Ohne seinen VW Touran würde Eckhardt Rehberg vermutlich nicht im Bundestag sitzen. Der Wahlkreis des CDU-Abgeordneten ist der größte in ganz Deutschland. Mehr als 6200 Quadratkilometer misst Rehbergs Revier in Mecklenburg - das Saarland ist nicht einmal halb so groß. "Pro Jahr komme ich allein im Wahlkreis auf fast 400 Termine", sagt Rehberg. Wer wie er direkt gewählt werden will, muss überall präsent sein - ohne ein Auto würde das nicht gehen. Für seinen Wahlkreis sitze er jedes Jahr "40 000 bis 50 000 Kilometer im Wagen", sagt Rehberg. Die Fahrten zum Bundestag seien da noch gar nicht eingerechnet. Seine Familie habe sich zwar daran gewöhnt, dass er ständig "sozusagen auf Montage" sei - leiden würde sie darunter aber trotzdem. Dabei habe er bisher sogar Glück gehabt: "Ich bin noch nie nachts wo liegen geblieben - und ich hatte auch noch keinen Wildunfall, obwohl es hier viele davon gibt."
Wenn Rehberg Pech hat, ist er bald noch länger unterwegs. Denn Grüne, Liberale, Linke, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und manche in der SPD wollen die Zahl der Direktmandate verringern, um den Bundestag zu verkleinern. Rehbergs Riesenwahlkreis würde noch größer werden. Statt seines Autos bräuchte er dann eher ein Wohnmobil.
Im Bundestag sitzen derzeit 709 Abgeordnete, dabei liegt die Normgröße des Parlaments bei 598. Nach der nächsten Wahl könnten es sogar mehr als 800 sein. Seit einem halben Jahrzehnt gibt es im Bundestag Bemühungen, den Aufwuchs durch eine Änderung des Wahlrechts zu stoppen. Aber was würden die unterschiedlichen Vorschläge in der Praxis bedeuten? Um das zu ergründen, fragt man am besten Eckhardt Rehberg und die Sozialdemokratin Eva Högl. Denn deren Wahlkreise dürften die unterschiedlichsten in ganz Deutschland sein.
Eva Högl könnte alle Termine mit dem Fahrrad erledigen
Högl vertritt Berlin-Mitte im Bundestag. Sie hat den kürzesten Weg aller Abgeordneten ins Parlament, denn es liegt in ihrem Wahlkreis. Nicht einmal 40 Quadratkilometer ist Berlin-Mitte groß und damit einer der kleinsten Wahlkreise im Land. Man könnte alle Termine mit dem Fahrrad erledigen. Und auf Wildwechsel muss man auch nicht achten. "Ich bewundere die Kollegen, die von weit anreisen oder die große Fläche zu beackern haben", sagt Högl. Berlin-Mitte passt 160-mal in Rehbergs Wahlkreis. Der hat auch einen deutlich längeren Namen: Mecklenburgische Seenplatte II - Landkreis Rostock III.
Der Bundestag ist wegen der Überhangmandate und der deshalb nötigen Ausgleichsmandate für die anderen Parteien so stark gewachsen. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Wenn man die Zahl der Direktmandate reduziert, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Überhang- und Ausgleichsmandate anfallen. Der Bundestag würde wieder kleiner.
Rehberg lehnt diese Lösung aber vehement ab. "Schon jetzt kann ich bestimmte Termine wegen der Entfernungen gar nicht wahrnehmen", sagt er, "wenn der Wahlkreis noch größer würde, könnte ich manche Termine nur noch annehmen, wenn ich irgendwo übernachte." Mit größeren Wahlkreisen ginge Bürgernähe verloren, Bürgernähe sei für ihn "aber auch Ausdruck von demokratischer Repräsentanz" vor Ort. Er setze "sehr auf den direkten Kontakt mit den Bürgern, das kann mir keine Homepage und kein Kontakt über Facebook ersetzen". Zwar sei auch er der Meinung, dass der Bundestag nicht noch größer werden sollte, sagt Rehberg. Aber man dürfe "das Kostenargument nicht überstrapazieren - wir sind ein 83-Millionen-Volk, da ist das Parlament halt größer". Bisher sehe er wegen der Größe des Bundestags jedenfalls noch "keine Gefahr für die Arbeitsfähigkeit" des Parlaments.
"700 Abgeordnete geht noch, aber 800 wären zu viel"

Auch Högl sagt, sie wolle "keinen Mini-Bundestag, bei dem wir keinen Kontakt zu den Bürgern mehr haben könnten". Aber das Parlament sollte auch nicht mehr weiter wachsen: "700 Abgeordnete geht noch, aber 800 wären zu viel." Das war es dann aber schon mit den Gemeinsamkeiten mit Rehberg. Denn Högl wünscht sich eine drastische Reduzierung der Zahl der Wahlkreise. Die Sozialdemokratin unterstützt einen Vorschlag von Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD). Der will die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 120 verkleinern, dafür soll in jedem Kreis je eine Frau und ein Mann gewählt werden.
"Ich bin für diesen Vorschlag, obwohl er mich stark betreffen würde", sagt Högl. Denn auch Berlin-Mitte "würde dann in einem neuen Großwahlkreis aufgehen". Aber es gebe halt "immer zwei Möglichkeiten, an ein Thema heranzugehen: aus der eigenen Betroffenheit oder mit Blick für das Übergeordnete". Oppermanns Vorschlag gewährleiste, dass die Größe des Bundestags nicht weiter ansteige - und dass man der Parität zwischen Männern und Frauen im Parlament näher komme.
Aber wo bleibt bei 120 statt 299 Wahlkreisen die Bürgernähe? Man müsste dann "die Zahl der Mitarbeiter der Abgeordneten erhöhen, um die Bürgernähe garantieren zu können", sagt Högl. Außerdem "müsste man den berechtigten Anspruch der Bürgerinnen und Bürger zum Teil durch digitale Formen der Kommunikation erfüllen". Vor allem aber dürfe man nicht vergessen, dass es dann ja zwei Abgeordnete je Wahlkreis geben würde.
Rehberg kann dem nichts abgewinnen. 120 statt 299 Wahlkreise, das würde bedeuten, dass seiner mehr als doppelt so groß würde. Außerdem würden dann in jedem Wahlkreis fast 700 000 Bürger leben. Wie will man die noch erreichen? Rehberg plädiert deshalb dafür, bis zu 15 Überhangmandate, die bei einer Bundestagswahl anfallen, nicht durch Sitze für andere Parteien auszugleichen. Das Bundesverfassungsgericht hat das in einem Urteil für zulässig erklärt. Diese Lösung würde den Aufwuchs des Bundestages bremsen, aber die Union bevorzugen, die zuletzt fast alle Überhangmandate gewonnen hat. Högl und ihre Sozialdemokraten lehnen diesen Weg deshalb ab.

Und was ist mit der dritten Idee zur Verkleinerung des Bundestags? Man könnte das Problem mit den Überhangmandaten ja auch dadurch lösen, dass nicht jeder Wahlkreissieger einen Sitz im Bundestag bekommt. Wenn also etwa die CDU in einem Bundesland drei Wahlkreise mehr gewinnt als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen, würden die drei CDU-Wahlkreissieger mit den schlechtesten Resultaten nicht ins Parlament einziehen. Es gäbe dann weder Überhang- noch Ausgleichsmandate.
Das Streichmodell lehnen Rehberg und Högl ab
Rehberg müsste sich da keine Sorgen machen. "Bei der Bundestagswahl 2017 hatte ich nach Angela Merkel das beste Erststimmenergebnis in ganz Ostdeutschland", sagt er. Dem Vorschlag kann er trotzdem nichts abgewinnen. Seiner Ansicht nach missachtet er den Wert direkt gewählter Parlamentarier. Es gebe zwar "keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse", sagt Rehberg. Aber wer direkt gewählt sei, habe "eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Wahlkreis" und sei nicht so abhängig von der Partei.
Auch Högl findet das Streichmodell nicht gut. Bei der letzten Bundestagswahl hat sie mit 23,5 Prozent das schlechteste Erststimmenergebnis aller 299 direkt gewählten Abgeordneten erzielt, anders als für Rehberg wäre das Streich-Modell für sie also eine Gefahr. "Ich bin skeptisch, ob das der richtige Weg ist - dann wird jemand gewählt und kommt doch nicht zum Zug, das ist schon harter und nur schwer zu vermittelnder Eingriff", sagt Högl. Außerdem würde dann die Leistung im Wahlkreis nicht richtig berücksichtigt. Die SPD kam in Berlin-Mitte bei den Zweitstimmen nur auf Platz drei, Högl holte trotzdem die meisten Erststimmen und damit das Direktmandat. "Ich hätte meinen Wahlkreis nicht gewonnen, wenn ich hier nicht so ackern würde", glaubt die SPD-Abgeordnete.
Aber wie steht es jetzt um die Pläne zur Verkleinerung des Bundestags? Im April hat eine Arbeitsgruppe aus Vertretern aller Fraktionen ihr Scheitern eingestehen müssen. Das lag vor allem daran, dass von einem zu großen Bundestag alle Fraktionen profitieren - und die Bereitschaft, sich zu verständigen, deshalb nicht sonderlich groß war. Es lag aber auch daran, dass es so unterschiedliche Wahlkreise wie die von Högl und Rehberg und deshalb keine einfachen Lösungen gibt.