Süddeutsche Zeitung

Verhandlungen von Union und SPD:Welche Wahlversprechen im Sondierungsergebnis eingelöst werden

Nur wenige Themen wie Zuwanderung werden detailliert geregelt. Zu etlichen anderen wie Gesundheit oder bezahlbares Wohnen findet sich nichts Konkretes. Auch eine steuerliche Entlastung kleinerer Einkommen fehlt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Das Sondierungsergebnis von CDU, CSU und SPD trägt auf dem Deckblatt keine Überschrift. Das mag ein Versehen sein, geschuldet dem nächtlichen Verhandlungsmarathon. Oder aber Absicht, weil die Beteiligten sich schlicht noch nicht haben einigen können auf einen klaren Wegweiser durch eine weitere gemeinsame Legislaturperiode. Auch weil Naheliegendes wie "Neuer Aufbruch" von den 28 Seiten des Sondierungspapiers nach Ansicht vieler Kritiker nicht unbedingt getragen wird.

Rente, Bürgerversicherung, bezahlbares Wohnen, Umverteilung und Steuergerechtigkeit: Das waren Themen, die den Wahlkampf bestimmten. CDU, CSU und SPD wollten sich mehr als bisher um die Nöte der Bürger kümmern. Im Sondierungspapier finden sich die Versprechen dazu nur bedingt wieder.

Wer konkrete Maßnahmen gegen steigende Mieten sucht, stößt auf einen allgemeinen Absatz dazu. Wer nach der Bürgerversicherung sucht, die die SPD vehement gefordert hatte, oder generell nach einem Einstieg in den Ausstieg aus der Zwei-Klassen-Medizin, findet nichts. Der künftigen Gesundheitspolitik sind 16 Zeilen gewidmet. Spärlich sind auch die Ausführungen darüber, wie Digitalisierung und Arbeitswelt zusammengebracht werden sollen. Glasfasernetze werden erwähnt, eine digitale Verwaltung und die Vollendung des digitalen Binnenmarktes.

Große Projekte sind das nicht. Zumal auch das Kleingedruckte fehlt: Die Sondierer führen nicht aus, was konkret sie anpacken wollen. Nur bei Migration und Integration geht das Sondierungspapier ins Detail. Drei Seiten lang sind die Vereinbarungen, von der Begrenzung des Familiennachzugs bis zur Bearbeitung der Asylanträge ist alles geregelt.

Ausweg im Steuerstreit: Nichts tun

Vergessen ist offensichtlich auch, dass alle drei Parteien im Wahlkampf eine Steuerreform versprochen hatten. Mindestens 15 Milliarden Euro Steuersenkungen jährlich hatte die Union zugesagt, zuzüglich der schrittweisen Abschaffung des Soli-Zuschlags. Ähnliches wollte auch die SPD. Man war sich einig, dass der Mittelstandsbauch schlanker werden und der Spitzensteuersatz nur für Spitzenverdiener gelten sollte; der Steuertarif sollte so angepasst werden, dass insbesondere die unteren und mittleren Einkommen entlastet werden. Im Sondierungsergebnis ist davon nichts zu finden.

Der Grund dafür: Die Unterhändler von SPD und CSU verhakten sich bei der Frage, wie die Steuersenkungen für Geringverdiener und die Mittelschicht gegenfinanziert werden könnten. Die SPD wollte den Spitzensteuersatz später greifen lassen und von 42 auf 45 Prozent erhöhen. Die CSU wollte zwar auch den Steuertarif verschieben, war aber strikt gegen den höheren Satz. Nach langem Gezerre blieb nur der Ausweg, nichts zu tun.

Sollte sich daran auch in den Koalitionsverhandlungen nichts ändern, dann bleibt es dabei, dass die letzte große Steuerreform in Deutschland vor 18 Jahren verabschiedet wurde: von der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder.

Aus den Wirtschaftsverbänden und von Ökonomen gab es daher in den letzten Tagen deutliche Kritik am Sondierungspapier. Diese Kritik bezieht sich auch auf die teilweise Abschaffung des Soli-Zuschlages. "Grobschlächtig und kontraproduktiv" nennt einer der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, der Würzburger Ökonom Peter Bofinger, den Plan, bis 2021 rund 90 Prozent aller Soli-Zahler durch eine "Freigrenze (mit Gleitzone) vollständig vom Soli" zu entlasten.

Grobschlächtig, weil die Idee darauf hinausläuft, Bürger mit einem zu versteuernden Einkommen von weniger als 60 000 Euro komplett vom Soli zu befreien, wenn auch in mehreren Schritten, die noch nicht verhandelt sind. Bürger mit einem Einkommen über 60 000 Euro müssten allerdings den kompletten Soli wie bisher zahlen.

Die Konsequenz dieser Ungleichbehandlung, sagt der Wirtschaftsprofessor, könne nur sein, "dass der Soli für alle entfällt". Was wiederum kontraproduktiv wäre, "weil dadurch tendenziell höhere Einkommen entlastet werden". Das liegt daran, dass jenes Fünftel der Deutschen, das die höchsten Einkommen hat, 78 Prozent zum Aufkommen des Soli beiträgt.

Wird der Solidaritätszuschlag abgeschafft, fällt ein wichtiges Instrument weg, mit dem die Bundesregierung finanzielle Lasten gerechter verteilen konnte, indem sie einkommenstarke Bürger höher belastet hatte als einkommensschwache. Und womöglich fehlt auch Geld für andere Projekte wie im Sondierungspapier angekündigte "langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung".

Überraschende Festschreibung des Rentenniveaus

Union und SPD haben vereinbart, dass sie das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent bis 2025 festschreiben wollen. Auf den ersten Blick ist das überraschend. Denn im aktuellen Rentenversicherungsbericht steht ohnehin, dass das Rentenniveau, also das durchschnittliche Verhältnis zwischen Rente und Lohn, bis 2024 bei den derzeitigen 48 Prozent bleiben und erst danach allmählich absinken soll, bis 2030 dann 45 Prozent erreicht sind. Dies wurde ursprünglich vereinbart, um den Rentenbeitrag stabil zu halten.

In Berlin wird darauf hingewiesen, dass die Beibehaltung des Rentenniveaus von 48 Prozent bis 2025 durchaus Signalwirkung haben wird für die Jahre danach. Es werde politisch sehr schwer durchsetzbar, ausgerechnet dann, wenn die Babyboomer der 1960er-Jahre in Rente gehen, das Rentenniveau abzusenken.

Um das Rentenniveau dauerhaft so hoch zu halten, wird zusätzliches Geld in die Rentenkasse fließen müssen, entweder über höhere Beiträge oder aus dem Bundeshaushalt. Da gleichzeitig beabsichtigt ist, die Sozialabgaben insgesamt bei unter 40 Prozent zu stabilisieren, wird es wohl auf Steuermittel hinauslaufen.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2018/gal
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