Süddeutsche Zeitung

Versagen der Behörden bei Neonazi-Mordserie:Suche nach dem bösen Gehirn

Jahrelang haben Behörden die Umtriebe der Neonazis ignoriert, nun tappen sie im Dunkeln. Gibt es vielleicht einen bösen Kopf, der hinter dem braunen Terror steckt? Die Ermittler halten inzwischen alles für möglich - dabei tauchen immer mehr Fragen zu den rechtsextremen Machenschaften auf.

John Goetz und Hans Leyendecker

Hatte die Bande einen Kopf, war da jemand, der dem braunen Killer-Trio Befehle erteilt hat? Also ein Dr. No, eine Mrs. Big, irgendein böses Gehirn. Derzeit könne das "nicht ausgeschlossen werden" sagt ein hochrangiger Beamter in Berlin. "Wir wissen es nicht." Wie viele Neonazis leben im Untergrund? Wie viele werden mit Haftbefehlen gesucht und wann sind sie vom Radarschirm welcher Behörde verschwunden? Als diese doch eigentlich recht einfachen Fragen am Montag im Innenausschuss des Bundestags gestellt wurden, zuckten Präsidenten deutscher Sicherheitsbehörden mit den Schultern. Man werde nachfragen, prüfen. Das sei Sache des Bundes, Sache der Länder. Allgemeine Ratlosigkeit.

Wenn ähnliche Fragen im Zusammenhang mit potentiellen islamistischen Gewalttätern aufkämen, würden vermutlich dicke Dossiers über den Tisch gereicht: Abhöraktionen, Observationen, Reiseberichte. Irgendwas wäre da. Der Rechtsterrorismus hingegen wurde in den amtlichen Sicherheitsberichten über viele Jahre kleingeredet, verleugnet, ignoriert. Da waren entweder "keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar". Oder es drohte allenfalls ein von "Kleinstgruppen oder Einzelpersonen geführter Feierabendterrorismus". Es gab viele Opfer rechter Gewalt, aber die Täter hatten angeblich weder Kontur noch waren sie angeblich organisiert.

Viele Fragen, keine Antworten

Etwa zwei Wochen nach der Entdeckung des braunen Terrorismus durch die Behörden gibt es immer mehr Fragen, immer mehr Verdächtige, immer mehr Misstrauen. Die Darstellung der Verhältnisse in Oberweißbach durch den BKA-Präsidenten Jörg Ziercke im Innenausschuss ist nur eine Metapher für Sicherheit, die sich selbst nicht mehr sicher zu sein scheint.

Wohin das alles führen wird, ist noch unklar. Vielleicht gibt es einen Untersuchungsausschuss, vielleicht kommt auch das NPD-Verbot wieder auf den Tisch. In Berliner Hintergrundgesprächen sagen jetzt Politiker, die eigentlich den Sinn des Verbots bezweifeln, dass sich die Lage möglicherweise ändern werde, wenn herauskäme, dass die Rechtsaußenpartei oder Funktionäre der Partei ein Mordkommando unterstützt hätten. Die NPD erklärt dazu offiziell, die Partei habe mit diesen "Killern" nichts zu tun.

Unter den mehrere Dutzend Verdächtigen, die ins Visier der Ermittler geraten sind, weil sie dem Trio geholfen haben sollen, befinden sich nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des NDR einige NPD-Mitglieder, die bei der Flucht 1998 geholfen haben sollen, und einige NPD-Mitglieder, die später angeblich behilflich gewesen sein sollen. Für die alte Verbindung steht der Name des früheren stellvertretenden NPD-Vorsitzenden in Thüringen, Ralf Wohlleben. Die Ermittler prüfen beispielsweise auch, ob Maik E., der Vorsitzender der "Jungen Nationaldemokraten" in Brandenburg ist, das Trio unterstützt hat. Maik E. hat einen Zwillingsbruder und dieser wiederum wird verdächtigt, beim Selbstbezichtigungs-Video mitgeholfen zu haben. Sie bestreiten die Vorwürfe.

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SZ vom 23.11.2011/infu
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