Süddeutsche Zeitung

Wahlrecht:Streit um Verkleinerung des Bundestags

Bundestagsvizepräsident Oppermann (SPD) hat eine Reform zusammen mit der Opposition, aber ohne die Union ins Spiel gebracht. Für die Unionsfraktion ist das eine "Provokation".

Von Robert Roßmann, Berlin

Der Bundestag hat eine Normgröße von 598 Abgeordneten, derzeit sind es aber 709 - und es sind Wahlergebnisse denkbar, bei denen die Zahl auf mehr als 800 steigen würde. Seit Jahren wird dieser Missstand beklagt, doch bisher haben sich die Fraktionen nicht auf eine Verkleinerung verständigen können. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat das gerade wieder auf seine Weise beklagt. In der Sondersitzung zur Vereidigung der neuen Verteidigungsministerin im Paul-Löbe-Haus - der eigentliche Plenarsaal wird gerade renoviert - sagte er: "Als Paul Löbe Alterspräsident des ersten Bundestages war, hatte unser Parlament noch 410 Abgeordnete." Das sei "mit Blick auf die immer dringlichere Wahlrechtsreform an diesem Ort eine Erwähnung wert". Daraufhin klatschten Abgeordnete aller Fraktionen. Der breite Applaus dürfte aber vor allem Ausdruck schlechten Gewissens gewesen sein.

Denn eine Reform, die zu einer deutlichen Verkleinerung des Bundestags führt, würde zu Lasten aller Fraktionen gehen. Sie müssten sich selbst beschneiden - doch das tun sie bisher nicht. "Das ist ein klassisches Dilemma", hat Schäuble bereits vor einem Jahr eingestanden. Aber man könne "deshalb ja nicht den Revolver nehmen und sich erschießen", sagte Schäuble damals. Er habe jedenfalls "nicht die Absicht zu kapitulieren". Der Bundestag müsse "erkennen, dass seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit Schaden nimmt, wenn er nichts ändert".

Doch bisher hat der Bundestag noch nichts geändert. Im April musste eine Wahlrechts-Arbeitsgruppe aus Vertretern aller Fraktionen ihr Scheitern eingestehen. Seitdem werfen sich die Fraktionen gegenseitig die Schuld daran vor. Die Union wehre sich gegen eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise, klagen Opposition und SPD. Im Gegenzug moniert die Union, dass Opposition und Sozialdemokraten eine Begrenzung der Ausgleichsmandate ablehnen.

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) hat deshalb am Freitag eine Lösung unter Ausschluss der Union ins Spiel gebracht. Seine Parteibasis habe die SPD-Fraktion aufgerufen, einen neuen Anlauf zu unternehmen und dabei auch mit Grünen, FDP und Linken zu verhandeln, wenn die Union sich weiter querstelle, sagte Oppermann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er hoffe, dass seine Fraktion "das tun wird". Aus Sicht der Union ist das eine Drohung mit dem Koalitionsbruch. Schließlich hat man im Koalitionsvertrag vereinbart, nur "gemeinsam oder, im Ausnahmefall, im gegenseitigen Einvernehmen" zu agieren. Und so verurteilten Vertreter der Unionsfraktion den Oppermann-Vorstoß umgehend als "Provokation".

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Quelle:
SZ vom 27.07.2019
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