Verkehr:Motor aus

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Warum viele Nigerianer neuerdings zur Arbeit laufen müssen.

Von Bernd Dörries

Als im vergangenen Jahr eine Liste der Städte veröffentlicht wurde, in denen die Menschen die meiste Zeit im Stau verbringen, schwankten manche Bewohner von Nigerias Metropole Lagos zwischen Verwunderung und Enttäuschung, weil ihre Stadt nicht in der Liste auftauchte. Lokale Medien wiesen darauf hin, dass die Bewohner von Lagos im Schnitt 1560 Stunden jährlich im Stau verbringen, weit mehr als ihre Leidensgenossen in Moskau, die mit nur 210 Stunden an der Spitze der Rangliste stehen.

Seit Anfang Februar hat sich die Lage für viele in Lagos nun noch einmal verschlechtert, sie stehen zwar nicht mehr im Stau, müssen dafür aber viele Stunden zur Arbeit laufen, weil die Regierung die Nutzung von Motorradtaxis und motorisierten Dreirädern verboten hat. Die Okada und Keke genannten Fortbewegungsmittel waren die einzige Möglichkeit für Hunderttausende Pendler, wenigstens einigermaßen pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Aus Sicht der Regierung waren die Motorradtaxis aber eine Gefahr für Leib und Leben. Zu Zehntausenden seien die Fahrzeuge täglich ausgeschwärmt und für den Tod von 600 Menschen in den vergangenen vier Jahren verantwortlich. Damit soll nun Schluss sein. Seitdem wird in lokalen Medien über den Unmut der Pendler berichtet, Tausende Fahrer verloren ihren Job und demonstrierten.

Es ist eine einschneidende Entscheidung, Motorradtaxis gehören in fast allen afrikanischen Ländern zum Alltag. Überall dort, wo Millionen Menschen in die Metropolen ziehen, die mit dem Bevölkerungswachstum nicht mithalten können. In Uganda, einem Land mit 42 Millionen Einwohnern und so gut wie keinem öffentlichen Nahverkehr, soll es 300 000 Motorradtaxis geben. Sie sind oft das einzige Fortbewegungsmittel - und kosten nur einige Cent. Für viele junge Menschen ist ein eigenes Motorradtaxi zudem ein erreichbarer Traum, für ein paar Hundert Euro aus chinesischer Produktion.

Die Behörden in Lagos bedauern zwar den Verlust vieler Arbeitsplätze, die Sicherheit der Passagiere habe aber Vorrang. "Wir haben unsere Fahrer sehr intensiv ausgebildet und mit einer Technologie ausgerüstet, mit der sie schlechte Straßenabschnitte vermeiden können. Unsere Unfallrate liegt unter 0,1 Prozent", sagt hingegen Fahim Saleh, der Gründer von Gokada, einer kleinen Firma, deren 2000 Motorräder per App bestellt werden konnten. Die Kunden bekamen vom Fahrer einen Helm ausgehändigt, was bisher in Afrika eher eine Seltenheit war.

Etwa zehn Millionen Euro hatten internationale Investoren in die Motorradtaxi-Firmen in Nigeria investiert, die nun bis zu 10 000 Fahrer entlassen mussten. Einige Unternehmen planen, in Fähren zu investieren, die in der Küstenstadt zwischen den Geschäftsvierteln auf den vorgelagerten Inseln und dem Festland operieren. Auch der US-Gigant Uber betreibt dort schon eigene Boote. Viele Bewohner der Stadt bezweifeln, dass sich so die Verkehrsprobleme lösen lassen, eine Stadt ohne Chaos ist für sie schlicht nicht vorstellbar. In Lagos im Stau zu stehen und nigerianische Musik zu hören, sei wie "an der Ägäis Homer zu lesen", sagte der nigerianisch-amerikanische Schriftsteller Teju Cole.

© SZ vom 26.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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