Verkehr:Berliner Farbenspiel

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Warum die Hauptstadt ihre Ampeln wieder selbst betreiben will.

Von Jan Heidtmann

Einst, als Berlin noch sexy und ganz schön arm war, hat die Stadt so etwa alles losgeschlagen, was irgendeinen Wert hatte. Jede Menge landeseigene Wohnungen waren darunter und sogar das Stromnetz. Dann, als Berlin wieder Geld hatte, versuchte der Senat einiges davon zurückzuerlangen. Die Häuser zum Beispiel, zu einem Vielfachen des einstigen Verkaufspreises, auch das Stromnetz. Nun hat die Stadt einen Vertrag unterschrieben, mit dem sie wieder die Hoheit über Berlins Ampeln bekommt.

Der Senat macht damit einen Schritt rückgängig, der selbst für das Privatisierungsfieber der Nullerjahre bemerkenswert war. Neben Berlin ist nur von Braunschweig aktenkundig, dass eine Stadt ihre Ampelanlagen verpachten wollte, um Geld zu sparen. "Wir müssen mit Fantasie und wirklich unkonventionellen Ideen auf die sich rapide verschlechternde Finanzsituation reagieren", hatte Braunschweigs Oberbürgermeister Gert Hoffmann damals erklärt. Rund eine Million Euro an Betriebskosten pro Jahr, so rechnete man wenig später in Berlin vor, sollten durch den Privatbetrieb gespart werden. 17 Jahre später soll nun wieder der Staat ran.

Grund dafür ist, dass derzeit der gesamte Stadtverkehr in Berlin umgebaut wird. Nach dem Vorbild anderer Metropolen wie Paris sollen Autos verdrängt und so mehr Platz für Fußgänger, Fahrradfahrer und den öffentlichen Nahverkehr geschaffen werden. Ampeln spielen bei diesem Umbau eine zentrale Rolle. Denn das Zusammenspiel der unterschiedlichen Leuchtzeichen an einer nur mittelgroßen Kreuzung ist inzwischen kompliziert wie ein Sudoku für Fortgeschrittene: Busse und Straßenbahnen, die Vorrang haben, Fahrradfahrer, die kurz vor den Autos starten dürfen, Fußgänger, die manche Kreuzung auch diagonal queren können.

Um so erstaunlicher ist, dass der Berliner Verwaltung offenbar eher zugetraut wird, einen solch komplexen Prozess zu organisieren, als einem privaten Unternehmen. Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) feiert den Rückkauf für einen symbolischen Euro jedenfalls unverdrossen: "Die direkte Steuerung des Ampelmanagements bedeutet eine weitere wichtige Strukturveränderung zur Beschleunigung der Mobilitätswende."

Immerhin bekommt Berlin ein gut saniertes Ampelsystem zurück. Mit der Privatisierung 2006 musste die Firma Alliander einen großen Teil der rund 2100 Ampelanlagen Berlins modernisieren. Dazu gehörte auch, die Leuchten per Kabel oder Mobilfunk mit der Zentrale zu verbinden. Die ältesten Modelle arbeiteten sogar noch komplett autark: Fiel einer dieser "Dirigenten" genannten Ampeln aus, bekam die Verkehrszentrale dies meist nur dann mit, wenn sich ein Autofahrer beschwerte.

2023 sollen die Anlagen laut Vertrag an Berlin zurückgegeben werden. Zumindest ampeltechnisch könnte die Stadt also bald in der ersten Liga spielen. Sie würde damit an eine große Vergangenheit anknüpfen: 1924 wurde am Potsdamer Platz die erste Ampel Deutschlands errichtet - ein aus New York importierter Verkehrsturm mit je einem Leuchtzeichen für die fünf abgehenden Straßen. In der Mitte stand damals ein Polizist und steuerte die Anlage von Hand.

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