Süddeutsche Zeitung

Versenkung der Rainbow Warrior:"Das war extreme Gewalt"

Französische Geheimagenten haben vor 25 Jahren das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior" versenkt - ein Crewmitglied ist dabei gestorben. Schiffsarzt Andy Biedermann erinnert sich an den Anschlag.

Stefan Lakeband

Am Abend des 10. Juli 1985 sprengten französische Agenten in Neuseeland das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior im Hafen von Auckland. Der portugiesische Fotograf Fernando Pereira wurde dabei getötet. Greenpeace war zuvor immer wieder durch Proteste und Störaktionen gegen die Atomwaffentests der USA und Frankreichs auf Pazifikatollen aufgefallen. Der Schweizer Andy Biedermann, damals 29 Jahre alt, war als Arzt an Bord des Greenpeace-Schiffes, als der Anschlag stattfand. Heute lebt er wieder in der Schweiz.

sueddeutsche.de: Herr Biedermann, wie haben Sie die letzten Stunden vor dem Anschlag erlebt?

Andy Biedermann: Wir waren seit drei Tagen im Hafen und hatten an diesem Abend eine Party, weil einer unserer Freunde Geburtstag hatte. Um Mitternacht bin ich dann aber in meine Koje gegangen und habe noch gelesen, als die erste Mine explodierte. Das ganze Schiff hat gebebt und geriet in Schräglage, die Lichter gingen aus.

sueddeutsche.de: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die erste Explosion hörten?

Biedermann: Ich war nur vollkommen perplex und habe gar nichts gedacht. Ich wusste: Da stimmt irgendwas nicht. Ich bin auf den Flur gerannt und habe einen Blick in den Maschinenraum geworfen, der zu diesem Zeitpunkt schon halb unter Wasser stand. Wie wir später erfahren haben, war das Loch zwei mal zwei Meter groß.

sueddeutsche.de: Haben Sie die anderen Crew-Mitglieder unter Deck noch wahrgenommen?

Biedermann: Ja, ich habe schon realisiert, dass da noch die anderen waren. Unter anderem konnte ich noch einer älteren Dame helfen, von Bord zu gehen. Ich ging gerade rauf auf das Deck, als unser Fotograf Fernando Pereira runterging, um seine Fotoausrüstung zu holen. Kurze Zeit später ging die zweite Bombe hoch.

Es war ein riesiges Durcheinander, aber wir haben es irgendwie an Land geschafft. Vor uns im Hafenbecken sahen wir das halb untergegangene Schiff. Dann hat irgendwer gefragt: "Wo ist eigentlich Fernando?" Erst da haben wir realisiert, dass er nicht mehr hochgekommen ist.

sueddeutsche.de: Wie hat die Crew reagiert?

Biedermann: Wir waren hilflos. Wir konnten ja nicht zu ihm runter und als die Rettungstaucher nach etwa einer Stunde eintrafen, war es natürlich schon zu spät.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie reagiert, als herauskam, dass es ein Anschlag war?

Biedermann: Ich bin Mediziner und habe keine Ahnung von Motoren. Wie die meisten dachte ich, dass irgendwas im Maschinenraum explodiert ist. Aber unsere Techniker haben schnell gesagt, dass das nicht sein könne. Wir haben dann von den Tauchern gehört, wie das Loch aussieht. Da war uns klar: Es handelt sich um extreme Gewalt.

Natürlich haben wir wie wild spekuliert, wer dafür verantwortlich sein könnte und dachten auch an amerikanische oder französische Geheimdienste. Aber eigentlich konnte sich keiner von uns so richtig vorstellen, dass ein Staat wie Frankreich oder die USA so etwas machen würde. Die Wahrheit war ernüchternd.

sueddeutsche.de: Wofür stand die Rainbow Warrior damals?

Biedermann: Die Rainbow Warrior stand für eine Reihe von Aktionen und Protesten auf einer Reise durch den Pazifik. Unser Schwerpunktthema waren Atomversuche. Es hat damit begonnen, dass wir auf den Marshall-Inseln, die zu den USA gehören, eine Gruppe von etwa 200 Personen evakuiert haben. Während der amerikanischen Atombombentests haben sie stark unter dem Fallout gelitten. Diese radioaktiv verstrahlte Asche, die auf das Atoll niedergegangen ist, hat die ganze Insel weiß gemacht; die Kinder haben im "Schnee" gespielt. Das hat natürlich enorme gesundheitliche Probleme verursacht - diese Menschen wollten einfach weg von der Insel.

Nach unserem Stopp in Neuseeland wollten wir weiter nach Französisch-Polynesien fahren, um gegen die französischen Atombombentests zu protestieren. Aber das wollte der französische Geheimdienst natürlich nicht.

sueddeutsche.de: Hat der Anschlag Greenpeace verändert?

Biedermann: Greenpeace hat immer schon rasante Entwicklungen durchgemacht. Als ich 1983 zu Greenpeace gestoßen bin, war ich schon die dritte Generation der Aktivisten. Für viele Leute der ersten Generation war das fast suspekt, dass da ein Typ scheinbar angepasst die Schulbank gedrückt hat und mit einem abgeschlossenen Studium bei ihnen mitmachen will. Ich war nicht mehr der echte Anarchist.

Wir haben auch gemerkt, dass wir mit unseren Aktionen einen Nerv bei den Menschen treffen. Durch den Erfolg sind immer wieder neue Leute mit neuen Einstellungen und Hintergründen in die Gruppe gekommen, wodurch sich Greenpeace wahnsinnig schnell entwickelt hat.

sueddeutsche.de: Was war das für ein Lebensgefühl auf der Rainbow Warrior?

Biedermann: Das war für mich die schönste Zeit des Lebens. Es ist schon sehr speziell, wenn man mit einer kleinen Gruppe, auf einem Schiff, das man selber umgebaut hat und mit dem man sehr verbunden ist, über die Weltmeere fährt. Man ist unterwegs und hat das Gefühl, dass man das Richtige tut.

sueddeutsche.de: Hätten Sie jemals gedacht, dass Ihr Engagement auch lebensgefährlich werden kann?

Biedermann: In gewisser Weise schon. Kurz vor Ende meines Studiums hatte ich mich beim Greenpeace-Büro in Amsterdam gemeldet und gefragt, ob sie Bedarf für einen angehenden Arzt hätten. Sie sagten jedoch: "Wenn du nichts vom Segeln verstehst, können wir dich nicht gebrauchen." Kurz darauf hatten sie mehrere Unfälle, was Greenpeace dazu bewegt hat, jemanden mit medizinischen Kenntnissen mit an Bord zu nehmen. Offensichtlich war ich der Einzige, den sie kannten. Ich hatte keine Erfahrung, aber viel guten Willen. In verschiedenen Aktionen vor dem Anschlag habe ich schon gemerkt, dass es gefährlich werden kann.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich durch den Anschlag in Ihrem persönlichen Engagement für Greenpeace gestärkt gefühlt?

Biedermann: Mein Engagement war nicht für Greenpeace, sondern für die Sache. Ich war lange Zeit sehr verbunden mit der Organisation, wir waren wie eine große Familie. Auch wenn wir uns gewünscht hätten, noch mehr verändern zu können.

sueddeutsche.de: Hat der Anschlag den Blick der Welt auf Greenpeace verändert?

Biedermann: Ja, das war markant, was dort geschehen ist. Es gab natürlich noch andere Aktionen, mit denen Greenpeace auf sich aufmerksam gemacht hat. Aber die Rainbow Warrior hat das größte Medienecho hervorgerufen. Die Geschichte war monatelang weltweit in allen Medien und hat der Organisation Auftrieb gegeben und ihr Selbstverständnis beeinflusst.

sueddeutsche.de: War das Risiko das alles wert?

Biedermann: Wenn ich mir die Wirkung unserer Aktionen anschaue, dann muss ich klar sagen: Ja! Es hat zur Sensibilisierung und Veränderung geführt. Hätten wir gar nichts gemacht, sähe die Situation heute schlechter aus. Als ich bei Greenpeace angefangen habe, war das Wort "Ökologie" in den etablierten Zeitungen nicht existent, das war ein Wort für Spinner. Wir haben die Leute dafür empfänglich gemacht.

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