Die Tür, durch die Jamal Khashoggi am vergangenen Dienstag um 13 Uhr das saudische Generalkonsulat in Istanbul betreten hat, ist aus grauem Metall. Darauf prangt das Wappen des Königreichs: eine goldene Palme und zwei gekreuzte Schwerter. Das Konsulat ist eine bemerkenswert unauffällige zweistöckige ältere Villa in einem ruhigen Istanbuler Wohnviertel; über dem Besuchereingang hängt eine Markise in schmutzigem Weiß. Eine Sicherheitskamera überwacht diesen Eingang, eine zweite die schmale Straße davor. Es soll keine Aufzeichnungen davon geben, wie Khashoggi das Konsulat wieder verlässt, jedenfalls nicht durch diese Tür.
Es gibt auch einen Hinterausgang, in einer wenig befahrenen Parallelstraße. Er ist mit Stacheldraht gesichert, aber breit genug für ein Diplomatenauto, mit dem man den Journalisten und Dissidenten Khashoggi aus dem Konsulat hätte bringen können - tot oder lebendig. Wenn, dann dürfte dies in der Dunkelheit geschehen sein, denn gegenüber liegt ein Kindergarten, wo tagsüber gewiss Betrieb herrscht, und direkt daneben das Konsulat Pakistans. Die türkische Polizei hat rund um das Gebäude Absperrgitter aufgebaut. Am Sonntag warten ein Dutzend Fernsehteams türkischer und arabischer Sender vor den Zäunen, alle Objektive sind auf die geschlossene Besuchertür gerichtet.
Jamal Khashoggi:Türkei vermutet saudisches Mordkommando hinter Verschwinden von Journalisten
Regimekritiker Jamal Khashoggi betrat das saudische Konsulat in Istanbul und wurde nicht mehr gesehen. Nun streuen türkische Behörden einen ungeheuren Verdacht gegen Saudi-Arabien.
Welchen Eingang des Konsulats die 15 Männer aus Saudi-Arabien benutzt haben, die am Dienstag laut türkischer Polizei mit zwei Flugzeugen in Istanbul einreisten und schon wieder weg sind, ist nicht bekannt. In türkischen Regierungskreisen geht man inzwischen aber offenbar davon aus, dass diese geheimnisvollen Besucher etwas mit dem Verschwinden Khashoggis zu tun haben. Der Verdacht: Der 59-Jährige soll im Konsulat von dem extra angereisten Kommando umgebracht und dann beiseite geschafft worden sein. Einen Beleg dafür gibt es bisher nicht.
15 Männer in zwei Flugzeugen wecken den Verdacht der Polizei
Ein Vertreter des Konsulats wies diesen Verdacht umgehend zurück. Zumindest aber wusste das Konsulat, dass der prominente Kritiker des mächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman kommen würde: Er war fünf Tage zuvor schon einmal im Konsulat, um Dokumente zu besorgen. Man gab ihm den Termin für den Dienstag. Genug Zeit für die saudi-arabischen Diplomaten, um Vorkehrungen zu treffen.
Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen unbekannt eingeleitet. Ömer Çelik, ein Sprecher der Regierungspartei AKP, versicherte, Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolge den Fall genau, die Türkei sei ein "sicherer" Staat. Davon ging offenbar auch Khashoggi aus. Er hatte dem Vernehmen nach mit Yasin Aktay, einem Berater Erdoğans, zwar vor seinem Verschwinden über "Operationen" Saudi-Arabiens gegen im Ausland lebende Dissidenten gesprochen, allerdings die Türkei dabei nicht erwähnt.
Im Konsulat in Istanbul wollte Khashoggi eine Bestätigung seiner Scheidung abholen, um seine türkische Verlobte Hatice C. heiraten zu können. Sie hatte am Dienstag mehr als zwölf Stunden vor dem Gebäude auf ihn gewartet. Er sei angespannt und verängstigt gewesen, sagte sie später. Er hatte ihr seine Handys gegeben und ihr gesagt, sie solle Aktay anrufen, wenn er nicht wieder auftauche. Nach den Berichten über eine mögliche Ermordung ihre Freundes twitterte die Türkin: Sie glaube erst, dass Khashoggi tot sei, wenn sie eine Bestätigung der türkischen Behörden erhalte.
Khashoggis harte Kritik am Kronprinzen
Am Sonntagnachmittag äußerte sich auch Erdoğan erstmals zu dem Fall - zurückhaltend. Man werde das Ergebnis der Ermittlungen "der Welt mitteilen", sagte er, und: Er hoffe immer noch, dass nichts passiert sei, "was wir uns nicht wünschen". Aktay forderte von Riad eine "klare Erklärung". Das klang wie der Versuch, eine absehbare schwere Krise zwischen den beiden Ländern irgendwie noch abzuwenden.
Khashoggi war im Herbst 2017 aus Angst vor einer Verhaftung in die USA ins Exil gegangen; als Kolumnist der Washington Post und in vielen Interviews setzte er seine Kritik an Kronprinz Mohammed bin Salman und dessen Kurs fort. In einem 45-minütigen Telefonat im Juli sagte er der Süddeutschen Zeitung: "Politische Reformen existieren nicht, sie sind nicht auf seiner Agenda, dafür hat er keine Toleranz, und er denkt nicht, dass das saudi-arabische Volk sie verdient oder weit genug sei für politische Reformen. Er will uns schlicht und einfach alleine führen." Khashoggi kritisierte auch die Wirtschaftsreformen des Kronprinzen. Diese würden der Realität nicht standhalten. Auch machte er deutlich, dass er um seine Sicherheit fürchte.
"Wenn ich in Saudi-Arabien wäre, würden wir dieses Telefonat nicht führen", sagte er. Der Kronprinz gehe "härter als je zuvor" gegen Kritiker vor. Zum ersten Mal verlasse eine wachsende Zahl von Saudi-Arabern, die "ich die stille saudi-arabische Opposition nenne", das Land, um in Sicherheit leben zu können. Viele Kritiker seien mundtot gemacht worden oder verschwunden. Niemand wage es mehr, offen zu sprechen. Das habe es vor zwei oder drei Jahren noch nicht gegeben. Dabei gebe es "weder eine Opposition in Saudi-Arabien oder sonst jemanden, der seine Machtposition gefährden könnte".