Versicherungskosten für Hebammen:"Das wird Tote geben"

Versicherungskosten für Hebammen: Schwangere Frauen suchen inzwischen oft vergeblich nach freiberuflichen Hebammen, die sie vor, während und nach der Geburt begleiten

Schwangere Frauen suchen inzwischen oft vergeblich nach freiberuflichen Hebammen, die sie vor, während und nach der Geburt begleiten

(Foto: AFP)

Mit Wut im Bauch fordert eine Hebamme vor dem Petitionsausschuss des Bundestages bessere Arbeitsbedingungen. Die Versicherungskosten sind absurd gestiegen. Die Politiker sind sich einig: Da muss etwas getan werden. Nur was?

Von Thorsten Denkler, Berlin

Sabine Schmuck hat richtig Wut im Bauch: absurd, Skandal, das wird Tote geben. Sie spart nicht mit düsteren Beschreibungen. Die Hebamme sitzt im großen Anhörungssaal des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses des Bundestages. Sie hat eine Petition eingebracht, die 52.000 Menschen unterzeichnet haben und die sie an diesem Montag vor den Mitgliedern des Petitionsausschusses vorstellen kann.

Fünf bis sieben Minuten Zeit hat sie dafür. Fünf bis sieben Minuten, um die, wie sie sagt, absurde Situation der Geburtshilfe in Deutschland darzustellen.

In Kürze sieht die Lage so aus: Ab Juli müssen Hebammen, die Frauen bei der Geburt begleiten, immens hohe Prämien für ihre Berufshaftpflicht bezahlen. Über 5000 Euro im Jahr. Das ist für viele Hebammen nicht zu erwirtschaften, klagt Sabine Schmuck. Noch vor 20 Jahren kostete die Berufshaftpflicht jährlich nur gut 180 Euro.

Schmuck selbst steht kurz davor, ihren Beruf aufzugeben, sagt sie. Seit 25 Jahren arbeitet sie als Hebamme in Ingolstadt, 2002 hat sie dort ein Geburtshaus gegründet.

Schwangere Frauen suchen inzwischen oft vergeblich nach freiberuflichen Hebammen, die sie vor, während und nach der Geburt begleiten. Allein zu Vor- und Nachsorge lassen sich meist noch Hebammen finden. Hebammen, die keine Geburten betreuen, zahlen lediglich 400 Euro Versicherungsprämie.

In einigen Regionen gebe es eine eklatante Unterversorgung mit Hebammen, erklärt Schmuck. Das führt etwa dazu, dass auf Sylt die private Krankenhausgesellschaft wegen der hohen Versicherungskosten die einzige Geburtsstation geschlossen hat. Jetzt kommt ein Kind dort entweder per Kaiserschnitt zur Welt - oder die Mütter müssen zur natürlichen Geburt nach Flensburg. In anderen Regionen müssten Frauen bis zu 80 Kilometer lange Anfahrten zur nächsten Geburtsstation in Kauf nehmen. "Das wird Tote geben", prophezeit Schmuck an dieser Stelle.

Die freie Wahl des Geburtsortes, für Schmuck ist das nur noch ein leeres Versprechen. Freie Wahl hieße, sich als werdende Mutter zwischen Hausgeburt, Geburtshaus und Klinik entscheiden zu können.

Krankenkassen haben zusammen mit einigen Ländern aus der Not heraus das Boarding-Haus-Konzept geschaffen. In solche Kliniken mit angeschlossen Boarding-Häusern können Frauen zwei Wochen vor dem Geburtstermin ziehen, wenn in ihrer Nähe keine Geburtsstation mehr zu finden ist. Meist aber sind das die einzigen Angebote in einem weiten Umkreis. Mit Wahlfreiheit im Sinne vom Sabine Schmuck hat das nichts zu tun.

Es geht um eine vergleichsweise lächerliche Summe

Ingrid Fischbach von der CDU, im Gesundheitsministerium als parlamentarische Staatssekretärin für das heikle Thema zuständig, versucht das Problem etwas zu relativieren. Eine Umfrage in den Landkreisen habe ergeben, dass die Schwangeren im Schnitt nur 20 Kilometer bis zur nächsten Geburtsstation fahren müssten. Was allerdings den Frauen nicht hilft, die dann eben überdurchschnittlich weit entfernt wohnen.

Die CDU-Politikerin lobt dann auch lieber die Zwischenlösung, die der Bundestag vor kurzem beschlossen hat: Die Krankenkassen zahlen pro Geburt einen Zuschuss, mit dem die Hebammen die hohen Versicherungskosten abfedern können. Bis übernächstes Jahr sei damit die Situation erst einmal geklärt. Jetzt müssen sich nur noch die gesetzlichen Krankenkassen mit den Hebammen einigen.

Sabine Schmuck sieht das anders. Viele Hebammen betreuen zwar Schwangere vor und nach, aber nur selten während der Geburt. Manche Hebammen auf dem Land kommen auf kaum mehr als zehn Geburten im Jahr. Die Zuschüsse pro Geburt reichen kaum, um die hohe Prämie zu finanzieren.

Nicht geklärt ist auch die Situation von Berufsanfängerinnen, die während der Geburt oft als Zweithebamme eingesetzt werden. Sie tragen das volle Haftungsrisiko, bekommen aber den Zuschuss nicht.

Schmuck will ohnehin ein ganz anderes System, weg von einer Berufshaftpflicht, die von Versicherungskonzerne angeboten wird. Sie will einen Haftungsfonds, der am besten aus Steuergeld gespeist wird. Grüne und Linke sind mit ihr auf einer Linie. Die große Koalition aber tut sich schwer mit der Idee. Sie will ihr Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushaltes nicht aus dem Blick verlieren. Die SPD kann der Idee zwar etwas abgewinnen - denkt sogar über einen Haftungsfonds für alle Heilberufe nach. Aber dafür müssten womöglich Steuern erhöht werden. Das will die Union unter allen Umständen vermeiden.

Vielleicht hilft diese Zahl den Politikern bei der Entscheidungsfindung: Deutschlandweit werden jedes Jahr etwa 700 000 Kinder geboren. Bei ungefähr 50 kommt es zu Schädigungen, für die die Berufshaftpflichtversicherungen der Hebammen eintreten müssen. Es geht um insgesamt etwas mehr als sechs Millionen Euro. Eine geradezu lächerlich geringe Summe angesichts des Bundeshaushaltes, der diese Woche mit einem Volumen von knapp 300 Milliarden Euro beschlossen wird.

"Die Frage ist", sagt Schmuck, "wer die Verantwortung trägt". Für sie ist die Antwort eindeutig: "Das geht uns alle an."

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