Verhinderter Gaza-Besuch:Wie Niebel in Jerusalem steckenblieb

Dirk Niebel ist auf Israel-Visite. An diesem Montag wird der Entwicklungshilfeminister den ultrarechten Außenminister Lieberman treffen, dessen Ministerium ihm die Einreise in den Gazastreifen untersagt hat. Das könnte amüsant werden.

Lars Langenau

Bei Stellungnahmen von Dirk Niebel stockt einem manchmal der Atem. Da wollte der Mann, der nun das Entwicklungshilfeministerium führt, schon einmal genau dieses Ministerium abschaffen. Um Geld zu sparen. Vor der Wahl. Natürlich. Und da weckt dieser Mann gleichzeitig Hoffnungen bei den deutschen Entwicklungshelfern in aller Welt, dass er endlich die Anarchie der deutschen Entwicklungshilfe mit ihren Dutzenden Organisationen beendet. Eine große Aufgabe, wenn er sie denn wirklich anpacken und vollenden würde, woran schon alle seine Vorgänger gescheitert sind.

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Dirk Niebel: Der Entwicklungshilfeminister ist mit seinem Vorhaben gescheitert in den Gazastreifen zu reisen

(Foto: ddp)

Seit Samstag besucht er nun das palästinensische Autonomiegebiet Westjordanland und Israel - bekanntlich ein Terrain, das aufgrund der deutschen Geschichte dazu verpflichtet, alle Feinsensoren auf Höchstleistung zu trimmen. Für den ehemaligen FDP-Generalsekretär und Fallschirmjäger ohnehin kein leichtes Unterfangen, da er als Schnellplauderer gilt, der gern auch mal Fettnäpfchen mitnimmt.

Nun also auf leisen Wollsocken nach Israel, ein Land, das in Deutschland sehr stark in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht? Der Minister ist Israel wohlgesonnen. Keine Frage, er ist Vize-Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft. Am Sonntag wollte er nun im Gazastreifen ein Klärwerk besuchen, das mit deutscher Hilfe gebaut wird. Und durfte nicht. "Als Freund Israels hat man immer mehr Schwierigkeiten, der eigenen Bevölkerung zu erklären, warum Israel so reagiert, wie es reagiert", sagte Niebel in Jerusalem, nachdem er von dem Verbot erfahren hatte. Das israelische Außenministerium entgegnete, man lasse seit langem keine ranghohen Politiker in den Gazastreifen, weil die dort herrschende radikal-islamische Hamas Besuche zu Propagandazwecken ausnutze.

Das Sicherheitskabinett um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte unterdessen mit, dass die Gaza-Blockade weiter gelockert werden soll. Man werde eine Liste verbotener Güter veröffentlichen. Darauf sollten Waffen, Kampfmittel und "problematische Mehrzweckwaren" stehen. Ansonsten solle die Einfuhr aller Güter für die 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen erlaubt werden. Niebel und die Bundesregierung begrüßten diesen Schritt. "Es ist nachvollziehbar, dass Waffenlieferungen nicht erwünscht sind", erklärte der Minister. Es müsse aber auch für die Palästinenser ein Recht für Export und Ausreise geben. "Unter Freunden muss man deutlich benennen, wenn Fehlentwicklungen stattfinden." Zu der seit drei Jahren andauernden Gaza-Blockade sagte er: "Man muss darauf hinweisen, wenn sich jemand verrennt. Transparent, offen und flexibel zu sein, könnte Israel mehr helfen als schaden."

Der Entwicklungsminister will zunächst, bereits am vergangenen Donnerstag, vom israelischen Verteidigungsministerium grünes Licht für die Reise in den Gazastreifen erhalten haben. Dann habe das Außenministerium dies jedoch doch nicht gestattet. Dazu sollte man wissen, dass das Verteidigungsministerium vom (sozialdemokratischen) Ehud Barak geführt wird und das Außenministerium vom äußerst umstrittenen Rechtspopulisten Avigdor Lieberman von Israel Beitenu, einem Hardliner.

Treffen mit Peres und Lieberman

Durch die sich widersprechenden Auskünfte sei nicht von vornherein klar gewesen, dass er nicht nach Gaza hereinkommt, betonte der FDP-Politiker mit Blick auf Vorwürfe, er würde den Vorfall zu einer Inszenierung nutzen und ihm hätte die Einreiseverweigerung klar sein müssen. Im ARD-Morgenmagazin wehrte er sich gegen den Vorwurf der gespielten Empörung. Auch andere Politiker seien im Gazastreifen gewesen, sagte er. Eine mögliche Einreise über Ägypten "wäre eine wirkliche Eskalation in den deutsch-israelischen Beziehungen gewesen, die ich für absolut indiskutabel halte", fügte er hinzu.

Treffen mit Peres und Lieberman

Am Morgen traf Niebel Israels Präsidenten Schimon Peres. Peres ist im Grunde seines Herzens Sozialdemokrat geblieben, auch wenn er in der liberalen Kadima-Partei ist. Am Nachmittag trifft er den ultrarechten Außenminister Lieberman. Bei den Gesprächen dürfte der Vorfall durchaus eine Rolle spielen. Das könnte amüsant werden und wird sicher noch für einen Kommentar von beiden Seiten taugen. Denn Niebel hatte das Verbot in den von Israel wegen der Angriffe der radikal-islamischen Hamas abgeriegelten Gazastreifen zuvor polternd als "großen außenpolitischen Fehler der israelischen Regierung" kritisiert.

Der Leipziger Volkszeitung hatte Niebel zudem gesagt, die Blockade sei "kein Zeichen von Stärke, sondern eher ein Beleg unausgesprochener Angst". Die Zeit, die Israel angesichts der internationalen Proteste gegen die Gaza-Blockade und der stockenden Friedensverhandlungen mit den Palästinensern noch bleibe, neige sich dem Ende zu. "Es ist für Israel fünf Minuten vor Zwölf", sagte Niebel. Israel sollte jetzt jede Chance nutzen, "um die Uhr noch anzuhalten". Was das nun wieder bedeuten soll? Und was ist, wenn es zwölf geworden ist?

Genau das fragt sich auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Kramer hält Niebels Aussagen für ein "durchsichtiges politisches Manöver, das lediglich dazu dienen soll, die schlechten Umfragewerte der FDP zu verbessern". Und er fordert den Entwicklungshilfeminister unmissverständlich auf, diesen Satz mit dem fünf vor Zwölf klarzustellen. "Da darf es keinen Interpretationsspielraum geben", fordert er in dem Gespräch mit sueddeutsche.de. Schließlich leide die Bevölkerung Israels unter dem "tagtäglichen Terror" der Raketenangriffe der Hamas aus dem Gazstreifen, und darüber könne man einfach nicht schweigen, wenn man vor Ort sei.

"Und was ist mit den Menschenrechtsverletzungen der Hamas", fragt Kramer weiter. "Warum hat Niebel das nicht angesprochen, anstatt sich als zurückgewiesenen Freund Israels so öffentlichkeitswirksam darzustellen?" Kramer erwartet von Niebel auch eine Antwort wie es denn "konkret weitergehen soll - auch unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen Israels".

Doch in Deutschland gab es bislang von politischer Seite vor allem nur viel Kritik an Israels starrer Haltung gegenüber Niebel. So bedauerte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die verweigerte Reise. Sie gehe davon aus, dass er den Besuch zu einem späteren Zeitpunkt nachholen werde, ließ sie über ienen Regierungssprecher ausrichten. Eine Beeinträchtigung des deutsch-israelischen Verhältnisses bedeute die Entscheidung jedoch nicht. Im Gegenteil seien die Beziehungen intakt, ergänzte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Unter Freunden könne es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Ähnlich äußerte sich auch ein Sprecher Niebels.

Die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Außenpolitik, Kerstin Müller, sagte: "Es ist nicht akzeptabel, dass Israel inzwischen europäischen Ministern und Parlamentariern, die sich vor Ort ein Bild machen wollen, die Einreise in den Gazastreifen verweigert. Dieser Mangel an Transparenz und Offenheit ist einer Demokratie wie Israel nicht würdig." Der außenpolitische Sprecher der FDP, Rainer Stinner, sagte am Montag im Deutschlandfunk, Deutschland unterstütze Palästina mit Entwicklungshilfeprojekten, weshalb es folgerichtig sei, wenn sich Niebel vor Ort ein Bild machen wolle. Israel müsse verstehen, dass die Freunde des Landes nicht ständig verprellt werden dürften.

Der Gazastreifen sei kein besetztes Gebiet, sagte Niebel nun noch einmal der ARD, und betonte abermals, dass gar kein Treffen mit der radikalislamischen Hamas geplant gewesen sei. Er sei mit Vertretern des UN-Hilfswerks für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) verabredet gewesen. "Es hätte die legitime Regierung Fajad gestützt, wenn diese Reise hätte stattfinden können."

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