Süddeutsche Zeitung

Trotz Appell von Schäuble:Koalition weiter uneins beim Wahlrecht

  • Bundestagspräsident Schäuble wollte eine Verständigung bis Freitag. Daraus wird wohl nichts.
  • Obwohl seit sechs Jahren debattiert wird, haben sich Union und SPD immer noch nicht auf eine Reform des Wahlrechts verständigt.
  • Einig sind sich die Koalitionsfraktionen nur darin, dass sie die Zahl der Wahlkreise nicht verringern wollen.

Von Robert Roßmann, Berlin

In einer Bundestagsdebatte über das Wahlrecht ist am Mittwoch deutlich geworden, dass sich Union und SPD immer noch nicht auf einen gemeinsamen Weg zur Verkleinerung des Parlaments verständigt haben. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte einen Kompromiss bis Ende Januar verlangt. Diese Frist dürfte nun ohne Ergebnis auslaufen. Die Oppositionsfraktionen warfen der Koalition vor, eine Lösung zu verschleppen. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, wies darauf hin, dass man über dieses Thema seit mehr als sechs Jahren spreche. Union und SPD würden auf Zeit "und ein bisschen auf Chaos" spielen, das sei "verantwortungslos".

Die Oppositionsfraktionen sind der Auffassung, dass Union und SPD kein gesteigertes Interesse daran haben, das Parlament wieder zu verkleinern, weil sie durch einen größeren Bundestag ihre schlechten Wahlergebnisse wenigstens zum Teil ausgleichen können. Das Parlament hat eine Normgröße von 598 Abgeordneten, derzeit sind es aber 709. Nach der nächsten Wahl könnten es sogar mehr als 800 sein.

Auch die SPD will die Zahl der Wahlkreise nicht verkleinern - und ignoriert einen Vorschlag Schäubles

In der Bundestagsdebatte machten Redner von Union und SPD klar, dass sie die Zahl der Wahlkreise nicht reduzieren wollen - dies haben Grüne, Linke, FDP und Bundestagspräsident Schäuble vorgeschlagen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, sagte, die Sozialdemokraten seien in dieser Legislaturperiode für eine Veränderung der Anzahl der Wahlkreise "nicht zugänglich". Es müsse aber "einen Deckel" für die Größe des Bundestags geben. Schneider nannte dabei jedoch keine Zahl. Er sagte lediglich, diese solle unter der aktuellen Abgeordnetenzahl liegen.

Aus den Koalitionsfraktionen verlautete, dass man sich eine Begrenzung auf 650 oder 680 Sitze vorstellen könne. Aber auch über ein derartiges Höchstgrenzenmodell gibt es bisher weder innerhalb der Unionsfraktion, noch innerhalb der SPD-Fraktion eine Verständigung - geschweige denn gibt es einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen.

Die Rede der SPD-Abgeordneten Yasmin Fahimi offenbarte, dass es sogar Koalitionsabgeordnete gibt, die die Klagen über den zu großen Bundestag für völlig übertrieben halten. Fahimi sagte, sie sei "irritiert" über die "sehr verengte Debatte" zur Größe des Parlaments. Die Kosten des Bundestags je Einwohner seien doch "durchaus überschaubar". Fahimi warnte deshalb vor einem "hastigen Beschluss". Ähnlich äußerte sich der SPD-Abgeordnete Mahmut Özdemir. Die Aussage, der Bundestag sei zu groß, sei "nicht zwingend", sagte Özdemir. Er verwies darauf, dass der Bundestag derzeit etwa eine Milliarde Euro jährlich koste, dieses seien "13 Euro pro Bundeseinwohner jährlich, das kostet unsere Demokratie".

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, sagte zu den Warnungen vor übereilten Beschlüssen, es sei den Bürgern doch nicht mehr zu erklären, warum es die Koalition noch nicht geschafft habe, einen gemeinsamen Vorschlag zu präsentieren. Obwohl man seit Jahren über das Problem rede, würden Union und SPD jetzt über Zeitdruck klagen und darauf verweisen, wie schwierig und kompliziert eine Lösung sei. Derart nichts zu tun sei Arbeitsverweigerung.

Für Verärgerung sorgte am Mittwoch auch, dass die SPD die Verkleinerung des Bundestags mit der Einführung einer Frauenquote verbinden will. Der SPD-Abgeordnete Özdemir sagte, es sollten alle Parteien dazu verpflichtet werden, "ihre Landeslisten streng geschlechtergerecht zu besetzen, also im Wechsel Frau Mann". Dies sei für ihn sogar der wichtigste Punkt bei einer Wahlrechtsänderung. In der Grünen-Fraktion hieß es, man wünsche sich natürlich auch 50 Prozent Frauen auf den Listen. Die Grünen bräuchten hier keine Nachhilfe von den Sozialdemokraten. Es sei aber schon schwer genug, eine Verkleinerung des Bundestags zu erreichen. Wenn man dieses Ansinnen mit der Forderung nach einer Frauenquote verknüpfe, werde es wegen des Widerstands in anderen Fraktionen überhaupt keine Wahlrechtsänderung geben. Dies sei der SPD auch klar, sie gefährde deshalb wissentlich eine Verkleinerung des Bundestags

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SZ vom 30.01.2020/mane
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