Verkehr:Lasst es rollen

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Auf der A1 in Schleswig-Holstein soll es in Zukunft weniger Staus geben. Helfen soll ein einfacher Trick.

Von Thomas Hahn

Die Abschaffung des Staus ist eine Sehnsucht, die tief in der Seele der Autofahrernation ankert. Wohl kaum ein Phänomen vernichtet in Deutschland mehr wertvolle Zeit als ein Verkehr, der zum Erliegen gekommen ist. Laut ADAC verbrachten die Menschen hierzulande im vergangenen Jahr 457 000 Stunden im Stau, 38 000 mehr als 2016. Der urdeutsche Anspruch auf freie Fahrt für freie Bürger erstarrt regelrecht in den stecken gebliebenen Blechlawinen der Gegenwart. Insofern verheißt ein Pilotprojekt in Schleswig-Holstein großen Segen. Denn bei diesem lässt das Land eine Methode erforschen, die Staus an Autobahnbaustellen vermeidet. Ein Traum wird wahr. Oder?

Jens Sommerburg lacht, wenn er von den Fantasien hört, die das Vorhaben des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr in Schleswig-Holstein (LBV-SH) beflügelt. Sommerburg ist Leiter der LBV-SH-Niederlassung in Lübeck und hätte natürlich auch nichts dagegen, wenn sich der Autoverkehr in einen ewigen widerstandslosen Fluss auflösen ließe. Aber solche Hoffnungen muss er enttäuschen. Ein Wunder ist nicht in Arbeit. "Im Kern geht es darum, Staus zu minimieren."

Dies soll dadurch geschehen, dass die Verkehrsteilnehmer nicht wie üblich erst einen Kilometer vor der Baustelle mit sinkenden Tempolimits und Schildern auf die verengte Fahrbahn vorbereitet werden, sondern schon vier Kilometer vorher. "Sie bekommen mehr Zeit, sich auf die Baustelle einzustellen", sagt Sommerburg. Weniger späte Spurwechsel und Bremsmanöver sind das Ziel, die Autos sollen harmonischer in die Engstelle hineingleiten. Sommerburg nennt das "Verstetigung des Verkehrs". Ob das etwas bringt, untersuchen in den nächsten zwei Wochen Wissenschaftler der Technischen Hochschule Lübeck an der Baustelle auf der A 1 bei Großhansdorf. Richtung Süden ist die weitläufige Verkehrsführung eingerichtet, auf der Gegenseite bleibt die herkömmliche. Die Forscher filmen beide Seiten jeweils eine Woche lang und vergleichen dann die Daten. Im Frühjahr sollen die Ergebnisse vorliegen.

Die Idee zum gestreckten Baustellen-Vorlauf kommt vom Unternehmensverband Logistik in Schleswig-Holstein. Der Verband beteiligt sich auch an den Projektkosten von 120 000 Euro, genauso wie die Handelskammer. Das zeigt schon, dass es einen gewissen Leidensdruck gibt in der Mobilitätsgesellschaft. Die Konjunktur brummt, Deutschland hat das Geld, um versäumte Straßensanierungen nachzuholen. Das führt zu einem Baustellenaufgebot im ganzen Land, das viele Autobahnfahrten zur Geduldsprobe macht. Wenn er nicht so unbeliebt wäre, könnte man fast sagen, der Stau liegt im Trend. Nach Angaben des Kieler Landesverkehrsministeriums ist die Zahl der Staumeldungen von 2002 bis 2017 von 100 000 auf 723 000 gestiegen.

Ein Leben ohne Stau ist nicht in Sicht, schon gar nicht in Zeiten der Straßensanierung. "Wenn Sie die Fahrstreifen reduzieren, können Sie ab einer bestimmten Verkehrsstärke machen, was Sie wollen. Dann haben Sie den Flaschenhals, durch den alle durchmüssen", sagt Jens Sommerburg. Er deutet an, was ein anderes Mittel gegen Staus wäre: weniger Autos. Aber das hört eine Autofahrernation natürlich nicht so gern.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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