöglich dank ihrer Einflussnahme an der einen oder anderen Stelle verändert werden. Unverständlich hingegen dürfte sein, dass sie in ihrer Heimlichtuerei von der Bundestagsverwaltung und den Fraktionen von Union und SPD auch noch unterstützt werden.

Es geht um die begehrten Hausausweise zum Deutschen Bundestag. Wer einen hat, am besten einen Jahresausweis, der hat jederzeit Zugang zu den Liegenschaften des deutschen Bundestages. Er kann sich frei durch die Flure der Häuser mit den Abgeordneten-Büros bewegen, in der Bundestagskantine zu Mittag essen. Oder vor den Ausschuss-Sälen auf Abgeordnete warten und neueste Informationen abgreifen. Journalisten haben solche Ausweise, natürlich die Mitarbeiter der Abgeordneten, Bedienstete der Ministerien und des Bundestages.

Und Lobbyisten.

Bekannt war bisher, dass Lobby-Organisationen, die sich auf der Lobby-Liste des Bundestages registriert haben, einen solchen Ausweis für ihre Vertreter beantragen können. Auf dieser Liste stehen nach aktuellem Stand vom Dezember vergangenen Jahres 2221 Organisationen.

SZ.de hat bereits am 14. Januar im Bundestag schriftlich angefragt, wie viele Organisationen auf dieser Liste über Hausausweise verfügen. Die Antwort kam eine geschlagene Woche später. Es sind 575 (den Schriftwechsel haben wir unten dokumentiert).

Bundestagsverwaltung gibt sich zugeknöpft

Der Blog Abgeordnetenwatch.de hatte allerdings im vergangenen Jahr aufgedeckt, dass es noch einen ganz anderen Weg für Lobbyisten gibt, an einen Hausausweis zu kommen.

Nämlich über die parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen. Welche und wie viele Lobbyisten über diesen Weg einen Ausweis bekommen und von wem, das wollte die Bundestagsverwaltung gegenüber Abgeordnetenwatch.de nicht preisgeben. Abgeordnetenwatch.de hat dagegen vergangene Woche Klage eingereicht.

Auch gegenüber SZ.de gibt sich die Bundestagsverwaltung zugeknöpft. Sie bestätigt zwar, dass es diesen Sonderweg gebe. Die Namen der Organisationen, die von den jeweiligen PGF erfolgreich eine Empfehlung bekommen haben, will sie auf Nachfrage nicht preisgeben. Am diesem Freitag antwortet eine Sprecherin schriftlich auf Nachfrage, dass dieser Punkt angeblich die "Persönlichkeitsrechte" der PGF wie auch "deren Recht auf freie Mandatsausübung" betreffen würde. "Eine Beantwortung Ihrer Frage ist daher nicht möglich."

Martin Reyher von Abgeordnetenwatch.de hält das für "eine einigermaßen skurrile Erklärung". Ein PGF stelle solche Empfehlungen ja nicht als Privatperson, sondern als Amtsträger der Fraktion aus.

So sieht das auch Petra Sitte, parlamentarische Geschäftsführerin der Linken: "In den Regeln des Bundestages ist festgelegt, dass nur die PGF solche Empfehlungen aussprechen können", sagt sie zu SZ.de. Wünsche nach einem Hausausweis würden an sie als "Repräsentantin der Fraktion herangetragen". Als einfach Abgeordnete hätte sie diese Befugnis gar nicht. Die Argumentation der Bundestagsverwaltung sei aus ihrer Sicht nicht stichhaltig.

Immerhin offenbart die Bundesverwaltung gegenüber SZ.de ein paar bis dahin geheime Zahlen. Imposante Zahlen. Etwa die Zahl der Hausausweise, die über den PGF-Sonderweg an ihre Empfänger gelangten. Im Verlauf des Jahres 2013 seien es 960 gewesen. Für das Jahr 2014 sei "die entsprechende Anzahl noch zu ermitteln". Eine überschlägige Durchsicht habe aber "ergeben, dass die Anzahl in etwa der des Vorjahres entsprechen wird und bei circa 1000 Hausausweisen liegen dürfte", schreibt eine Sprecherin des Bundestages auf SZ.de-Nachfrage.

Nur Grüne und Linke machen Listen öffentlich

Das sind übrigens Zahlen, die die Bundestagsverwaltung gegenüber Abgeordnetenwatch.de kurioserweise nicht herausrücken wollte: "Sie haben gegenüber dem Deutschen Bundestag keinen Anspruch auf Mitteilung der Anzahl der Hausausweise, die aufgrund der Zeichnung und Befürwortung eines Parlamentarischen Geschäftsführers (PGF) einer Bundestagsfraktion seit Beginn dieser Wahlperiode von der Bundestagsverwaltung ausgegeben wurden", heißt es in einem Schreiben der Bundestagsverwaltung an Abgeordnetenwatch.de, das SZ.de vorliegt.

Die PGF von Union und SPD wollen bisher auch nicht sagen, wie viele dieser Ausweise auf ihre Konten gehen. Und schon gar nicht, welche Organisationen dahinter stehen. Ihr Argument: Datenschutz. Sie wollen die Persönlichkeitsrechte der Ausweisinhaber schützen.

Nur Linke und Grüne haben ihre Listen gegenüber Abgeordnetenwatch.de öffentlich gemacht. Die PGF der Linken, Petra Sitte, hat Hausausweise an Vertreter von vier Organisationen befürwortet. Etwa der Gewerkschaft "IG Bau, Agrar, Umwelt", dem "Aktionsbündnis gegen AIDS" oder dem "Forschungsforum öffentliche Sicherheit e.V.". Die PGF der Grünen, Britta Haßelmann, hat Vertretern von 18 Organisationen Hausausweise ermöglicht. Auf ihrem Ticket kommen Vertreter des "WWF Deutschland", des "Bundesverbands der Solarwirtschaft" oder der "Deutschen Umwelthilfe" in den Bundestag.

Doch selbst wenn jeder dieser 22 Organisationen jeweils über die maximal mögliche Zahl von fünf Hausausweisen verfügen würde, es wären insgesamt nur 110 Hausausweisträger, die über die PGF von Linken und Grünen an ihr Dokument gekommen wären.

Stimmen die Zahlen der Bundestagsverwaltung, die SZ.de jetzt vorliegen, dann haben allein Michael Grosse-Brömer, PGF der Unions-Fraktion, und Christine Lambrecht, PGF der SPD-Fraktion, gemeinsam etwa 900 Lobbyvertretern zu Hausausweisen verholfen. Das sind über 300 mehr, als der Bundestag Abgeordnete hat. Insgesamt verfügen nach Auskunft der Bundestagsverwaltung aktuell 2334 Personen über einen Ausweis der Kategorie "Grün". Diese sind vor allem Interessensvertretern vorbehalten.

Heikel an dem Sonderweg über die PGF: Er ist absolut intransparent. Mit der Einführung der Lobbyliste des Bundestages sollte mehr Einsicht in den Lobbyismus auf Bundesebene möglich gemacht werden sein. Darum ist der Eintrag in diese öffentliche Liste eigentlich eine Grundbedingung dafür, an einen Hausausweis zu kommen.

Der Weg über die PGF ist so gut wie bombensicher - bisher hat die Bundestagsverwaltung keine einzige Empfehlung zurückgewiesen. Er steht zudem dem Transparenz-Anliegen elementar entgegen. Lobbyisten, die lieber ganz im Geheimen Abgeordnete beeinflussen wollen, können sich sicher sein, dass ihre Namen und die Namen ihrer Organisationen nirgends auftauchen. Britta Haßelmann, PGF der Grünen, hält das für schwierig. "Ich bin sehr dafür, dass wir den Transparenzanforderungen in jeder Hinsicht gerecht werden. Da wäre gut für alle Beteiligten", sagt sie zu SZ.de

Die Antworten der Bundestagsverwaltung im Wortlaut

Hier dokumentieren wir unsere Fragen und die Antworten der Bundestagsverwaltung. Unsere Anfrage vom 14. Januar wurde erst sieben Tage später am 21. Januar beantwortet. Die Antworten konnten deshalb nicht mehr in unsere Berichterstattung vom 15. Januar einfließen. Für die Beantwortung unserer Nachfragen vom 21. Januar ließ sich die Bundestagsverwaltung diesmal nur zwei Tage Zeit.

1. Trifft es zu, dass Organisationen, Vereine bzw. deren Vertreter sowohl direkt über die Bundestagsverwaltung als auch über die 1. PGF der Fraktionen Hausausweise für den Bundestag beantragen können?

Ja.

2. Nach welchen Kriterien prüft die Bundestagsverwaltung Anträge, die sie über die PGF erreichen? / Wurde solche Anträge schon abgelehnt? Wenn ja in welchem Umfang?

Die Bundestagsverwaltung - hier die Zentrale Ausweisstelle - prüft die Anträge auf Vollständigkeit. In eigener Zuständigkeit der Bundestagsverwaltung erfolgt dann stets die übliche Sicherheitsüberprüfung. Bisher wurde kein Antrag abgelehnt.

3. Der Bundestag führt eine öffentliche Lobbyliste. Dort Genannte haben keinen Anspruch auf einen Hausausweis. Wie viele der dort genannten Organisationen verfügen dennoch über Vertreter, die im Besitz eines Hausausweises sind?

Es trifft zu, dass Interessenvertreter, die in der öffentlichen Liste des Bundestages "Registrierung von Verbänden und deren Vertretern" eingetragen sind, nicht schon mit der Eintragung in die Liste einen Anspruch auf Ausstellung eines Hausausweises haben. Für die Ausstellung eines Hausausweises bedarf es eines Antrages im vorgesehenen Verfahren. Insgesamt verfügen Vertreter von 575 in die öffentliche Liste eingetragenen Organisationen (Stand: 31.12.2014) über einen Hausausweis.

4. Gibt es Lobbyvertreter, die einen Hausausweis haben, deren Organisationen aber nicht auf der Lobbyliste des Bundestages stehen, obwohl sie die Kriterien zur Aufnahme auf die Liste erfüllen würden?

Dazu liegen keine Erkenntnisse vor, denn im gegebenen Verfahren ist eine solche Prüfung nicht vorgesehen.

5. Führt die Bundestagsverwaltung eine Liste, aus der hervorgeht, ob Hausausweisinhaber ihren Hausausweis auf Wunsch von PGF von der Bundestagsverwaltung ausgestellt bekommen haben?

Die Bundestagsverwaltung führt jährlich solche Aufzeichnungen, die dem jeweiligen PGF auf dessen Wunsch zur Verfügung gestellt werden.

Zu diesem Punkt haben wir am 21. Januar zwei Nachfragen gestellt. Die Antworten kamen am 23. Januar.

5a Wenn solche Listen für die PGF vorgehalten werden, dann bitte ich um Auskunft darüber, wie viele Personen auf den Listen nach Fraktionen gegliedert oder insgesamt im Jahr 2015 respektive 2014 /2013 geführt werden oder wurden.

Im Verlauf des Jahres 2013 wurden 960 von den PGF befürwortete Hausausweise der Kategorie Grün "Interessenvertreter" ausgegeben. Für das Jahr 2014 ist die entsprechende Anzahl noch zu ermitteln. Eine überschlägige Durchsicht hat ergeben, dass die Anzahl in etwa der des Vorjahres entsprechen wird und bei ca. 1000 Hausausweisen liegen dürfte. Für das Jahr 2015 kann eine entsprechende Angabe erst nach Ablauf des Jahres, zum Beginn des Jahres 2016 erfolgen.

5b Welche Verbände/Organisationen werden von den auf der Liste geführten Personen vertreten.

Bei der Beantwortung von Presseanfragen ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu berücksichtigen, wonach der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch lediglich einen Mindeststandard umfasst, der nach der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg überschritten wird, sobald öffentliche oder private Interessen nur "berührt" werden. Da die Bezeichnung der Verbände/Organisationen in den bei der Bundestagsverwaltung geführten Listen eine Zuordnung zu den jeweils Hausausweise befürwortenden PGF ermöglichen, sind deren Persönlichkeitsrechte wie auch deren Recht auf freie Mandatsausübung gem. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG betroffen. Eine Beantwortung Ihrer Frage ist daher nicht möglich.

Jetzt weiter mit den Fragen vom 14. Januar und den Antworten vom 21. Januar:

6. Führt die Bundestagsverwaltung eine zusammenhängende Liste über alle ausgegebenen Hausausweise?

Nein.

7. Wie viele Hausausweise sind insgesamt im Umlauf? Wie viele sind abzüglich der Abgeordneten, deren Mitarbeitern, den Angestellten/Mitarbeitern/Beauftragten (Pförtner/Reinigungskräfte) der Bundestagsverwaltung und der Presse sind im Umlauf?

Nach aktueller Erhebung sind ca. 12.700 Hausausweise (ohne Presseausweise) mit unterschiedlichen Laufzeiten (von 1 Jahr bis längstens Ende der 18. Wahlperiode) im Umlauf. Hinzu kommen 1762 Jahresakkreditierungen für Medienvertreter (Stand Ende 2014) sowie befristete Presseausweise (sog. Tagesakkreditierungen), deren Gesamtzahl im vergangenen Jahr 2072 betrug (sie waren natürlich nicht alle gleichzeitig im Umlauf).

Zum zweiten Teil dieser Frage:

Ausweiskategorie BLAU (Mitarbeiter der Fraktionen): 938

Ausweiskategorie GELB (Mitarbeiter der Ressorts, oberster Bundes- und Landesbehörden, Diplomatisches Corps): 1793

Ausweiskategorie ORANGE (andere Personen, z.B. Angehörige von Fremdfirmen, Lieferanten, Techniker, Servicekräfte): 1978

Ausweiskategorie GRÜN (andere Personen, so auch Interessenvertreter): 2334.

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