Verschwörungstheorien:"Der islamische Antisemitismus ist ein Import aus Europa"

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Berlin Gedenktafel fuer NS Kriegsdeserteur Am Freitag den 24 April 2015 wurde in Berlin Charlottenb

Wolfgang Benz

(Foto: imago/Christian Ditsch)

Woher kommt der Hass auf Juden? Antisemitismusforscher Wolfgang Benz über die Verbreitung judenfeindlicher Vorurteile in der islamischen Welt.

Interview von Benedikt Herber

Schon vor der Ausstrahlung der Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa" in der ARD war die Aufregung groß. Der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz über die Verbreitung antijüdischer Verschwörungstheorien im Nahen und Mittleren Osten.

SZ: Herr Benz, die Dokumentation über Antisemitismus hat hohe Wellen geschlagen. Unter anderem wurden ihr handwerkliche Mängel und Einseitigkeit vorgeworfen. Wie beurteilen Sie den Film?

Wolfgang Benz: Es blieb der ARD ja nichts anderes übrig, als diesen Film auszustrahlen, nachdem von der Boulevardpresse ein gewaltiger Hype darum gemacht wurde - mit der schrecklichen Andeutung, dass der Film nicht gezeigt werden sollte, um Antisemitismus zu vertuschen. Nun war es ganz offensichtlich ein Film über Israelfeindschaft, nicht über europäischen Antisemitismus. Und er hat mehr an Emotionen appelliert, als das allgemeine Geschäft der Aufklärung zu betreiben. Über die Qualität des Films möchte ich nichts sagen.

Finden Sie, dass Antisemitismus - auch im Verhältnis zur Islamfeindlichkeit - in der deutschen Diskussion zu geringe Beachtung geschenkt wird?

Überhaupt nicht. Der Antisemitismus ist ein zentrales Thema in unserer Gesellschaft. Es gibt schon den zweiten Antisemitismusbericht der Expertenkommission, die der Bundestag extra eingerichtet hat. In den Medien sind täglich Nachrichten zum Antisemitismus zu finden. Wir sind bei keinem anderen Thema so hellhörig und so sensibel. Alle Institutionen arbeiten daran, dieses Übel aufzuarbeiten.

Da ist es mir vollkommen unverständlich, wenn behauptet wird, das werde zu wenig thematisiert. Ich bin eher ein wenig besorgt, dass Überdruss in der Gesellschaft entsteht, wenn man die Alarmglocke ständig läutet.

Die Dokumentation beginnt mit einer Rede von Mahmud Abbas, dem Palästinenserpräsidenten vor dem Europäischen Parlament. Vor vollversammeltem Plenum behauptet er, Rabbis in Israel hätten gefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften. Trotzdem applaudieren die Abgeordneten am Ende.

Diese gefährliche Assoziation war ja genau beabsichtigt: Die Juden vergiften Brunnen - das gehört zu den ältesten antijudaistischen Stereotypen. Der ganze rassistisch argumentierende Antisemitismus, den wir derzeit reichlich aus muslimischer Quelle zu hören und zu lesen bekommen, ist allerdings bei uns entstanden. Der islamische Antisemitismus ist ein Import aus Europa. Der Islam kennt von seinen Ursprüngen her keine rassistische Judenfeindschaft. Jetzt dient sie als Waffe, um die Israelfeindschaft zu stützen.

Es gibt allerdings einige, die behaupten, der Antisemitismus sei ein genuin muslimisches Übel. Das ist falsch. Die Lügen über die Juden, von der Brunnenvergiftung bis zur Weltverschwörung, sind im christlichen Europa erfunden worden.

Judenfeindlichkeit im islamischen Raum ist historisch ein recht neues Phänomen. Die ersten judenfeindlichen Ausschreitungen gehen dort auf das Jahr 1840 zurück. In Damaskus verdächtigte man Juden zu Unrecht des Mordes an einem christlichen Geistlichen. Daraufhin kam es zu Pogromen an der jüdischen Bevölkerung im ganzen Nahen Osten. Durch Christen und Muslime.

Man vergisst bei uns oft, dass es eine große morgenländische christliche Kirche gibt, in der, genauso wie in der abendländischen christlichen Kirche, der religiöse Gegensatz zu den Juden hervorgehoben wurde. Die Ritualmordlegende, die viele Pogrome - wie auch in Damaskus - ausgelöst hat, ist ein klassischer antijüdischer, völlig unhaltbarer Vorwurf, der in ganz Europa verbreitet war. Aber eben auch unter den Christen im Nahen Osten.

Wann hat die moderne Judenfeindschaft unter Muslimen begonnen?

Mit dem Beginn des Baus der ersten jüdischen Siedlungen im 19. und 20. Jahrhundert in Palästina. Juden wurden als Eindringlinge empfunden, man bediente sich der Waffen, die in Europa schon ein paar Jahrhunderte vorher geschmiedet wurden, um sie auszugrenzen.

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