Verkehrsrecht:Crashtest für die Dashcam

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Werden Videokameras im Auto als Beweismittel erlaubt?

Von Wolfgang Janisch

Für die Verkehrsrichter wäre es vielleicht wirklich ein Segen, wenn ihnen Autofahrer vor Gericht künftig wortlos einen USB-Stick mit dem Unfallvideo überreichten, statt sich mit hochrotem Kopf über Ampelphasen und das Überfahren durchgezogener Linien zu streiten. Denn in diesen Prozessen hatten die alternativen Fakten schon immer Platz, lange bevor der Begriff populär wurde: Wo Kläger und Beklagter über Schuld und Haftung nach Verkehrsunfällen prozessieren, gibt es meist mehr als eine Wahrheit.

Der Bundesgerichtshof wird also auch an die Nöte der Justiz denken, wenn er an diesem Dienstag über die Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel vor Gericht entscheidet. Abzuwägen sei zwischen Datenschutz und "wirksamer Rechtspflege", hatte der BGH-Senatsvorsitzende Gregor Galke in der Verhandlung vor fünf Wochen gesagt. Tatsächlich taugt der Fall ganz gut als Schulbeispiel. Auf der linken Spur fährt ein VW Tiguan, auf der rechten ein Fiat Bravo, in einer Linkskurve krachen sie zusammen - und jeder sagt: Der andere hat sich in meine Spur reingedrängt. Der andere ist schuld. Da könnte ein Video Klarheit bringen.

Mehrere Gerichte haben bereits eine Verwertung von Dashcam-Videos erlaubt, etwa das Oberlandesgericht Stuttgart. Der Nutzen für die Wahrheitsfindung sei groß, der Eingriff in Persönlichkeitsrechte dagegen relativ gering - im öffentlichen Raum müsse jeder damit rechnen, gefilmt zu werden. Dieses Argument lässt sich freilich auch umkehren: Erst wenn der BGH als oberste Instanz die Verwertbarkeit der Dashcam-Bilder zulässt, muss wirklich jeder damit rechnen, gefilmt zu werden. Mehr als 46 Millionen Autos sind in Deutschland zugelassen. Und die Hersteller stehen in den Startlöchern, die Neuwagen mit Kameras auszurüsten, vermutet Daniela Mielchen, Anwältin für Verkehrsrecht. Dabei ist die Rechtslage im Grunde widersprüchlich. Denn eine Dashcam im Dauerbetrieb hinter der Windschutzscheibe dürfte gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen, wie BGH-Richter Galke in der Verhandlung andeutete. Immer wieder haben Gerichte deshalb Bußgelder verhängt; vergangenes Jahr traf es "Knöllchen-Horst", der mit Kameratechnik gegen Parksünder vorging: Das Amtsgericht Hannover brummte ihm 250 Euro Bußgeld auf. Doch obwohl die Filmerei eigentlich rechtswidrig ist, halten die Gerichte solche Beweise im Haftungsprozess dennoch für verwertbar. Es ist dies eine wirklich merkwürdige Verrenkung des deutschen Rechts: Wenn der Nutzen für die "Rechtspflege" größer ist als der Schaden für die Betroffenen, dann verwendet die Justiz mitunter auch rechtswidrig erlangte Beweise - die Früchte vom verbotenen Baum sind einfach zu verlockend. Sollte der BGH darauf einschwenken, dann dürfte - Datenschutz hin oder her - das Dashcam-Wesen kaum noch aufzuhalten sein.

Jedenfalls, solange der Gesetzgeber nichts dagegen unternimmt. Denn ob man die Filmchen wirklich braucht, hält Anwältin Mielchen für fraglich; solche Beweise dürften nur in einem geringen Prozentsatz der Fälle eine Rolle spielen. Außerdem zeichne die moderne Autoelektronik schon jetzt beispielsweise Geschwindigkeit oder Bremsmanöver auf - ganz ohne Kamera.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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