Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hat erneut eine deutliche Verfehlung der Klimavorgaben im Verkehrsbereich festgestellt. Statt den erlaubten 133 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten stieß dieser Sektor demnach im vergangenen Jahr 146 Millionen Tonnen Treibhausgase aus. Das schreiben die Fachleute in ihrem am Montag in Berlin veröffentlichten Prüfbericht zu im März vorgestellten Daten des Umweltbundesamts (UBA). Damit verfehlt der Verkehrssektor sein Klimaziel das dritte Jahr in Folge.
Die Ergebnisse des Expertenrats sind vor allem im Hinblick auf den Koalitionsstreit über das Klimaschutzgesetz bedeutsam. Wenn Sektoren wie der Verkehrsbereich mehr Treibhausgas ausstoßen als erlaubt, muss das zuständige Ministerium nach geltendem Gesetz binnen drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um gegenzusteuern. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) macht deshalb Druck für eine zügige Reform des Klimaschutzgesetzes, das diese Pflicht abschaffen soll. Er drohte in der vergangenen Woche bereits mit Fahrverboten.
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung sagte dazu, die FDP veranstalte ein "Schmierentheater". "Volker Wissing schürt Verunsicherung, um davon abzulenken, dass er seine Hausaufgaben beim Klimaschutz nicht macht", sagte er den Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung. Das Klimaschutzgesetz verpflichte keineswegs zu Fahrverboten, "wohl aber zu Generationengerechtigkeit beim Klimaschutz". Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte sich kritisch über Wissings Drohung. "Fahrverbote lehnen wir ab", sagte er der Bild-Zeitung.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai mahnte, die Grünen müssten ihre Blockade beim Klimaschutzgesetz zügig aufgeben. "Aus dem planwirtschaftlichen Klimaschutzgesetz der Ära Merkel muss endlich ein marktwirtschaftliches und praxistaugliches werden", sagte er der Bild-Zeitung. Ansonsten drohe "massiver Ferienfrust" bei Millionen Bürgern.
Auch der Gebäudesektor verpasste sein Ziel nach UBA-Berechnungen knapp, was der Expertenrat angesichts großer Unsicherheit bei den berechneten Daten aber weder bestätigen noch verwerfen möchte. Dennoch müsse auch hier nun das gesetzlich vorgeschriebene Sofortprogramm zum Nachsteuern vorgelegt werden, so die Fachleute.
Zu den gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben des Expertenrats für Klimafragen gehört es, die vom Umweltbundesamt vorgelegten Emissionsdaten für das vergangene Jahr zu prüfen. Das Bundesamt ging in seinem Mitte März vorgestellten Bericht davon aus, dass der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen im vergangenen Jahr um 10,1 Prozent gesunken ist, führte dies aber eher auf die schwächelnde Wirtschaft als auf Fortschritte beim Klimaschutz zurück. Die Bereiche Gebäude und Verkehr verfehlten laut UBA im vergangenen Jahr erneut ihre Klimaziele.
Die Ampelkoalition ringt um das Klimaschutzgesetz
Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP will das zugrundeliegende Klimaschutzgesetz eigentlich reformieren. Damit wäre künftig stärker die Emissionsbilanz aller Wirtschaftsbereiche ausschlaggebend und nicht mehr einzelne Sektoren. Insbesondere die FDP dringt auf diese im Grundsatz bereits vereinbarte Reform, die Grünen fürchten eine Aufweichung des Klimaschutzes. Das Kabinett hatte die Novelle im vergangenen Juni auf den Weg gebracht, die Verhandlungen der Ampelfraktionen im Bundestag dazu ziehen sich aber in die Länge.
In dem Gesetz sind die Klimaschutzziele Deutschlands verbindlich geregelt. Es sieht in der aktuellen Fassung vor, dass die Emission von Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert wird. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.
Sollte das novellierte Klimaschutzgesetz bis zum Ablauf der Drei-Monats-Frist am 15. Juli nicht in Kraft getreten sein, müssten allein für den Verkehr rund 22 Millionen Tonnen sogenannte CO₂-Äquivalente ad hoc zusätzlich eingespart werden - so jedenfalls die Warnung von Verkehrsminister Wissing. Das ist nach seiner Darstellung nur durch weitreichende Eingriffe wie Wochenend-Fahrverbote möglich.