Verschwörungstheorien:Wo dunkle Mächte wirken

Verschwörungstheorien: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Wer steckt wirklich hinter den NSU-Morden? Oder der Flüchtlingskrise? Verschwörungstheoretiker haben Hochkonjunktur - das hat Folgen für das Klima im Land.

Von Tanjev Schultz

Kaum hatte Beate Zschäpe ihre Version der NSU-Geschichte verbreitet, meldeten sich die Verschwörungstheoretiker zu Wort. "Ganz klar, das war ein Deal", verkündete Jürgen Elsässer in seinem Durchblicker-Magazin Compact. Zschäpe wolle sich reinwaschen, bestätige aber "ansonsten die Verschwörungstheorie der Bundesanwaltschaft".

Erheblicher Druck sei auf die Angeklagte ausgeübt worden; "gut möglich, dass ihr noch mal die Instrumente gezeigt wurden". Schließlich seien schon andere Zeugen eines seltsamen Todes gestorben. Vermutlich sei Zschäpe mit ihrem Kind "weichgekocht" worden, ihrem "kleinen Geheimnis". Klar, dass Compact dieses Geheimnis kennt, während die naive und manipulierte Öffentlichkeit Beate Zschäpe weiterhin für kinderlos hält.

All das wäre nicht der Rede wert, würde das ständige Geraune und Gemunkel von Ideologen und Konspirologen nicht derart grassieren, dass es allmählich das Fundament öffentlicher Diskurse angreift. Das liegt nicht nur am Internet und den sozialen Medien, die wilde Geschichten über die Leute regnen lassen wie Kamellen beim Karneval.

Das Misstrauen, wem man überhaupt noch etwas glauben kann, ist weit hinein in die sogenannten bürgerlichen Schichten eingedrungen. Und das nicht völlig zu Unrecht: Haben der Staat und seine Behörden im NSU-Fall nicht unfassbar versagt? Und jetzt soll man den Beamten ihre Beteuerungen abnehmen?

Zeigen die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden denn nicht, dass die Angst vor einem konspirativen Staat keineswegs nur der Paranoia irgendwelcher Spinner entspringt? Und hat nicht, wie nach und nach ans Licht kommt, auch der deutsche BND viel mehr spioniert, als er und die Regierung zugegeben haben?

Die Welt scheint immer hinterhältiger und komplizierter zu werden. Wer hat wen beschossen - und warum? Ob auf der Krim oder in Syrien, im Krieg arbeiten alle Seiten mit Propaganda und Desinformation. Griechenland-Pleite, Flüchtlingskrise, Klimakatastrophe: Wer kennt schon alle Hintergründe und die geheimen Deals der Mächtigen?

Verschwörungstheoretiker greifen solche Gefühle von Ohnmacht und Unsicherheit auf. Sie versprechen Klarheit und Orientierung. Und den Mut zur Wahrheit, der anderen angeblich fehlt.

"Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten", sagt der Historiker Wolfgang Wippermann. Viele Menschen würden die Moderne mit ihren Zumutungen als bedrohlich empfinden. In seinem 2007 publizierten Buch "Agenten des Bösen" hat Wippermann fünf große Krisen- und Verschwörungsepochen seit dem Mittelalter identifiziert.

Die bisher letzte habe mit den Anschlägen auf Amerika vom 11. September 2001 begonnen. In manchen Kreisen - nicht nur bei Rechtsradikalen - ist wider alle Fakten die Idee sehr populär, die USA (respektive "die Juden") hätten den Angriff vom 11. September selbst inszeniert.

In Deutschland haben der NSA- und der NSU-Komplex dem verschwörungstheoretischen Denken in den vergangenen Jahren einen weiteren Schub gegeben. Da Nachrichtendienste nun einmal überwiegend im Geheimen operieren und viele ihrer Skandale unbestreitbar real sind, fällt es den Gauklern und Munklern leicht, das Publikum mit diesen Themen für sich zu gewinnen.

Waren nicht bei einem NSU-Mord in- und ausländische Agenten am Tatort? Und war der Suizid der Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht in Wahrheit eine mörderische Vertuschungsaktion der Geheimdienste?

Wer die Details kennt, kann solche Reden ins Reich der Legenden verweisen, aber wer kennt die schon. Verschwörungstheoretiker geben ohnehin nie Ruhe; mit Fakten braucht man ihnen nicht zu kommen. Sie haben immer noch ein paar andere Details auf Lager. Sie finden immer neue Wege, ihre Geschichten zu stricken.

Dabei ignorieren sie keineswegs sämtliche Grundregeln wissenschaftlichen oder journalistischen Arbeitens. Es ist typisch für sie, dass sie einige dieser Regeln sogar übererfüllen, wie der Erfurter Philosophie-Dozent Karl Hepfer in seinem vor Kurzem erschienenen Buch über Verschwörungstheorien ("Eine philosophische Kritik der Unvernunft") analysiert: Ihre Erklärungen seien fast immer "vollständiger" als die der offiziellen Version.

Wer seriös argumentiert, kann meistens nicht alles erklären, es bleiben Ungereimtheiten und Lücken - und diese füllen Verschwörungstheoretiker mit ihren Konstruktionen auf.

Sehnsucht nach einer absoluten Sicht auf die Welt

Die Bereitschaft, an diese Konstruktionen zu glauben, nehme zu, sagt Hepfer. Zu jeder Meinung, auch zur absurdesten, könne man heutzutage eine Gemeinschaft finden, die einen darin bestärke. Es gebe eine Sehnsucht nach einer absoluten Sicht auf die Welt, die ihn an die Mentalität im Mittelalter erinnere, sagt Hepfer. Was das für das soziale Klima der kommenden Jahre bedeute? Nicht Gutes, befürchtet er: "Je größer die Bereitschaft der Leute wird, hermetischen Denksystemen zuzuneigen, desto garstiger wird es."

Verschwörungstheoretiker sichten Daten voreingenommen, sie verschleiern Quellen, sie arbeiten mit Zirkelschlüssen. Und überall dort, wo andere nur Zufälle und die üblichen Widersprüche des Lebens sehen, wittern sie angeblich zwingende Verbindungen und Kausalitäten.

Erfolg haben sie damit, weil der Zufall dem Menschen generell suspekt ist. In jedem steckt ein kleiner Verschwörungstheoretiker; es fällt dem Menschen schwer, Unschärfen zu ertragen. Bei komplexen Kriminalfällen ist man schnell geneigt, allem, auch dem scheinbar Nebensächlichsten, eine tiefere Bedeutung beizumessen.

Je schwerer und spektakulärer das Verbrechen, desto eher sind viele bereit, eine starke und finstere Macht als Drahtzieher zu vermuten. Die Täter, die der Öffentlichkeit präsentiert werden, gelten nur als Marionetten oder Bauernopfer, während die echten Täter und Auftraggeber ungeschoren davon gekommen seien.

Im NSU-Fall bieten sich als dunkle Mächte im Hintergrund die Geheimdienste geradezu an. Sie sind schließlich darauf spezialisiert, Spuren zu verwischen und falsche Fährten zu legen. Das ist für Verschwörungstheoretiker sehr praktisch. Alle Fakten, die zu ihren Theorien nicht passen, lassen sie an sich abperlen. Denn natürlich wurden diese Fakten von den Agenten des Bösen besonders geschickt manipuliert.

Kompliziert wird es dadurch, dass das Etikett "Verschwörungstheorie" bisweilen auch eingesetzt wird, um sinnvolle und notwendige Fragen und Zweifel zu diskreditieren. Natürlich darf die Öffentlichkeit nicht alles unkritisch hinnehmen, was ihr von staatlichen Stellen präsentiert wird. Und für dubiose Machenschaften der Geheimdienste gibt es viele gute Quellen; nicht alles ist eine Erfindung unseriöser Erzähler.

Dass V-Männer des Verfassungsschutzes vor Polizeirazzien gewarnt worden sind, ist zum Beispiel ziemlich gut belegt. Etliche Aussagen und Indizien deuten darauf hin, dennoch sagte ein Beamter vor einem der NSU-Untersuchungsausschüsse, er verweise das ins Reich der Verschwörungstheorien". Und solche Theorien "gehören in den Bereich der Schundliteratur".

Manchmal ist das, was als Verschwörungstheorie beschimpft wird, leider die ungeschönte Wahrheit. Doch oft ist es wirklich nur Schund - den viele Leute recht unterhaltsam finden. Davon profitiert jetzt der Krimiautor Wolfgang Schorlau, der einen Bestseller über den NSU-Fall geschrieben hat ("Die schützende Hand"). Sein Buch vermischt ungehemmt Fakten und Fiktion, behauptet aber kühn, es gehe um die Suche nach Wahrheit.

Er halte seine Darstellung für "deutlich realitätstüchtiger" als die offiziellen Bekundungen, sagt Schorlau. Dabei verkauft er den Lesern nur mit billigen Mitteln eine Lieblingslegende der Verschwörungsszene: dass Mundlos und Böhnhardt sich nicht selbst erschossen haben. Ihr Tod und der ganze NSU seien in Wirklichkeit Teile eines großen "Staatsverbrechens". Rechte wie Linke lesen so etwas immer gerne.

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