Verschwörungstheorien:"Der islamische Antisemitismus ist ein Import aus Europa"

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Wolfgang Benz (Foto: imago/Christian Ditsch)

Woher kommt der Hass auf Juden? Antisemitismusforscher Wolfgang Benz über die Verbreitung judenfeindlicher Vorurteile in der islamischen Welt.

Interview von Benedikt Herber

Schon vor der Ausstrahlung der Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" in der ARD war die Aufregung groß. Der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz über die Verbreitung antijüdischer Verschwörungstheorien im Nahen und Mittleren Osten.

SZ: Herr Benz, die Dokumentation über Antisemitismus hat hohe Wellen geschlagen. Unter anderem wurden ihr handwerkliche Mängel und Einseitigkeit vorgeworfen. Wie beurteilen Sie den Film?

Wolfgang Benz: Es blieb der ARD ja nichts anderes übrig, als diesen Film auszustrahlen, nachdem von der Boulevardpresse ein gewaltiger Hype darum gemacht wurde - mit der schrecklichen Andeutung, dass der Film nicht gezeigt werden sollte, um Antisemitismus zu vertuschen. Nun war es ganz offensichtlich ein Film über Israelfeindschaft, nicht über europäischen Antisemitismus. Und er hat mehr an Emotionen appelliert, als das allgemeine Geschäft der Aufklärung zu betreiben. Über die Qualität des Films möchte ich nichts sagen.

Finden Sie, dass Antisemitismus - auch im Verhältnis zur Islamfeindlichkeit - in der deutschen Diskussion zu geringe Beachtung geschenkt wird?

Überhaupt nicht. Der Antisemitismus ist ein zentrales Thema in unserer Gesellschaft. Es gibt schon den zweiten Antisemitismusbericht der Expertenkommission, die der Bundestag extra eingerichtet hat. In den Medien sind täglich Nachrichten zum Antisemitismus zu finden. Wir sind bei keinem anderen Thema so hellhörig und so sensibel. Alle Institutionen arbeiten daran, dieses Übel aufzuarbeiten.

Da ist es mir vollkommen unverständlich, wenn behauptet wird, das werde zu wenig thematisiert. Ich bin eher ein wenig besorgt, dass Überdruss in der Gesellschaft entsteht, wenn man die Alarmglocke ständig läutet.

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Von Benedikt Herber

Die Dokumentation beginnt mit einer Rede von Mahmud Abbas, dem Palästinenserpräsidenten vor dem Europäischen Parlament. Vor vollversammeltem Plenum behauptet er, Rabbis in Israel hätten gefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften. Trotzdem applaudieren die Abgeordneten am Ende.

Diese gefährliche Assoziation war ja genau beabsichtigt: Die Juden vergiften Brunnen - das gehört zu den ältesten antijudaistischen Stereotypen. Der ganze rassistisch argumentierende Antisemitismus, den wir derzeit reichlich aus muslimischer Quelle zu hören und zu lesen bekommen, ist allerdings bei uns entstanden. Der islamische Antisemitismus ist ein Import aus Europa. Der Islam kennt von seinen Ursprüngen her keine rassistische Judenfeindschaft. Jetzt dient sie als Waffe, um die Israelfeindschaft zu stützen.

Es gibt allerdings einige, die behaupten, der Antisemitismus sei ein genuin muslimisches Übel. Das ist falsch. Die Lügen über die Juden, von der Brunnenvergiftung bis zur Weltverschwörung, sind im christlichen Europa erfunden worden.

Judenfeindlichkeit im islamischen Raum ist historisch ein recht neues Phänomen. Die ersten judenfeindlichen Ausschreitungen gehen dort auf das Jahr 1840 zurück. In Damaskus verdächtigte man Juden zu Unrecht des Mordes an einem christlichen Geistlichen. Daraufhin kam es zu Pogromen an der jüdischen Bevölkerung im ganzen Nahen Osten. Durch Christen und Muslime.

Man vergisst bei uns oft, dass es eine große morgenländische christliche Kirche gibt, in der, genauso wie in der abendländischen christlichen Kirche, der religiöse Gegensatz zu den Juden hervorgehoben wurde. Die Ritualmordlegende, die viele Pogrome - wie auch in Damaskus - ausgelöst hat, ist ein klassischer antijüdischer, völlig unhaltbarer Vorwurf, der in ganz Europa verbreitet war. Aber eben auch unter den Christen im Nahen Osten.

Wann hat die moderne Judenfeindschaft unter Muslimen begonnen?

Mit dem Beginn des Baus der ersten jüdischen Siedlungen im 19. und 20. Jahrhundert in Palästina. Juden wurden als Eindringlinge empfunden, man bediente sich der Waffen, die in Europa schon ein paar Jahrhunderte vorher geschmiedet wurden, um sie auszugrenzen.

Eine Schlüsselrolle bei der Judenfeindschaft im Nahen und Mittleren Osten spielen die "Protokolle der Weisen von Zion" - eine Fälschung, die eine jüdische Weltverschwörung belegen sollte. Die Hamas rechtfertigt damit sogar in ihrer Charta den Kampf gegen Israel. Warum haben die "Protokolle" sich dort so gut durchsetzen können?

Die "Protokolle der Weisen von Zion" sind keine islamische Spezialität. Sie sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Amerika, in Großbritannien, in Japan verbreitet worden. Der frühere Staatspräsident von Malaysia hat sie als Beleg jüdischer Heimtücke vorgeführt. Da überrascht es nicht, dass auch die Hamas in ihrem Hass auf Israel auf dieses Pamphlet zurückgreift, so wie es alle Judenfeinde dieser Erde getan haben, seit die Fälschung existiert.

Sie folgt dem klassischen Muster der Verschwörungstheorie, der zufolge eine Gruppe die Weltherrschaft anstrebt. Hier sind es die Juden. Die angeblichen Verhandlungen finden an einem unbekannten Ort zu unbekannter Zeit statt, diese sind somit universal einsetzbar. Es ist völlig falsch, dem Islam als Religion eine besondere Beziehung zu den "Protokollen" nachweisen zu wollen. Sie stammen aus dem christlichen Abendland.

In Europa glauben nur noch einige Extremisten an die Echtheit der "Protokolle". Warum hält sich die Verschwörungstheorie im islamischen Raum weiterhin so hartnäckig?

2005 lief in Jordanien im Ramadan eine mehrteilige, vorgebliche Fernsehdokumentation über die "Protokolle". Um zu zeigen, wie böse die Juden sind, wurde dort behauptet, sie hätten Kinder geschlachtet. Das Bild liegt natürlich ganz nahe bei der palästinensischer Mutter, die ihr totes Kind weinend vor die Kameras hält, das bei einem Vergeltungsschlag der israelischen Armee ums Leben kam. Die Assoziationskette ist bedient, der Kreis schließt sich: Juden sind grausam, Juden töten Kinder, Israel ist gleichbedeutend mit den Juden.

Der Taxifahrer in Kairo, der die "Protokolle" kennt, hält das alles für die volle Wahrheit. Aber auch im aufgeklärten Abendland war das ja lange Zeit nicht anders. Und noch heute gibt es Leute wie Wolfgang Gedeon, der für die AfD in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt wurde und sie für wahr hält.

In den "Protokollen" wird behauptet, die Juden würden den Liberalismus über die Welt bringen, um Kulturen zu zerstören und schließlich die Weltherrschaft an sich zu reißen. Will man durch die Verbreitung der Verschwörungstheorie nicht nur das Judentum treffen, sondern auch den westlichen Liberalismus in Misskredit bringen?

Ich würde das nicht überstrapazieren. Die "Protokolle" sollen zeigen: Juden bringen alle Schlechtigkeit über die Welt, um die Macht zu übernehmen: Sie haben den Parlamentarismus erfunden, den Liberalismus, den Materialismus - "böse" Ideologien, damit alle anderen sich selbst zugrunde richten.

Die Stoßrichtung im muslimisch-arabischen Raum ist nicht so subtil. Sie soll nicht den westlichen Liberalismus treffen, das ist überinterpretiert. Hier sieht man in ihnen ganz naiv den Beweis, die Juden wollten die Macht übernehmen und verweist dabei auf Israel.

Kritiker der Politik Israels beschweren sich oft darüber, man wolle sie mit einer "Antisemitismuskeule" mundtot machen.

Die erlebe ich fast täglich in den Diskussionen am Ende meiner Vorträge: "Man darf ja keine Kritik an Israel üben." Ich erkläre dann mit endloser Geduld, was berechtigte Kritik an der israelischen Regierung und deren militärischem Vorgehen ist, und was Antisemitismus.

Man darf die Politik des Staates Israel genauso kritisieren wie die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika, Österreichs, Maltas oder Libyens. Gegenüber Israel schwingt aber oft eine eigene Komponente mit. Niemand kommt auf die Idee zu sagen: "Trump ist so ein blöder Idiot, da sieht man ja wieder mal, dass die Amerikaner keinen Staat verdient haben. Man müsste sie ins Meer treiben." Bei Israel wird aber schnell das Existenzrecht in Frage gestellt. Oft ist "Israelkritik" tatsächlich eine Version des Antisemitismus.

Andererseits ist die Empfindlichkeit in Israel groß. Wenn Siedlungen auf dem Gebiet der Palästinenser gebaut werden, dann wird Kritik daran schnell als Feindschaft gegen Israel oder Antisemitismus fehlinterpretiert. Ich verweise immer auf den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, der gesagt hat: "Wir müssen Israel kritisieren, das ist doch Freundespflicht." Er meint damit wie ich sachliche Kritik.

In rechten Kreisen tut man seit Neuestem sehr wohlwollend gegenüber Israel. Bereitet es Ihnen Sorgen, dass die Nöte des Judentums dafür missbraucht werden, um gegen den Islam zu hetzen?

Wenn europäische Rechte wie Heinz-Christian Strache nach Jerusalem reisen, um sich dort mit rechten Israelis und Siedlern zu verbrüdern, dann macht mich das ziemlich unglücklich. Das Land Israel sollte doch bessere Freunde finden als Rechtspopulisten aus Europa, die nur anreisen, um einen gemeinsamen Feind auszugucken. Das halte ich für eine ganz schlimme Entwicklung, weil ich nicht daran glauben kann, dass man gegen die eine Minderheit nichts hat, aber gegen die andere Ressentiments pflegt.

Dafür habe ich mich zu lange mit den Strukturen und Mechanismen der Ausgrenzung auseinandergesetzt. Ich weiß, dass sich die antimuslimische Fraktion sehr viel von den Antisemiten abgeschaut hat: Strukturell und bei den Methoden der Diffamierung.

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