Süddeutsche Zeitung

Hooligans und Rechtsextreme:Eine unselige Tradition

  • Nachdem ein junger Mann bei Streitigkeiten in Chemnitz erstochen worden ist, mobilisieren Rechtsextreme und Hooligans gegen Ausländer.
  • Zwischen den Gruppen gibt es im Osten seit Langem eine enge Verbindung.
  • Die gewaltbereite Szene hat sich inzwischen bestens organisiert.

Von Antonie Rietzschel, Chemnitz

Rechtsextreme und Hooligans - die Vorfälle in Chemnitz zeigen wieder einmal, wie eng die Verbindung ist. Denn zu der spontanen Demonstration am Sonntagabend hatte unter anderem die Gruppe Kaotic Chemnitz aufgerufen. Zu deren Mitgliedern gehören auch frühere Anhänger der rechtsextremen Hooligan-Gruppe NS Boys, die sich nach einem Stadionverbot beim Chemnitzer FC neu organisierten. Dem Aufruf von Kaotic Chemnitz folgten diverse fremdenfeindliche und rechtsextreme Initiativen und Parteien, aus dem Erzgebirge und aus Heidenau.

Die Vernetzung mit Fremdenfeinden und Rechtsextremen hat in der ostdeutschen Szene lange Tradition. "Unter Hooligans ist neonazistisches und nationalistisches Gedankengut weit verbreitet. Besonders in Sachsen ist die Szene durchweg rechts", sagt der Autor Robert Claus, der zu dem Thema forscht. Bereits kurz nach der Wende gab es Verbindungen zu rechtsextremen Kameradschaften, darunter die mittlerweile verbotene Gruppierung Skinheads Sächsische Schweiz. Eine Entwicklung, die durch die Verharmlosung von Neonazi-Strukturen seitens der sächsischen Regierung begünstigt wurde.

Auch die NPD versuchte in der Vergangenheit immer wieder, Hooligans als Parteimitglieder zu gewinnen und scheiterte. "Der aktionsbetonte Anspruch der Hooligans passt nicht zu den parteipolitischen Strukturen", sagt Claus. Heute finden sich Hooligans, auch aus Chemnitz, bei Pegida-Demonstrationen oder Protesten der fremdenfeindlichen Bewegung "Zukunft Heimat" in Cottbus. Zur Mobilisierung werden soziale Netzwerke genutzt.

Fremdenfeindliche Proteste wie in Chemnitz traten Hooligans zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen los. Die Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) waren ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen. In den Hoch-Zeiten 2014 nahmen bis zu 3000 Menschen an deren Demonstrationen teil, darunter auch Vertreter von Parteien wie Die Rechte. Während der Proteste in Köln trat auch Kategorie C auf. Die Band, einst vor allem in der Hooligan-Szene beliebt, spielt heute auch bei explizit rechtsextremen Veranstaltungen. Bei den Hogesa-Demonstrationen waren immer wieder ausländerfeindliche Parolen zu hören, Teilnehmer zeigten auch den Hitlergruß. Im Oktober 2014 lieferte sich Hogesa eine Straßenschlacht mit der Polizei, bei der Dutzende Beamte verletzt wurden.

In Cottbus versuchte die Gruppe Inferno jahrelang die Fußballfans unter ihre Kontrolle zu bringen

Häufig sind die Verbindungen zwischen Rechtsextremen und Hooligans Ergebnis lang gewachsener Strukturen. So wie in Cottbus, wo die Gruppe Inferno über Jahre versuchte, die Fan-Szene des lokalen Fußballvereins FC Energie Cottbus unter Kontrolle zu bringen. Sie bestimmte, welche Flaggen im Stadion gezeigt wurden und welche nicht. Wer sich wehrte, musste mit Prügel rechnen. 2013 hatte Energie Cottbus auf Druck der Sicherheitsbehörden ein Erscheinungsverbot für Inferno verhängt, das schließlich auch auf die Jugendorganisation Unbequeme Jugend ausgeweitet wurde. Die Gruppensymbole durften seitdem nicht mehr gezeigt werden - die Fans gelangten jedoch weiterhin ins Stadion.

Unter den ungefähr 100 Anhängern von Inferno fanden sich Rechtsextreme, Rocker und Kampfsportler. Die Mitglieder liefen im Frühjahr 2017 bei einer Demonstration von Rechtsextremen mit. Offiziell hatte sich Inferno im Mai 2017 aufgelöst, doch der Verfassungsschutz glaubt, dass die Gruppe immer noch aktiv ist. Nach seinen Erkenntnissen fuhren mehrere Inferno-Mitglieder im vergangenen Sommer zum rechtsextremen Festival "Rock für Deutschland" in Gera. Dafür hatten sie offenbar mit anderen Rechtsextremisten Reisebusse gemietet. Als Cottbus im Frühjahr 2018 den Aufstieg in die Dritte Liga feierte, posierten Fans in Ku-Klux-Klan-Kapuzen auf dem Altmarkt der Stadt.

Per Whatsapp und SMS riefen sie zum "Sturm auf Leipzig", die Polizei wurde überrascht

Provokation und Gewaltbereitschaft, das ist es, was die Hooligan-Szene auszeichnet. In Sachsen lieferten sich Vertreter der Szene in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen mit der Polizei und Gegendemonstranten. So geschehen bei fremdenfeindlichen Protesten in Freital. So geschehen in Leipzig, wo Legida, der rechtsextreme Ableger von Pegida marschierte. Die Organisatoren der Demonstrationen duldeten die gewaltbereiten Störenfriede in ihren Reihen.

Wie gut die Vernetzung der verschiedenen Gruppen mittlerweile funktioniert, beweist der Angriff auf den linken Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016: 250 Rechtsextreme und Neonazis ziehen damals durch die Straßen, zerschlagen Schaufenster, Autos, verwüsten Läden. Der Polizei gelingt es, 215 Randalierer festzunehmen. Sie stammen teilweise aus dem Umfeld von Lok Leipzig, Dynamo Dresden oder Rot-Weiß Erfurt.

Die Aktion kam für die Bewohner überraschend und war gut vorbereitet. Die Ankündigung für einen "Sturm auf Leipzig" lief über Facebook. Die Sicherheitsbehörden waren also alarmiert, erwarteten Ausschreitungen bei der Legida-Demonstration. Ein Irrtum. Die genauen Absprachen für den "Sturm auf Leipzig" erfolgten dann per Whatsapp oder SMS, Kanäle, auf die Polizei und Verfassungsschutz keinen Zugriff haben. Über Nachrichten gaben NPD-Kader, Thüringer Rechtsextreme und Hooligans Treffpunkte durch, Kleidervorschriften und Benimmregeln. "Es ist Krieg", schrieb damals ein Leipziger Hooligan an einen Bekannten.

Am Abend des 11. Januar parken die Rechtsextremen ihre Autos im Leipziger Süden in einer Seitenstraße. 1500 Meter sind es von hier bis zur Wolfgang-Heinze-Straße, hier befinden sich viele Geschäfte, aber auch Kultkneipen wie "Die Zwille". Die Rechtsextremen gehen zu Fuß. Sie tragen schwarze Kleidung. Kein Thor Steinar, keine Schuhe von New Balance, so war es ausgemacht. Nichts, was sie sofort als Rechtsextreme kenntlich macht. Sie wollen aussehen wie der schwarze Block auf dem Weg zur Gegendemo. Vor sich tragen sie ein Banner mit der Aufschrift "Leipzig bleibt helle". Das Motto der Anti-Legida-Proteste soll ihre Deckung sein. Als die Gruppe in die Wolfgang-Heinze-Straße einbiegt, brüllen Einzelne "Hooligan, Hooligan". Sie schlagen los.

Dass es in Chemnitz am Sonntag nicht zu ähnlichen Szenen kommt, ist wohl pures Glück.

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SZ vom 28.08.2018/mane
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