Verkehrspolitik:Überhöhte Geschwindigkeit

Auto- und Radfahrer geraten häufig aneinander. Dass sie sich hinterher die Hand reichen, kommt seltener vor.

Radfahrer soll die neue Straßenverkehrsordnung stärker schützen. Doch die liegt jetzt auf Eis.

(Foto: Alexander Heinl/ dpa)

Wie kam es zum Fehler in der Straßenverkehrs-Novelle? Das Justizressort erhebt schwere Vorwürfe gegen Minister Scheuer.

Von Markus Balser, Berlin

Die Posse um die wegen eines Rechtsfehlers teils ungültige Novelle der Straßenverkehrsordnung bekommt eine neue Wendung. Das für die Prüfung von Gesetzen zuständige Bundesjustizministerium (BMJV) sieht die Verantwortung für die Panne nach Informationen der Süddeutschen Zeitung allein beim Verkehrsministerium (BMVI) von Andreas Scheuer (CSU). Scheuers Haus habe den Fachleuten des Justizministeriums kaum Zeit zur Prüfung gelassen, kritisiert das Ressort von Ministerin Christine Lambrecht (SPD). Der "Fehler in der Eingangsformel wurde deshalb seitens des BMJV nicht festgestellt und bemängelt", sagte eine Sprecherin. "Die Verantwortung für dieses Verfahren trägt allein das BMVI."

Im Justizministerium ist der Ärger über Scheuers Haus groß. Das Verkehrsministerium habe die Novelle der Straßenverkehrsordnung "zur Rechts- und Sprachprüfung" mit sehr kurzer Frist übersandt, heißt es aus dem Justizressort. In der Regel betrage eine solche Frist vier Wochen. "Im vorliegenden Fall war die Frist für die Rechtsprüfung ... stark verkürzt", erklärte die Sprecherin. Dabei habe die Bundesratsbefassung erhebliche Änderungen des ursprünglich von der Bundesregierung vorgelegten Verordnungstextes erbracht, heißt es weiter. "Die Rechtsprüfung konnte deshalb nur sehr kursorisch und nicht in der gewohnten Tiefe erfolgen." Das habe das Justiz- dem Verkehrsministerium auch mitgeteilt. Scheuers Ministerium äußerte sich nicht zu der Prüffrist.

Fast alle Bundesländer haben Raserregel ausgesetzt

Wegen des Formfehlers liegen bundesweit Tausende Fahrverbote auf Eis. Erst Ende April war eine Novelle der Straßenverkehrsordnung in Kraft getreten, nach der Autofahrer schneller als bisher den Führerschein verlieren. Ein einmonatiges Fahrverbot wird bereits verhängt, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt oder außerorts 26 Kilometer pro Stunde. Bisher galt das erst ab 31 Kilometer zu viel innerorts und 41 Kilometer außerorts. Doch weil das zugrunde liegende Gesetz in der Novelle nicht genannt wird, zogen mittlerweile fast alle Bundesländer die Notbremse und setzten die Raserregeln aus.

Die Novelle ist wegen des Formfehlers juristisch angreifbar. Das führt zu chaotischen Zuständen in den Behörden. Unklar ist etwa, ob nun für Raser die alten Regeln gelten - oder gar keine. In den Bundesländern wächst deshalb die Kritik an Scheuer: "Das ist ein unglaublicher Fehler des Bundesverkehrsministers, der die Behörden in extreme Schwierigkeiten bringt", klagt Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Die Raserregeln wurden wegen der juristischen Probleme in 14 von 16 Bundesländern ausgesetzt.

Scheuer war von Anfang an gegen härtere Regeln für Raser. Weil er andere Verschärfungen zum Schutz von Radfahrern durchsetzen wollte, akzeptierte er aber diese Forderung der Bundesländer. Der Minister versucht nun den eigenen Fehler dazu zu nutzen, die Raserregeln wieder abzuschwächen. Schon in den nächsten Tagen will er mit den Länder-Verkehrsministern Gespräche führen, um bei einer Veränderung des Gesetzes auch die harten Strafen abzuschwächen.

Saarländische Verkehrsministerin lästert über "Straßenverkehrsunordnung"

Doch nach Angaben aus Kreisen der Verkehrsminister zeichnet sich bislang keine Mehrheit dafür ab. In mehreren Ländern wachse dagegen der Unmut über diesen Versuch Scheuers. Es sei "dreist", dass Scheuer den eigenen Fehler nun nutzen wolle, um seinen Willen durchzusetzen, sagt etwa Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann. Die Todeszahlen und die Unfallraten im Verkehr seien in Deutschland viel zu hoch. Es müsse sich etwas ändern. Nach dem "Maut-Murks" sorge Scheuer nun auch noch für bundesweite "Straßenverkehrsunordnung", lästerte die saarländische Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD), die derzeit die Länderverkehrsministerkonferenz leitet.

Auch in der CSU wächst offenbar der Unmut über Scheuers Panne. Parteichef Markus Söder und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sollen sich vor Parteifreunden verärgert geäußert haben. Die bayerische Polizei jedenfalls weiß, wer am Zug ist. Welche Regeln denn nun gelten, wollte der Fahrradclub ADFC per Twitter von der Polizei in München wissen. "Diese Frage geben wir gerne an das Bundesverkehrsministerium weiter", schrieb die Polizei. "Dort erhalten Sie von der zuständigen Stelle eine Antwort."

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